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Als akademischen Jungbrunnen erleben viele ältere Semester ihr Studium an der Universität. Dabei leben die Pensionäre mit den jungen Kollegen zumeist in trauter Harmonie - und kämpfen mit denselben Problemen.
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Jetzt herrscht endlich Hochbetrieb. Ganze Heerscharen von Studenten zwängen sich durch die Gänge, reißen die Wiener Hauptuniversität aus sommerlichem Dornröschenschlaf: Am Montag, 6. Oktober 2003 - dem ersten "richtigen" Tag im neuen Semester. Auch Richard Zischinsky ist da unterwegs. Und hat es wie viele Kollegen sichtlich eilig. Schließlich will er seine Vorlesung über ostasiatische Völker nicht verpassen und die Freunde sind bereits im Hörsaal.
Dass sich der Herr so sputet, hängt allerdings weniger mit Leistungsdruck zusammen. Weder Eltern noch Vater Staat ballen die Faust über ihm. Richard Zischinsky hat den Ernst des Lebens längst hinter sich: Er ist Pensionist. Und als solcher darf er - im Unterschied zum Gros der Kollegen - den Lektoren aus reinem Interesse lauschen. Einen akademischen Grad peilt er nicht mehr an: Schließlich sei er bereits Magister. "Und einen zweiten brauch' ich nicht für den Grabstein. Aber ein Hobby muss man in der Pension haben - sonst verblödet man ja ganz."
Auf du und du mit Jungen
"Ein bisschen das Hirn anregen" wollen auch zwei jung gebliebene Damen im Alten AKH, wo beide im Nebenfach Kunstgeschichte studieren. Mit den anderen Studenten verstehen sie sich blendend: "Bisher haben wir nur nette kennen gelernt", schwärmt die ehemalige Kinderärztin. Nur "viel zu viel Respekt" hätten sie, wie ihre agile Freundin einwirft: "Die trauen sich überhaupt nicht, 'du' zu sagen. Aber wenn man's ihnen anbietet, dann sind sie richtig dankbar. So baut sich ein vertrauensvolles Verhältnis auf." Andere Barrieren für Pensionisten können beide kaum orten - bis auf das Internet vielleicht: Zu gewissen Lehrveranstaltungen kann man sich nur mehr im Web anmelden. Und dort seien manch ältere Semester nicht firm.
Folgt man einem eher skeptischen Seniorenstudenten der Geschichte (Beauskunftung erst nach Herausgabe eines Presseausweises), liegen die wahren Probleme aber ganz woanders: Wichtige Lehrveranstaltungen fänden nicht statt, ebenso wenig Diplomanden- und Dissertantenseminare. Was sowohl die Studienzeit verlängere wie die Qualität der Abschlussarbeiten mindere. Und all das habe sich seit Einführung der Studiengebühren noch verschlechtert. Ob das jedoch nicht eher allgemeine Probleme sind? Natürlich - aber sie träfen eben auch die Senioren.
Gleiche Freude, gleiches Leid
Dass sich Alt- wie Jungstudenten Freud und Leid teilen, kann Jörgen Ferré Jensen nur bestätigen. Seit zwei Jahren ist der gebürtige Däne als Ansprechpartner für Senioren am Sozialreferat der ÖH tätig. Was ihm an Klagen zu Ohren kommt, betrifft durchwegs akademisches business as usual. Wie manch armer Jungstudent leiden etwa Mindestrentner unter den Studiengebühren, viele erbosen sich über die kilometerlange Warteschlange bei der Erstinskription - was gebrechliche Pensionisten allerdings auf eine besonders harte Probe stellt. Von besonderen Beschwerden körperlicher Natur hört er indes nicht.
Was Jensen selbst lobt, ist die Möglichkeit, hierzulande so unmittelbar mit der Jugend zu studieren. Das sei ja nicht überall möglich: In seinem Heimatland gäbe es für reifere Studiosi spezielle Uni-Abteilungen. Und dass die Generationen hier eher mit- als gegeneinander büffeln, bestätigt ein anderer Altstudenten mit internationaler Erfahrung: "Eine erfreuliche Solidarität mit den jüngeren ist hier festzustellen", lobt da der juvenile Heinrich Leopold, spät berufener Philosophiestudent. In Berlin habe er zuvor ein wenig vom Generationenkonflikt gespürt.
Kein Anschluss?
Von der Kollegialität ihrer Mitstudenten ist etwa Margaretha Strauss auf der Theologie angetan. Als viel beschäftigte Rentnerin habe sie nicht für jede Vorlesung Zeit. Da besorgen ihr liebe Kameraden zuweilen die Unterlagen. Dass sie noch mit dem Studium fertig wird, glaubt sie freilich nicht: Nebenher engagiert sie sich bei karitativen Sammlungen, in der Familie und schreibt außerdem Märchenbücher. "Am liebsten möcht' ich vier Leben haben", seufzt die ehemalige OP-Schwester. Ein wenig verlassen fühlt sich die rüstige Dame auf der Uni aber dennoch: "Als alter Mensch findet man keinen Anschluss. Auch wenn die Jungen lieb sind - man hat's schwer". Wie die vitale Studentin anregt, sollten sich die Uni-Senioren einfach mehr organisieren.
Nur keine Extrawürste
Lust auf veritable Senioren-Trupps haben die meisten älteren Semester aber nicht. Was vielleicht auch erklärt, warum die regelmäßig abgehaltenen Pensionistenabende von ÖH-Mann Jensen eher spärlich besetzt sind. Da mischen sich viele "Oldies" lieber unters bunte Jungvolk - wie etwa die zwei Damen von der Kunstgeschichte.
Auch andere spezielle Senioren-Services scheint man nicht zu missen: Hier herrscht Ablehnung - und das quer durch die Bank. Aber vielleicht riecht die Frage ja zu sehr nach Förderunterricht. "Wennst di ned ganz deppert benimmst, bist boid dabei", argumentiert etwa ein reiferer TU-Student die Unnötigkeit derlei Extrawürste in breitem Wienerisch. Und auch Theologiestudent Erwin Brosina verbittet der Alma Mater jedwede Bemutterung: "Entweder man fügt sich in diese Gemeinschaft ein oder man soll's bleiben lassen."
Dass sich Brosina selbst längst eingefügt hat, steht wohl demnächst schon auf einem ganz anderen Blatt: Schließlich feilt der ehemalige Firmendirektor, dem das Studieren einfach Spaß macht, zurzeit an der Diplomarbeit. Und sein Schaffensdrang ist noch lang nicht versiegt: Ein nachfolgendes Kirchenrechtsstudium ist bereits angedacht.
Stichwort: Seniorenstudenten
Etwa 10.000 Senioren studieren in Österreich. Bei der ÖH weiß man, dass viele davon Geschichte inskribiert haben. "Viele, die wegen des Krieges oder der familiären Situation kein Geld zum Studieren hatten, wollen das nun nachholen und sich das gönnen", erzählt Andreas Wohlmuth vom SPÖ-Pensionistenverband im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Unangenehm seien für sie - genauso wie für die Jungen - desolate Räume sowie die Studiengebühren, die bei einer durchschnittlichen Pension von 950 Euro brutto ein Problem seien.
Die ÖH Wien veranstaltet jeden ersten Montag im Monat im Uni-Bräuhaus (9., Spitalgasse 2-4/Hof 1) ab 18 Uhr einen Stammtisch, der Seniorenstudenten ein zwangloses Kennenlernen von Kollegen ermöglichen und ein Forum zum Gedankenaustausch bieten soll.
http://www.oeh.univie.ac.at/referate/soziales.htm