Disput im Straßenverkehr endete mit elf Schüssen und einem Schwerverletzten. Das Schwurgericht entschied auf versuchten Mord.
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Wien. Es hatte relativ harmlos begonnen. Seinen Bekannten wollte Herr S. am 15. August 2018 in Favoriten mit dem Auto nach Hause bringen, als hinter ihm jemand zu hupen begann. Mehrmals fuhr ihm der Mann knapp auf, auch die Lichthupe betätigte er.
Wenige Minuten später lag der Verfolger blutüberströmt auf der Straße. Mehrmals hatte Herr S. auf ihn geschossen und dabei auch seinen Darm getroffen. Der Verletzte überlebte nur dank intensivmedizinischer Betreuung.
Was zwischen der Verfolgung und der Schussabgabe geschah, darüber hatten am Dienstag acht Geschworene am Wiener Straflandesgericht beraten. Das Gericht folgte letztlich der Anklage, und entschied auf versuchten Mord. Das Schwurgericht (Vorsitz: Sonja Weis) verhängte über den bisher Unbescholtenen eine zehnjährige Freiheitsstrafe.
Die Staatsanwaltschaft Wien erklärte, S. habe den Mann kaltblütig niedergeschossen. Das stimme nicht, er habe in Notwehr gehandelt, sagte der Angeklagte.
Der große und muskulöse 21-Jährige hatte vor seiner Festnahme als Türsteher vor einem Club in Wien gearbeitet. Dort seien regelmäßig Waffen abgegeben worden, darunter auch die später eingesetzte Pistole, so der gebürtige Serbe. Der Besitzer habe die Pistole nicht mehr abgeholt. Deswegen habe er sie "aus Dummheit" mitgenommen und im Auto verstaut, um sie vorläufig zu verwahren.
"Habe Angst bekommen"
Am Vorfallstag war S. zunächst in der Wohnung seiner Großmutter, wo er ihre Blumen goss. Nachdem S. einen Bekannten getroffen und mit ihm ein Eis gegessen hatte, wollte er ihn nach Hause chauffieren. Er sei in einer 30er-Zone die vorgeschriebene Geschwindigkeit gefahren, als der Drängler und dessen Beifahrer hinter ihm aufgetaucht sein. Er habe im Rückspiegel gesehen, wie die beiden so getan haben, als würden sie ihren Hals durchschneiden. "Ich habe Angst bekommen", sagte er.
An der Kreuzung Leibnizgasse-Davidgasse blieben die Autos bei einer roten Ampel stehen, die Männer stiegen aus. Sein Kontrahent habe "tschetschenisch ausgeschaut", erklärte S. Da er Knieprobleme und einen gebrochenen Mittelhandknochen hatte, habe er sicherheitshalber die geladene Waffe mitgenommen.
"Ich bring’ dich um", habe der Mann zu ihm gesagt. "Ich habe gesehen, dass er etwas in der Hand hatte, das wie eine Waffe ausgeschaut hat", sagte S. Er habe den Mann aufgefordert, stehen zu bleiben, doch immer näher sei dieser auf ihn zugekommen. Daher habe er auf den Boden geschossen. Wie der Mann - er wurde in den Ober- und Unterschenkel, ins Gesäß, unter der Achsel und am Oberarm getroffen - denn all diese Verletzungen davongetragen habe, wenn er nur auf den Boden gezielt habe, fragte die vorsitzende Richterin Sonja Weis den Angeklagten. "Es kann sein, dass sich die Waffe verzogen hat", meinte S.
"Ich war in Panik"
Nach dem Vorfall fuhr S. nach Serbien. Warum er denn nicht zur Polizei, gegangen sei, wenn er sich als Opfer gesehen habe, fragte Richterin Weis. "Ich war in Panik, ich wollte nur weg von dort", schilderte der Angeklagte. Auch habe er niemanden gehabt, mit dem er darüber reden könne: "Alle waren auf Urlaub."
Der Angeschossene schilderte einen anderen Hergang. Der 27-jährige Tschetschene räumte ein, dass er sich über den langsam vor ihm fahrenden S. geärgert und ihn angehupt habe. Bedroht habe er S. aber nicht, auch bewaffnet sei er nicht gewesen.
Bei der Kreuzung habe S. ihm "Komm raus" zugerufen. Als er ausgestiegen sei, habe der Angeklagte schon die Schusswaffe auf ihn gerichtet. "Ich hab’ gedacht, er macht Spaß. Dann hat er angefangen zu schießen."
Ein Ehepaar, das zufällig Zeuge der Schießerei wurde, bestätigte, beim Angeschossenen keine Waffe gesehen zu haben. Dieser habe dem Angeklagten zwar lautstark etwas zugerufen, dabei aber nicht sonderlich bedrohlich gewirkt.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. S. erbat Bedenkzeit, der Staatsanwalt gab vorerst keine Erklärung ab.