Angeklagte weisen Verantwortung für Massenmord zurück.
| Premier Hun Sen will keine weiteren Prozesse.
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Phnom Penh. "Ich war nie mehr als ein einfacher Mann, der versucht hat, für sein Land seine Pflicht zu tun", schrieb Khieu Samphan in einem offenen Brief. Dabei war der 79-Jährige während der Herrschaft der Roten Khmer von 1975 bis 1979 Präsident von Kambodscha – und das war die Zeit der Foltergefängnisse, der Arbeitslager, der Deportationen, des staatlich verordneten Massenmordes an der eigenen Bevölkerung.
Der Mann, der nur seine Pflicht tat, muss sich ab Montag vor dem Rote-Khmer-Sondertribunal in Phnom Penh verantworten: Das Gericht, das aus ausländischen und kambodschanischen Juristen besteht, wirft Khieu Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord vor. Mit auf der Anklagebank sitzen der frühere Chefideologe Nuon Chea, Ex-Außenminister Ieng Sary und dessen Frau, Ex-Sozialministerin Ieng Thirith. Sie alle sind mittlerweile zwischen 79 und 85 Jahre alt.
Die restlichen Beschuldigten fahren dieselbe Verteidigungslinie wie Khieu, die auch von anderen Prozessen gegen Schergen von mörderischen, diktatorischen Regimen nur allzu bekannt ist: Sie hätten nur Befehle ausgeführt und von den Gräueltaten nichts gewusst.
Dabei gehörten sie allesamt zu den engsten Vertrauten des mittlerweile verstorbenen "Bruders Nummer eins" der Roten Khmer, Pol Pot, und gaben die ideologischen Leitlinien mit vor. In einer Mischung aus Kommunismus und krudem Nationalismus sollte Kambodscha von allen ausländischen Einflüssen abgeschottet und in einen reinen Agrarstaat verwandelt werden.
Die Städte wurden geräumt, die Bevölkerung musste Fronarbeit am Land verrichten und eine schwarze Einheitskleidung tragen. Überall sah das paranoide Regime Saboteure; buddhistische Mönche oder Universitätsabgänger galten als Feinde und wurden hingerichtet. Fast zwei der damals acht Millionen Kambodschaner starben an Unterernährung, mangelnder medizinischer Versorgung – oder wurden ermordet.
Spuren bis heute
Bis heute zeigen sich die Spuren der Ära der Roten Khmer. Auf den sogenannten Killing Fields kommen noch immer Skelettknochen und Totenschädel zum Vorschein. Viele Überlebende sind traumatisiert und leiden unter Angstzuständen.
Dementsprechend wütend reagieren viele Opfer der damaligen Zeit darauf, dass die Rote-Khmer-Führer jegliche Verantwortung von sich schieben. Bis auf ein paar Apologeten des Regimes zweifelt in Kambodscha niemand an der Schuld der Angeklagten.
Doch wie bei vielen derartigen Prozessen wird die Schwierigkeit darin bestehen, die Befehlskette bis hin zu den höchsten Kadern zu rekonstruieren. Die Anklage besitzt etwa das Dokument einer Sitzung, bei der drei Beschuldigte anwesend waren und der Bau eines Flugfelds beschlossen wurde. Dort wurden Zwangsarbeiter "getötet oder starben an Erschöpfung und verhungerten", sagte Staatsanwalt Andrew Cayley gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.
Zudem hofft die Anklage, den Pol-Pot-Schergen anhand von anderen Dokumenten und Zeugenaussagen die Verantwortung für weitere Tötungen und auch Zwangsehen nachweisen zu können. Frauen wurden gezwungen, Rote-Khmer-Soldaten zu ehelichen. So sollten treue Diener der Revolution gezeugt werden.
Doch nicht nur die Beweiskette macht Sorgen, sondern auch das fortgeschrittene Alter der Angeklagten. Es wird damit gerechnet, dass wegen des schlechten Gesundheitszustandes der Ex-Politgrößen sich der Prozess immer wieder verzögert – und dies auch von der Verteidigung durch entsprechende Anträge gefördert wird.
Schon das Vorverfahren dauerte etwa drei Jahre. Es ist nun der zweite Prozess vor dem Tribunal. Im vergangenen Jahr wurde der Leiter des berüchtigten Foltergefängnisses S-21, Kaing Guek Eav alias Duch, zu 35 Jahren Haft verurteilt, von denen ihm aber 16 Jahre erlassen wurden.
Streit am Tribunal
Ob es noch zu weiteren Anklagen gegen hochrangige Vertreter der Roten Khmer kommt, darüber ist innerhalb des Tribunals offenbar ein Streit entbrannt. Mehrere ausländische Mitarbeiter sind bereits zurückgetreten. Das Gericht hatte Anfang Juni vorerst entschieden, auf eine Anklage gegen zwei weitere Rote-Khmer-Schergen, deren Namen aber nicht genannt wurden, zu verzichten. Dabei soll es starke Anhaltspunkte gegeben haben, dass die beiden für den Tod tausender Menschen verantwortlich sind.
Dem starken Mann Kambodschas, dessen Wille Gesetz ist, wird es recht sein. Ministerpräsident Hun Sen hat ganz offen verkündet, dass er keine weiteren Anklagen mehr wünscht. Hun gehörte selbst den Roten Khmer an, bevor er zu den Vietnamesen überlief, die das Pol-Pot-Regime schließlich stürzten. Auch anderen Politikern und Militärs dürfte nicht viel an einer Fortsetzung des Tribunals liegen: Viele hochrangige Vertreter Kambodschas gehörten früher den Roten Khmer an.