Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka über die FPÖ, Straches Kampf gegen den Antisemitismus und den Islam.
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Wien. Wolfgang Sobotka ist bestens gelaunt an diesem Freitagmorgen. Dazu hat der 62-jährige Niederösterreicher guten Grund. Nicht nur, dass er als Erster Nationalratspräsident protokollarisch der zweite Mann im Staate ist. Der ÖVP-Politiker steht auch machtpolitisch im Zenit seiner Karriere: Heikle Fragen delegiert Bundeskanzler Sebastian Kurz gerne an Sobotka. So verhandelt dieser derzeit etwa die Reform der Sozialversicherung.
"Wiener Zeitung": Der bisherige Verlauf des Gedenkjahres wurde von Reden dominiert: André Heller verzichtete weitgehend auf Auf- und Abrechnungen, darauf folgte Michael Köhlmeier, der die FPÖ scharf attackierte; und schließlich Arik Brauer, der eben dieser FPÖ nicht nur rhetorisch die Hand reichte, sondern ganz wortwörtlich.Wolfgang Sobotka: Das Gedenkjahr nur auf Reden zu reduzieren, halte ich für nicht richtig. Das Ziel des heurigen Jahres muss sein, neue Wege des Erinnerns zu beschreiten. Es geht darum, jüngere Generationen einzubinden, um ein Bewusstsein zu schaffen und die verstummenden Stimmen von Zeitzeugen lebendig zu halten. Das wurde von Reden oft etwas überdeckt. Aber eine neue Form des Erinnerns wird sich nicht im Handumdrehen realisieren lassen, das müssen wir permanent vorantreiben. Dazu gehört auch, dass Menschen, die bei uns Schutz suchen, sich nicht nur zu unseren Werten bekennen, sondern sich auch mit unserer Geschichte auseinandersetzen, zu der auch der Holocaust zählt.
Diese Reden können auch als Gespräch über und zu einem imaginierten Österreich verstanden werden. Nur wurde dabei deutlich, dass es keinen Konsens zu diesem "Wir" gibt, weil für manche die FPÖ außerhalb steht. Und Köhlmeier hat das explizit so gesagt.
Die Standpunkte sind in diesem Jahr sicher besonders pointiert, das hängt auch mit dem Regierungswechsel zusammen. Das hat das Klima zwischen den Parteien spürbar konfrontativer gemacht. Nazi-Vergleiche werden für mich als Historiker etwa heute oft sehr früh gezogen, was weder dem Schrecken des Holocaust noch den Verbrechen der Nationalsozialisten gerecht wird. Auch die Menschen auf der Straße empfinden das so. Man kann alles das, was heute so emotional gesehen wird, aber nicht losgelöst von den Ereignissen des Jahres 2015 (Höhepunkt der Flüchtlingskrise; Anm.) sehen. Noch immer herrscht eine gewisse Unsicherheit bei den Bürgern, mit der die Parteien oft schwer umgehen können. Deshalb spüre ich, wie fragil der Konsens zwischen den Parteien ist. Es gibt ihn zwar in manchen Bereichen, aber es wird schwieriger. Außerhalb der Parteipolitik spüre ich keine Ablehnung der FPÖ. Und ich bin auch überzeugt, dass die Ausgrenzung einer Partei falsch ist. Die Rede Arik Brauers hat mich hier sehr beeindruckt: Es geht immer darum, an einem "Wir" zu arbeiten.
Für ein solches "Wir" ist - aus der Geschichte Österreichs heraus - die Zustimmung der jüdischen Gemeinde unerlässlich. Gerade sie verweigert der FPÖ die Einbeziehung.
Man muss den Standpunkt der Kultusgemeinde vor dem Hintergrund des Erlebten verstehen. Klar ist aber, dass wir ein aufeinander Zugehen brauchen werden. Die FPÖ repräsentiert nicht nur ein großes Bevölkerungsspektrum, sondern zeigt auch den Willen, hier Zeichen zu setzen. Der Dialog miteinander ist deshalb essenziell und alternativlos. Nun kann man sagen, ein solches Gespräch sei jetzt noch nicht möglich, dass es dafür noch Zeit brauche, aber langfristig muss eine Gesprächsbasis das Ziel sein. Und ich kann mir durchaus vorstellen, dass es Menschen in der Kultusgemeinde gibt, die darauf hinarbeiten, ein solches Gespräch mit der FPÖ zu ermöglichen. Das ist derzeit vielleicht noch nicht machbar, aber ich möchte einen Beitrag für Dialog leisten.
Was ist die Bringschuld der FPÖ?
Ohne eine klare Haltung der FPÖ wird es nicht gehen. Auch Köhlmeier hat aber beispielsweise Heinz-Christian Strache zugestanden, dass er dessen Bekenntnis zum Kampf gegen Antisemitismus ernst nehme. Man kann ihn auch nicht für alles verantwortlich machen, was im jeweiligen Umfeld passiert. Entscheidend ist, wie die Reaktion darauf ausfällt - und aus dieser Reaktion muss sich eine klare Haltung zeigen.
Ist der FPÖ-Obmann in dieser Frage für Sie glaubwürdig?
Ja, Strache will seine Partei hier klar positionieren.
Wird ihm das auch gelingen?
Das wird an vielen Faktoren liegen, aber ich glaube, dass er die Kraft dazu hat.
So wie für die einen die FPÖ steht für andere der Islam außerhalb des österreichischen "Wir". Gehört für Sie der Islam zu Österreich - oder doch nur die Muslime?
Diese Unterscheidung greift zu kurz. In Österreich leben viele aufgeklärte, säkulare Muslime, ich würde sagen: rund die Hälfte der acht Prozent, die sich hier zum Islam bekennen. Mich hat das jüdische Gebetsbuch im Wiener Stadttempel sehr beeindruckt, an dessen Ende auch um die spirituelle Unterstützung für Österreich als Ganzes gebetet wird. Das ist ein klares Bekenntnis zu unserem Land und seinen Werten. Das fehlt mir beim Islam in dieser Deutlichkeit. Es gibt aber auch nicht "den" Islam. Diese Fragen müssen sich also seine verschiedenen Gruppen stellen, wie man ein noch glaubhafteres Bekenntnis nach innen wie außen schafft. Was sicher keinen Platz hat, sind religiöser Fanatismus, Antisemitismus und Moscheen, die zum militaristischen Gedenken verwendet werden. Und was die Rolle der Religion angeht: Ich sage ja auch nicht, der Katholizismus oder das Judentum gehören zu Österreich. Wir sind durch eine epigenetische Struktur ein christlich geprägtes Land, das gehört zu unserer Kultur, und ich gebe das "Grüß Gott" auch nicht auf . . .
Da wir gerade gegenüber dem Wiener Rathaus sitzen, sei daran erinnert, dass manche auf das "Grüß Sie" als Alternative Wert legen.
Das ist nicht meins, es gibt eben unterschiedliche Traditionen. Aber es gibt auch genügend Sozialdemokraten, die sehr wohl "Grüß Gott" sagen. Ich würde das nicht so verkrampft sehen.
Unser Umgang mit anerkannten Glaubensgemeinschaften ruht auf der Überzeugung, dass diese einen grundsätzlich positiven Beitrag für den Zusammenhalt einer Gesellschaft leisten können. Wie ist das mit dem Islam aus Ihrer Sicht?
Dort, wo er Parallelgesellschaften zulässt, ist das derzeit sicher nicht der Fall. Bei manchen gibt es dagegen sehr wohl das Bemühen, einen solchen positiven Beitrag zu leisten.
Themawechsel: Wie steht es um unseren Parlamentarismus?
Gemessen an vergleichbaren europäischen Staaten sehe ich ihn gut entwickelt, nicht zuletzt auch bei den Minderheitsrechten. Wir haben aber noch Verbesserungsbedarf, etwa bei der Redemöglichkeit für Abgeordnete und bei der Darstellung nach außen. All das, was Parlamentarismus ausmacht, nämlich nicht nur das Handheben ganz am Schluss, muss transparenter werden. Das müssen wir noch deutlicher herausarbeiten.
Sie selbst fungieren für die Opposition als Reibebaum, der Vorwurf lautet: zu große Nähe zu den Regierungsfraktionen.
Ich glaube nicht, dass ich ein Reibebaum bin, jedenfalls bemühe ich mich sehr, den Stellenwert des Parlaments weiter zu verbessern. Wenn es Vorwürfe gibt, stelle ich mich gerne jeder Diskussion. Im parlamentarischen Prozess muss jede Partei die gleichen Möglichkeiten haben. Entscheidend ist, dass keine bevor- oder benachteiligt wird. Parteilosigkeit gehört aber nicht zum Anforderungsprofil eines Nationalratspräsidenten. Ich bin gewählter Abgeordneter und auch Mitglied einer Fraktion - so wie alle Nationalratspräsidenten vor mir auch. Man legt bei mir nur manches Mal besondere Maßstäbe an.