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"Ich habe nur den Mund zugehalten"

Von Daniel Bischof

Fünf bis sechs Jahre Haft für Jugendliche, die Frau auf Toilette am Praterstern vergewaltigt haben sollen. Nicht rechtskräftig.


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Wien. Es sind nur noch wenige Minuten, ja gar Sekunden, bevor sich der Schöffensenat zur Urteilsberatung zurückzieht. Gesenkten Hauptes sitzen die Angeklagten da, als ihnen der vorsitzende Richter, Norbert Gerstberger, das Schlusswort erteilt. "Ich bereue es, würde es nie wieder machen", gibt sich einer der Jugendlichen reumütig. "Ich weiß nicht, wie ich das wiedergutmachen kann", fragt sich ein anderer. Leise, aber doch hörbar, kommentiert Gerstberger trocken: "Wahrscheinlich gar nicht."

Reue. Geständnis. Wiedergutmachung. Strafe. Es waren einige der Stichwörter, um die es am zweiten Verhandlungstag des Strafprozesses um eine Vergewaltigung am Wiener Praterstern ging. Drei jugendliche, afghanische Flüchtlinge sollen eine türkische Erasmus-Studentin im April 2016 auf einer Toilette am Praterstern überfallen und vergewaltigt haben. Laut Anklage sollen sie den Kopf des Opfers gegen die WC-Muschel geschlagen und sie gewürgt haben. Am Dienstag hatten sie sich deshalb vor einem Schöffensenat des Straflandesgerichts Wien zu verantworten.

Bereits beim Prozessbeginn Anfang Dezember hatten sich die Jugendlichen schuldig bekannt, wobei sie teilweise ihre Schuld relativierten. "Ich habe das Gesetz nicht gebrochen", behauptete damals etwa ein 16-jähriger Angeklagter. Er habe der Frau den Mund zugehalten, während die anderen zwei Jugendlichen sie missbrauchten. Vergewaltigt habe er sie aber nicht, behauptete er.

Am Dienstag wird seine Behauptung von einem Gutachten bestätigt. Laut der medizinischen Sachverständigen Christina Stein konnten "keine direkten Spuren von Vaginalsekret auf seinem Penis" nachgewiesen werden. Gerstberger hält dem 16-Jährigen daraufhin die Aussage des Opfers vor, laut der er ihr absichtlich auf die Brust und den Oberschenkel gegriffen habe. "Ich habe nur den Mund zugehalten", sagt der Angeklagte dazu. "Die Frau lügt also?", fragt Gerstberger. "Ich habe keine Erklärung. Ich weiß es nicht", gibt der Jugendliche an.

Alle drei Jugendlichen befinden sich in Untersuchungshaft. Im Gefängnis soll insbesondere der 16-Jährige Probleme verursachen. Einmal soll er etwa eine Justizwachebeamtin angegriffen und mit den Worten "Bitch. I fuck you" beschimpft haben. Laut Staatsanwaltschaft wurde hinsichtlich dieses Vorwurfs bereits ein Strafantrag gestellt.

Frau bereits einvernommen

Die Studentin wurde bereits im Ermittlungsverfahren einvernommen. Gehört wurde sie auch durch einen selbstverfassten Brief, den ihre Opfervertreterin, Sonja Aziz, bei Prozessbeginn vorgelesen hatte. "Ich zweifle an mir, an meinem Blick auf die Welt. Ich verspüre immer noch Ekel", hieß es darin.

"Bis heute hat meine Mandantin keine Entschuldigung von den Männern erhalten", sagt Aziz in ihrem Schlussplädoyer. "Die Angeklagten haben sich nicht reumütig gezeigt." Ihre Mandantin - sie ist wieder in die Türkei zurückgekehrt - könne sich niemanden anvertrauen: "Es ist eine Schande, darüber zu sprechen." Die Angeklagten hätten doch gar keine Möglichkeit gehabt, sich bei dem Opfer zu entschuldigen, kontert der Verteidiger des Zweitangeklagten, Martin Mahrer.

Hitzig wird auch über einen Antrag des Drittverteidigers, Robert Pohle, diskutiert. Er hatte im Laufe des Strafverfahrens die Einholung eines rechtssoziologischen Gutachtens in den Raum gestellt. In diesem sollte untersucht werden, ob die Angeklagten von ihrer Herkunft her hätten wissen können, dass sie etwas Unrechtes tun. Die Staatsanwaltschaft Wien dürfte daraufhin überlegt haben, eine Disziplinaranzeige gegen Pohle einzubringen.

In seinem Plädoyer verweist Pohle auf seine Position als Strafverteidiger, der seinen Mandanten lege artis - nach den Regeln der Kunst - zu verteidigen habe. Die Angeklagten würden aus einem Gebiet kommen, wo es fraglich sei, ob sie überhaupt in der Lage seien, "unsere Rechtsansichten zu verstehen". Als "lächerlich" bezeichnet Gerstberger diese Irrtumsproblematik. Einer der Angeklagten habe selbst gesagt, er würde denjenigen umbringen, der so etwas mit seiner Schwester machen würde, so der Richter.

Kein reumütiges Geständnis

Das Geständnis der Angeklagten sei zudem kein reumütiges. Das "Ich bin schuldig" sei ein bloßes Lippenbekenntnis. Mildernd seien die bisherige Unbescholtenheit der Angeklagten und ihre äußerst ungünstigen Lebensverhältnisse, erklärt Gerstberger. "Damit hat es sich aber schon." Die mehrfache und qualvolle Tatbegehung; das Ausnützen der wehrunfähigen Situation des Opfers; der Umstand, dass drei Täter gegen ein Opfer vorgingen, wertet der Schöffensenat als erschwerend.

Der Frau, welche sich dem Verfahren als Privatbeteiligte angeschlossen hatte, werden - wie beantragt - 24.310 Euro Schmerzensgeld zugesprochen.

Da die Angeklagten zur Tatzeitpunkt unter 18 waren, gilt für sie ein reduzierter Strafrahmen: null bis siebeneinhalb Jahre. Zu einer unbedingten, sechsjährigen Freiheitsstrafe werden zwei Angeklagte verurteilt. Der 16-Jährige erhält fünf Jahre. Er sei Mit- und nicht nur Beitragstäter. "Wenn einer die Frau festhält und ein anderer sie vergewaltigt, sind beide Haupttäter der Vergewaltigung", hält Gerstberger fest. Die beim Jugendlichen attestierte Entwicklungsverzögerung sei jedoch bei der Strafbemessung berücksichtigt worden.

"Dass sie nach der Haft ein Aufenthaltsrecht bekommen, kann ich mir schwer vorstellen", sagt Gerstberger zu den Jugendlichen. Die drei Angeklagten verzichten auf Rechtsmittel. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig, da die Staatsanwaltschaft keine Erklärung abgab.