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Prozessauftakt um 45-Jährigen, der seinen Stiefbruder gezielt erschossen haben soll. Es sei ein Unfall gewesen, sagt er.
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Korneuburg. Eine Schmeichelei nach der anderen prasselt auf den Mann ein, der wegen Mordes an seinem Stiefbruder angeklagt ist. Da ist etwa sein Vater, der über ihn sagt: "Er ist ein Sohn, wie man sich ihn eigentlich nur wünschen kann." Oder der Arbeitskollege und Freund, der den Angeklagten als "intelligenten, guten, verantwortungsvollen Menschen" beschreibt. Er sei "kontrolliert und besonnen", meint eine Ex-Partnerin. Und sogar die Mutter des Getöteten sagt über den Angeklagten, ihren Stiefsohn: "Er war immer ruhig und sehr höflich." Nie habe sie ihn zornig erlebt.
Besonnenheit, Verantwortungsbewusstsein und Kontrolle - es sind Eigenschaften, die der Angeklagte laut Staatsanwaltschaft Korneuburg am 18. September 2015 vermissen ließ. Damals hat der 45-jährige Wiener mit seinem zwei Jahre jüngeren Stiefbruder gemeinsam gegrillt und reichlich Alkohol konsumiert. Plötzlich soll er ihn mit einem gezielten Schuss in den Kopf getötet haben. Der Angeklagte hatte sich deswegen vor einem Geschworenengericht des Landesgerichts Korneuburg (Vorsitz: Andrea Wiesflecker) zu verantworten.
"Möglicherweise ist Eifersucht das Motiv", meint Staatsanwältin Gudrun Bischof. Der Stiefbruder könnte ein Verhältnis mit der Ex-Frau des Angeklagten gehabt haben. Die beiden sollen per SMS Anzüglichkeiten ausgetauscht haben. Dem Angeklagten soll es möglich gewesen sein, diese Nachrichten auf seinem iPhone mitzulesen, da er und seine Ex-Frau denselben Apple-Account benutzten. Dadurch sollen SMS und Anrufe auf beide Geräte synchronisiert worden sein.
"Beste Freunde"
"Ich habe ihn geliebt, er war mein Bruder, mein bester Freund. Das Letzte, was ich hätte tun wollen, war, ihn zu verletzen", so der Angeklagte. Sein Stiefbruder sei bei einem Unfall gestorben, der Schuss habe sich unabsichtlich gelöst. Einen Tötungsvorsatz habe er nicht gehabt. Er sei allerdings der fahrlässigen Tötung schuldig.
Die Brüder arbeiteten zusammen bei einer in Wien tätigen Privatbank. Laut Zeugenaussagen sollen sie ein gutes Verhältnis gehabt haben. Arbeitskumpanen und Angehörige beschreiben sie unter anderem als "gute Kollegen", "beste Freunde", die aneinander respektiert haben.
Am Tag des Vorfalls sei man nach der Arbeit auf ein Bier gegangen, anschließend habe man gegrillt, sagt der Angeklagte. Es sei reichlich getrunken worden - laut Gutachten hatte der Angeklagte zum Tatzeitpunkt 2,2 Promille im Blut. Über die Arbeit und das "Dauerthema Frauen" sei gesprochen worden. Dann sei die "idiotische Idee" aufgekommen, sich die Waffen des Angeklagten anzuschauen. Er besitzt zwei Faustfeuerwaffen legal.
Er habe die Waffe aus dem Tresor geholt und hingelegt. Bei einer Waffe - einer Glock-Pistole - sei noch ein Magazin gesteckt. Wäre er nüchtern gewesen, hätte er wohl das Magazin abgesteckt. "Ich weiß nicht, wie es passiert ist. Wir reden ganz normal", sagt er und unterbricht dann. Der weiß-graue Gerichtssaal hüllt sich in Schweigen. Mit brüchiger Stimme fährt der Angeklagte fort.
Zuerst habe er geglaubt, dass die Kugel seinen Stiefbruder verfehlt habe. Dann könne er sich erinnern, dass "am Boden irrsinnig viel Blut war". Die Kugel traf den Stiefbruder oberhalb der linken Augenbraue. Eine Überlebenschance hatte er nicht. Er habe sofort an die Konsequenzen gedacht, an die zwei Kinder des Getöteten, an die Firma. Danach habe er Erinnerungslücken, sagt er.
"Gezielter Schuss"
Die Version des unabsichtlichen Schusses glaubt Staatsanwältin Bischof ihm nicht. Er habe "entgegen seinen Angaben einen gezielten Schuss" auf seinen Bruder abgegeben. Das würden unter anderem das Gutachten der Blutspuren-Expertin Silke Brodbeck, die Auswertung von Handy-Daten und sonstige Spuren ergeben. "Das Motiv spielt nicht die zentrale Rolle. Diese kommt den objektiven Spuren und Beweisen zu."
"Für jeden Mord braucht man ein Motiv", sagt hingegen Verteidiger Rudolf Mayer. Nie sei zwischen dem Angeklagten und seinem Stiefbruder ein böses Wort gefallen, die Polizei habe einseitig gegen seinen Mandanten ermittelt. Dieser habe "in bodenlosem Leichtsinn mit einer Waffe herumgetan". Der Angeklagte wisse, was er angerichtet habe.
"Kolleginnen vermittelt"
Die Ex-Frau ist eine am Straflandesgericht Wien tätige Staatsanwältin. Um keinen Anschein der Befangenheit zu erwecken, war der Fall von Wien nach Korneuburg delegiert worden. Dass sein Stiefbruder mit seiner Ex-Frau ein Verhältnis habe, habe er nie vermutet, sagt der Angeklagte. Sein Bruder habe den Kontakt zu ihr benutzt, um andere Staatsanwältinnen kennenzulernen.
"Es war bekannt, dass sie ihm Kolleginnen vermittelt, Singles." Mit seiner Ex-Frau - die beiden trennten sich 2013 und ließen sich 2015 einvernehmlich scheiden - habe er eine für "Dritte schwer zu erklärende Beziehung geführt". Man sei auch nach der Trennung noch auf gemeinsame Reisen gegangen, habe im selben Bette geschlafen, aber keinen Sex gehabt. "Ich liebe sie heute noch."
Auch das Video von der Tatrekonstruktion wird nach der Mittagspause gezeigt. Aus diesem geht hervor, dass der Angeklagte kurze Zeit vor dem Schuss seiner Ex-Frau eine SMS geschickt und sie aufgefordert hat, sie solle vorbeikommen. Auf Bitte seines Bruders habe er die Staatsanwältin gebeten, "Gras mitzubringen", gab er bei dem Lokalaugenschein in seiner Wohnung an.
Am Dienstag sollen die Sachverständigen befragt werden. Am Mittwoch soll voraussichtlich das Urteil fallen.