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Michael Häupl veröffentlichte dieser Tage seine Autobiografie. Im Interview reflektiert er auch über die aktuelle Politlage.
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Michael Häupl veröffentlichte nun seine Autobiografie "Freundschaft". Die "Wiener Zeitung" sprach mit dem Wiener Altbürgermeister über das Buch, die Vergangenheit und seine aktuellen Forderungen an die Politik.
"Wiener Zeitung": Bruno Kreisky soll einmal gesagt haben: "Wer als Junger nicht links ist, hat kein Herz. Wer aber als Älterer noch links ist, hat kein Hirn." Als Betagter hat er aber dann noch gemeint: "Je älter ich werde, desto mehr nähere ich mich den Idealen meiner Jugend wieder an." Wie ist das bei Michael Häupl? Michael Häupl: Würde man sich nicht weiterentwickeln, hätte man ja nichts gelernt. Ich vertrete heute insbesondere in der Staatstheorie völlig andere Positionen als in der Jugend. Zum Beispiel bei der Sozialpartnerschaft. Die muss man heute gegen die Rechten und die Neoliberalen verteidigen. Man kann auch heute nicht mit Mitteln des 19. Jahrhunderts die gesamte globalisierte Ökonomie erklären. Das sind nur zwei Beispiele. Ich bedauere aber, dass man sich nicht mehr mit fundierten Gesellschaftsanalysen auseinandersetzt. Aber das mit den Klassen ist nicht mehr so einfach. Die einfache Einteilung in Lohnabhängige und Selbständige ist ein Unfug. Dann wäre heute ein kleiner Marktfahrer ein böser Kapitalist und der Supermanager einer Bank ein armes, ausgebeutetes Proletenkind. Das muss man sich doch differenzierter anschauen.
Wie verlaufen denn heute die Klassenunterschiede?
Das ist von der sozialen Lage und vom verfügbaren Einkommen her anzusehen. Bei der Volkshilfe diskutieren wir über die verstärkte Armut durch die Pandemie, weil die Schere zwischen Arm und Reich wieder größer geworden ist. Auch die maßlose Polemik gegen die Sozialhilfe finde ich absurd. 80 Prozent aller Empfänger in Wien sind Bezuschusste! Das ist die Realität.
Sie waren doch früher immer ein Rebell. Sind Sie das jetzt vielleicht wieder mehr?
Ich hab schon ein heißes Herz. Aber ich war immer schon Pragmatiker. In der Studentenzeit war mein Thema die soziale Lage der Studenten. Meine erste Wortmeldung an einem Parteitag bildete eine Kritik an Kreisky wegen seines Umganges mit Simon Wiesenthal. Das war für mich ein Thema der Grundsätze.
Aber bei den damals geplanten Projekten am Flötzersteig, den Steinhofgründe und in Zwentendorf hat die Parteijugend mit Michael Häupl rebelliert. Haben Sie Verständnis für heutige jugendliche Rebellen?
Natürlich haben wir spektakuläre Dinge gemacht. Damit waren wir aber immer ganz nahe bei den Betroffenen. Das war nichts Abgehobenes und wir waren keine winzige Minderheit. Natürlich hatte damals die Parteispitze keine Freude mit uns. Aber wir haben aus inhaltlichen Gründen so handeln müssen. Auch bei der Friedensbewegung war das so. Kreisky und Helmut Schmidt waren für die Aufstellung der Pershing-Raketen, wir waren dagegen. Das sind inhaltliche Positionen, wie auch bei der Ablehnung der Atomkraft. Dazu stehe ich bis heute. Da habe ich keine Positionen ändern müssen.
Wären Sie noch jung, hätten Sie Demonstranten in der Lobau unterstützt?
Als Junge Generation wären wir damals sicher nicht gegen den Neubau von geförderten Wohnungen für 60.000 Menschen eingetreten. Nachvollziehbar ist die Diskussion, ob man heute noch einen Autobahnring um Wien will. Darüber kann man ja reden. Nicht aber über die Notwendigkeit eines leistbaren Wohnbaus in Wien. Das ist der Punkt: Die Stadtstraße ist keine Autobahn und gefährdet in keiner Weise die Lobau. Jetzt wird wieder auch dagegen in der Stadt demonstriert. Über die Proteste gegen Covid rege ich mich übrigens wirklich auf. Dass ausgerechnet die Partei, die früher jede Demo auf die Donauinsel verbannen wollte, heute die Leute aufhusst und in der Innenstadt selbst zum Teil aus dem Ausland zusammenholt und so die Wirtschaft schädigt, empört mich.
Fordern Sie einen restriktiveren Umgang mit Kundgebungen?
Ich möchte in keiner Form das Demonstrationsrecht beschränken. Aber mit den Anstiftern der FPÖ, den Identitären und der MFG würde ich härter inhaltliche Auseinandersetzungen führen. Man muss nicht gleich die Verbalradikalisierung des Kickl an den Tag legen. Der redet von "Falotten- und Verbrecherregierung". Den Hetzern ist entgegenzutreten! Vor denen würde ich mich nicht fürchten. Mit Menschen, die Angst haben, müssten wir aber mehr reden.
Was würden Sie denn Kickl sagen?
Er soll die Friedhöfe besuchen und an die fast 15.000 Toten denken. Er soll die Intensivstationen besuchen. Er soll sich endlich einmal schlau machen, seine Verantwortung gegenüber dem Staat und der Bevölkerung wahrnehmen. Vielleicht ist meine Art da eh nicht so gut. Denn ich sehe, dass die wirklich ruhige, besonnene und konsequente Art meines Nachfolgers als Bürgermeister ganz offenbar öffentlich Früchte trägt.
Also wenn der Bürgermeister so erfolgreich ist, was sollte dann die Parteivorsitzende tun, um an seinen Erfolg anzuschließen?
Sie macht das eh nicht schlecht. Immerhin ist die SPÖ bei den Umfragen jetzt schon die stärkste Partei. Aber es sollten ihr gelegentlich andere etwas abnehmen und sie besser unterstützen.
In Ihrem Buch sagen Sie, um Herzen von Zuhörern zu gewinnen, sollte man bei Politikerreden alle zehn Minuten einen "guten Schmäh" machen. Kennen Sie einen von Rendi-Wagner?
Na ja, die Entertainer sterben aus. Es muss nicht jeder so sein wie der Erwin Pröll oder ich. Es ist der Michi Ludwig erfolgreich und kein Entertainer und auch nicht der Peter Kaiser - und Hans Peter Doskozil sowieso nicht. Rendi-Wagner hat die Partei erfolgreich aus dem Tief geführt. Dass sie als Ärztin in der Pandemie nicht besonders humorvoll agiert, kann ich nachvollziehen. Bei einem Pam-Bashing mache ich sicher nicht mit. Die SPÖ gewinnt überall hinzu. Sie ist Teil dieses Erfolgs. Niemand schreibt darüber, dass die SPÖ etwa bei den Wahlen in Waidhofen über sechs Prozent zugelegt hat. Das habe ich nirgends gelesen. Sie wird runtergeschrieben.
Aber die schlimmsten Querschüsse kommen doch aus der eigenen Partei?
Ja, da gibt es schon Sachen, die finde ich nicht gut. Wenn man in ein Parteipräsidium eingeladen wird, sollte man auch hingehen und nicht sagen, man hat einen Sprechtag in Oberwart. Aber ein Landesobmann darf auch anderer Meinung sein wie die Bundespartei. Von diesem Privileg habe ich selbst in meiner Laufbahn reichlich Gebrauch gemacht.
Sie schreiben selbst in Ihrem Buch, ein Parteivorsitzender habe ein Recht auf Loyalität.
Das ist unbestritten. Da kann man andernfalls eh’ nur reden. Kaiser und Ludwig tun da auch das Ihre dazu.
Sie haben bei Ihrem Abgang öffentliche Zurückhaltung gelobt. Dann waren Sie eines Tages an der Spitze einer Demo in Wien. Wie das?
Ich habe versprochen, mich aus der Tagespolitik herauszuhalten. Aber es gibt für mich Grundsatzfragen. Das ist Armut in Gesellschaft und die Migrationsfrage. Mir wird niemals jemand erklären können, dass man voll integrierte, hier geborene Kinder aus der Schule herausreißt, aber verurteilte Verbrecher nicht abschiebt. Ich will so etwas auch nicht zur Kenntnis nehmen. Das sind Themen, wo ich mit vielen Freunden innerhalb und außerhalb der Sozialdemokratie gemeinsam eine Haltung beziehe.
Das heißt, hier werden Sie auch künftig öffentlich in Erscheinung treten?
Selbstverständlich. Das werde ich auch in Zukunft machen. Das entspricht meinen drei Funktionen, die ich noch innehabe. Das ist die Volkshilfe, der Wissenschaftsfonds und das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes. Die Auswahl ist kein Zufall.
Was sind denn die aktuellen Forderungen des Michael Häupl in diesen Grundsatzfragen?
Kinder, die hier geboren sind, darf man nicht abschieben. Örtliche Behörden, also etwa die Bürgermeister müssen ein Mitspracherecht haben. Dann brauchen wir die Finanzierung der Pflegereform, auch im Ausbildungsbereich. Bei der Armutsbekämpfung möchte ich eine Kindergrundsicherung. Mit der Aufstockung von Kinderbeihilfe und Kindergeld um 250 Euro könnte man die Kinderarmut komplett aus unserer Gesellschaft verschwinden lassen. Zufrieden bin ich mit der Finanzierung des Forschungsbereichs. Gerade Corona hat gezeigt, dass man mit ausreichend Geld ganz rasch Erfolge erzielen kann.
Was soll man einst mit dem Bürgermeister Häupl verbinden?
Mit dem, was jetzt ist, bin ich sehr zufrieden. Wien ist jetzt zwölften Mal zur lebenswertesten Stadt gewählt worden. Was mir noch wichtiger erscheint, ist die periodische Untersuchung der Universitäten über die Zufriedenheit der Bevölkerung, weil die erhebt auch sehr Kritisches. Man lernt so dazu, wo es Defizite gibt, und kann besser werden.
Gibt es ein Vermächtnis?
Das weiß ich nicht. So eitle Selbstbespiegelungen krieg’ ich irgendwie nicht richtig hin. Was mich aber freut: Jetzt bin ich bald vier Jahre nicht mehr im Amt. Wenn ich in einem Wirtshaus sitz’ oder auf der Straße gehe, reden mich viele Leute an. Manche wollen ein Autogramm, vor allem auch junge Leute wollen immer wieder ein Selfie. Und der populärste Spruch, den man mit mir verbindet, ist wohl: "Man bringe den Spritzwein."
Buchtipp~Michael Häupl - "Freundschaft"
Autobiografie
Brandstätter Verlag, 208 Seiten
ISBN/EAN 978-3-7106-0589-5