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"Ich glaube nicht, dass wir unter Inflationsparanoia leiden"

Von Thomas Seifert und Matthias Nagl

Wirtschaft

Andreas Dombret, Vorstand der Deutschen Bundesbank, über Aktionismus der EZB und die Angst vor untätigen Politikern.


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Dombret: "Ausstieg aus expansiver Geldpolitik muss kommen."
© M. Nagl

"Wiener Zeitung": Die Notenbanken haben seit Beginn der Krise 2008 versucht, die Defizite der Politik auszugleichen. Wie sieht Ihre Bilanz dabei aus?Andreas Dombret: Die Notenbanken haben mehrfach die Leitzinsen gesenkt, sie versorgen Banken quasi unbegrenzt mit Liquidität, sie haben die Anforderungen an die geldpolitischen Sicherheiten gesenkt und sie haben mehr als einmal an den Anleihemärkten interveniert. Damit haben sie eine weitere Eskalation der Krise verhindert. Notenbanken können die Krise aber nicht lösen. Sie können lediglich der Politik Zeit verschaffen, um notwendige Reformen umzusetzen. Die berechtigte Befürchtung ist aber, dass die Maßnahmen der Notenbanken den Handlungsdruck auf die Regierungen verringern und damit nötige Anpassungen verzögern.

Wie viel demokratische Mitsprache braucht die Geldpolitik und wie viel Unabhängigkeit brauchen Notenbanker?

Die Inflationserfahrungen in den 1970er und frühen 1980er Jahren zeigen deutlich: Unabhängige Notenbanken sind erfolgreicher darin, Preisstabilität zu gewährleisten, ohne gleichzeitig Einbußen beim Wirtschaftswachstum hinnehmen zu müssen. Diese Erkenntnis war der Grund dafür, warum Notenbanken weltweit in die Unabhängigkeit entlassen wurden. Je mehr sich die Notenbanken nun für finanzpolitische Zwecke vereinnahmen lassen, desto mehr wird ihre Unabhängigkeit in Frage gestellt. Das kann nicht gut sein, denn es gefährdet eine der Hauptvoraussetzungen für Geldwertstabilität.

Welche nächsten Schritte sind notwendig, um die Eurokrise zu überwinden?

Andreas Dombret in der Bibliothek von Schloss Leopoldskron.
© T. Seifert

Wie gesagt: Die Geldpolitik kann die Krise nicht lösen. Sie kann der Politik bestenfalls Zeit verschaffen, die notwendigen Schritte zu tun. Dazu zählt erstens, dass die Anpassung in den Krisenländern weitergeht: Die Wettbewerbsfähigkeit muss weiter verbessert werden, die Staatshaushalte müssen weiter saniert werden und die wirtschaftlichen Reformen müssen umgesetzt werden. Zweitens brauchen wir weitere Schritte in Richtung eines stabilen Rahmens für die Währungsunion. Das Prinzip der Eigenverantwortung muss wieder gestärkt werden. Die Fiskalregeln zu stärken war wichtig und richtig, um den Rahmen wieder gerade zu rücken. Auch die Bankenunion ist dafür ein wichtiges Projekt; sie lockert den engen ökonomischen Zusammenhang zwischen Staaten und Banken, der erheblich dazu beigetragen hat, die Krise zu verschärfen.

Wie hat sich die EZB aus Ihrer Sicht in den vergangenen Jahren geschlagen, auch im Vergleich zu anderen großen Notenbanken?

Die Arbeit anderer Notenbanken kommentiere ich grundsätzlich nicht. Ich möchte aber etwas Grundsätzliches sagen: Die Notenbanken sind nicht ohne weiteres vergleichbar. Sie haben unterschiedliche Mandate und sehen sich unterschiedlichen ökonomischen Situationen gegenüber, sodass sich die Herausforderungen unterscheiden.

Welche Rolle hat der Bundesbankpräsident Jens Weidmann in der EZB im Spannungsfeld zwischen deutschen Interessen und dem Blick aufs Ganze der Eurozone zu spielen?

Er hat genau dieselbe Rolle zu spielen wie etwa der Gouverneur der Österreichischen Nationalbank und wie jedes andere EZB-Ratsmitglied. Diese treffen Entscheidungen für den gesamten Euroraum und sollen sich nicht an nationalen Interessen orientieren. Die Bundesbank ist traditionell eine Notenbank mit ausgeprägtem Stabilitätsbewusstsein, was auch in den Positionen ihres Präsidenten zum Ausdruck kommt.

Es gab in Deutschland eine heftige Diskussion um die Target-2-Salden. Aus Ihrer Sicht: Worum geht es in dieser Diskussion und welche Risiken verbergen sich in dieser Problematik?

Die Target-2-Salden spiegeln zum einen die anhaltende Vertrauenskrise im Bankensektor einiger Euroländer wider. Zum anderen sind sie Ausdruck von Verwerfungen auf dem Interbankenmarkt (dem Handel von Banken mit Zentralbankgeld untereinander; Anm.). Banken nutzen darum das Eurosystem stärker als direkte Finanzierungsquelle. Das eigentliche Problem sind also die Risiken, die sich aus dem gestiegenen Umfang der Refinanzierungsgeschäfte ergeben. Die Target-2-Salden sind damit das Symptom, der Schatten an der Wand, wenn Sie so wollen. Letztlich geht es in dieser Diskussion um die Rolle der Geldpolitik in der Krise.

Deutschland und zum Teil auch Österreich wird von einigen Ökonomen immer wieder bescheinigt, an "Inflationsparanoia" zu leiden. Ist an dieser Paranoia etwas dran?

Ich glaube nicht, dass wir unter Inflationsparanoia leiden. Richtig ist zwar, dass sich die Erfahrungen mit der Hyperinflation ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt haben. Aber: Schlechte Erfahrungen mit Inflation sind sicher kein rein deutsches Phänomen. Hinzu kommt, dass die Deutschen in der Nachkriegszeit die Vorzüge einer stabilen Währung kennen und schätzen gelernt haben. Österreich hat diese durch die Schilling-D-Mark-Bindung gewissermaßen importiert. Der Vorwurf, die Deutschen hätten eine irrationale Angst vor Hyperinflation, ist falsch. Denn auch Inflationsraten von vier oder fünf Prozent im Jahr haben auf Dauer eine kräftige Geldentwertung zur Folge. Ein Beispiel: Bei fünf Prozent Inflation verliert das Geld innerhalb von sechs Jahren mehr als ein Viertel seiner Kaufkraft. Bei zwei Prozent Inflation dauert das immerhin schon 15 Jahre.

Angela Merkel und die EZB wurden kritisiert, zu wenig für die Ankurbelung der europäischen Wirtschaft zu tun.

Die Forderung nach fiskalischen Impulsen aus Deutschland hat zuletzt sogar der Internationale Währungsfonds verworfen. Dessen Begründung ist auch unsere: Die kriselnden Peripherieländer würden von Impulsen aus Deutschland kaum profitieren. An der Wettbewerbsfähigkeit ansetzende Politikmaßnahmen, um den deutschen Leistungsbilanzüberschuss zu verringern, sind darum nicht sinnvoll. Dazu kommt, dass der Euro-Raum im globalen Wettbewerb steht; die Wettbewerbsfähigkeit eines Mitgliedslandes zu schwächen, kann daher nicht im Interesse aller liegen. Entscheidend ist vielmehr, dass die Krisenländer ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Dann sinken deren Leistungsbilanzdefizite weiter und der deutsche Überschuss nimmt von selbst ab. In Sachen Geldpolitik ist die vorrangige Aufgabe der EZB, Preisstabilität zu sichern. Soweit es ohne Beeinträchtigung dieses Ziels möglich ist, unterstützt das Eurosystem Wachstum und Beschäftigung. Die außerordentlich niedrigen Zinsen belegen, dass die EZB derzeit keineswegs untätig ist.

Bei diesem Thema ist der Begriff Austerität ebenfalls zu einem Zankapfel geworden. Wo stehen Sie in dieser Debatte?

Der Begriff wird vor allem von Kritikern eines als zu strikt empfundenen Sparkurses verwendet. Hier wird aber teilweise eine Scheindebatte geführt. Wenn ein Land das Vertrauen der Anleger verloren hat, ist nicht die Frage, ob es spart, sondern wie es spart. Die Konsolidierung der Staatshaushalte ist absolut notwendig, damit das Vertrauen in die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung zurückkehrt. Unbestritten kann Sparen das Wachstum kurzfristig dämpfen. Langfristig stehen Konsolidierung und Wachstum aber nicht in einem Widerspruch zueinander.

Manchmal ist von geldpolitischem Doping die Rede, das in den letzten Jahren geherrscht hat. Wenn man jetzt nur andeutet, den Staubsauger auszupacken, um all die frischen Dollars, Euros und Yens von den Märkten zu saugen, spielen schon alle verrückt. Wie kann man diese schwierige Phase bewältigen?

Es steht für mich außer Frage, dass der Ausstieg aus der außerordentlich expansiven Geldpolitik kommen muss und kommen wird. Denn diese Geldpolitik kann kein Dauerzustand sein, schließlich hat sie auch unerwünschte Nebenwirkungen. Darüber wann und wie ein Ausstieg passieren wird, möchte ich nicht spekulieren, darüber entscheiden die Notenbanken zu gegebener Zeit.

Wo stehen wir beim Thema Europäische Bankenunion? Das Problem des "Too big to fail" besteht immer noch.

Das ist tatsächlich leider immer noch nicht aus der Welt, auch wenn schon einiges getan wurde. Die jetzt entwickelten Maßnahmen helfen, die Auswirkungen auf die Steuerzahler zu lindern. Die mit Basel III verschärften Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften stärken die Widerstandsfähigkeit der Banken. Gemeinsam mit einer europäischen Bankenaufsicht macht das Schieflagen von Banken unwahrscheinlicher. Sollte es dennoch zu einer Schieflage kommen, geht es vor allem darum, den Steuerzahler zu schützen. Hier gehen die Vorschläge der EU-Kommission zur Einbeziehung von Anteilseignern und Gläubigern im Restrukturierungs- oder Abwicklungsfall in die richtige Richtung. Im konzeptionellen Bereich ist also sehr viel geschehen, aber umgesetzt ist noch viel zu wenig. Das ist schon sehr frustrierend.

In den vergangenen Jahren gab es im Bankenbereich einige ethische Verfehlungen wie den Libor-Skandal und die Causa ISDAfix. Wie sollen die Bürger da wieder Vertrauen zu den Banken finden?

Marktteilnehmer, die Referenzzinssätze zur Verfügung stellen, sollen nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Angesichts der erwähnten Manipulation gibt es aber im Hinblick auf Vertrauen eine immer schwieriger zu leistende Bringschuld der Finanzindustrie. Die Regulierung kann die Hürden für kriminelles Verhalten durch größere Manipulationssicherheit ganz sicher erhöhen. Letztlich müssen sich die Banken aber ethisch verhalten und Vertrauen zurückgewinnen. Dafür bedarf es im Banking eines Wertewandels.

Sie kommen aus dem Geschäftsbankenbereich, sind kunstsinnig und unterstützen Museen. Als kunstsinniger Bildungsbürger: Wie stellen Sie sich einen Banker vor?

Im Banking gibt es viele Möglichkeiten, sich zu entwickeln. Sie können im Heimatmarkt bleiben oder ins Ausland gehen, Sie können sich Richtung Investmentbanking orientieren oder im kommerziellen Kreditgeschäft bleiben. Da gibt es keinen allgemeingültigen Weg und insofern kein allgemeingültiges Bild eines Bankers. Einen gemeinsamen Nenner gibt es aber: das Bild des ehrbaren Kaufmanns. An diesem Grundprinzip sollten sich alle orientieren, nicht nur Banker. Und: Die Banker, die nur Banker sind, haben auf Dauer ein Problem. Man braucht durch Familie und Hobbys schon einen Ausgleich; man kann nicht nur Banker sein. Hier haben übrigens die am kurzfristigen Erfolg ausgerichteten Vergütungsstrukturen der Vergangenheit falsche Anreize gesetzt. Sie haben eine Gier geweckt, die dazu geführt hat, dass einige Banker vergessen haben, worin der Sinn ihrer Arbeit liegt - nämlich Dienstleister der Realwirtschaft zu sein. Was wir daher brauchen, ist der erwähnte Wertewandel, der genau das wieder in den Vordergrund rückt.

Ein Dilemma ist auch, wie man gute Regulatoren bekommt. Auch bei Ihrer Bestellung gab es die Kritik, dass ein Geschäftsbanker in die Bundesbank kommt.

Diese Kritik habe ich, ehrlich gesagt, nicht wahrgenommen. Die Reaktionen waren damals sehr positiv. Ich bin seit 40 Jahren der erste Geschäftsbanker im Vorstand der Bundesbank. Ich wurde quasi auch selbst einmal von der Bundesbank und der BaFin - also der deutschen Bankenaufsicht - reguliert und weiß letztendlich, wie sich das anfühlt. Wir brauchen alle Perspektiven. Wir brauchen die Perspektive der Volkswirtschaftslehre, wir brauchen die Perspektive der Bankaufsicht und wir brauchen die Perspektive der Geschäftsbanken. Eine gewisse Durchlässigkeit zwischen staatlichen Institutionen, Wissenschaft und Praxis halte ich für sehr, sehr wichtig. Das ist in Deutschland leider nicht sehr stark ausgeprägt.

Zur Person

Andreas Raymond Dombret (*16. Jänner 1960 in Des Moines, Iowa) ist ein deutsch-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Bankmanager. Von 2005 bis 2009 war bei der Bank of America tätig. Seit 1.Mai 2010 ist er Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank. Er betätigt sich auch in Österreich als Kunst-Mäzen und war auf Einladung des Salzburg Global Seminar in Österreich.