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"Ich hatte Angst, ich kann das nicht"

Von Florentina Höhs

Politik

Nidal Jeitler flüchtete 2015 einen Monat lang, über die sogenannte Balkanroute, von Syrien nach Österreich – und schildert fünf Jahre später nun einige Eindrücke im Interview mit der "Wiener Zeitung".


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Wiener Zeitung: Wie sind Sie 2015 nach Österreich geflüchtet?

Nidal Jeitler: Aus Syrien habe ich einen Flug in die Türkei genommen. In Izmir habe ich dann einen Tag gewartet, bis mir meine Kontaktpersonen das O.K. für die Weiterreise nach Athen gegeben haben. Ich habe mir gesagt: "O.K., heute geht’s los." In dieser Zeit wusste ich noch gar nicht richtig, wo ich hin soll. Das ist alles neu, alles ging so schnell. Wir fuhren also mit dem Bus Richtung Meer, haben Stunden gewartet, versteckt, wegen der Polizeikontrollen. Um 5 Uhr in der Früh kommt ein Mann mit zwei Schlauchbooten. Auf jedem haben 25 Leute Platz. Wir haben die Schlauchboote aufgepumpt und los geht’s. Aber nach 10 Metern war ein Boot kaputt. Wir mussten aber alle jetzt fahren, kaum wer wollte da bleiben. Also setzen sich 40 Leute in ein Boot, auch viele Frauen und Kinder.

Einen Monat braucht Nidal Jeitler für seine Flucht aus Syrien.
© Privat

Sie sind also mit dem Boot übers Meer gefahren?

Ja. Das ist so gefährlich gewesen. Wir sind eine Stunde gefahren, nachdem wir das türkische Gewässer durchquert haben und im internationalen waren, ist die griechische Polizei gekommen und wollte, dass wir umkehren, weil sie uns nicht wollten. Viele haben zu weinen begonnen, einige haben gesagt, wenn wir jetzt ins Wasser springen, bekommen wir Hilfe. Ich habe gesagt, dass wir das nicht machen sollten. Die Polizei ist dann weggefahren, hat uns da zurück gelassen. Dann kam türkische Polizei, hat unser Schlauchboot mit Wasser angetrieben und uns so ins griechische Gewässer gebracht. Jetzt musste uns Griechenland helfen und wurden in ein kleines Camp, so ungefähr in der Größe von Traiskirchen, in oder der Nähe von Athen gebracht, haben da Papiere für 72 Stunden bekommen. Danach müssen wir das Land verlassen.

Was haben sie in diesen drei Tagen gemacht?

Ich musste irgendwie nach Mazedonien gelangen. Ich war nur mehr einen Kilometer von der Grenze entfernt, aber innerhalb von diesem einen Kilometer gibt es so viel Mafia. Sie warten mit dem Messer und haben gesagt: "Wenn du nach Mazedonien willst, muss du zahlen, dann darfst du gehen." Ich habe gesagt: "O.K. ich zahle, aber erst, wenn ich in Mazedonien bin, nicht hier." Die Mafia, Schlepper, war aus Afghanistan und hat uns zu einem Güterzug gebracht. Wir sind eingestiegen und ich kann nicht einmal einen Zentimeter weit sehen. Nach fünf Minuten weiß ich schon nicht mehr, was passiert. Ich weiß nicht, ob ich geschlafen habe. Ich glaube, es liegt daran, dass ich keine Luft bekommen habe. Ich habe nämlich Asthma. Um 4 Uhr ist die Tür plötzlich offen und die Polizei hat auf uns gewartet. Aber ich bin schnell gelaufen, und die Polizei hat gerufen "Stopp, stopp", aber ich habe nicht darauf gehört.

Also waren sie in Mazedonien?

Jeden Tag bin ich 5 bis 10 Kilometer gegangen. Nach 200 Kilometern ist die Polizei gekommen und hat mich zurück geschickt. Vor der Grenze zu Serbien ist wieder ein Güterzug gekommen. Ein Mann sagte mir: "Du kannst mitfahren. Wenn es eine Kontrolle gibt, bleibe ich nicht stehen, sondern fahre langsamer und du läufst weg." Ich habe "danke" gesagt und bin mitgefahren. Nach 15 Kilometern kam die Polizeit. Der Mann hat gesagt: "Du musst jetzt vom Zug springen", aber der war 60 oder 70 km/h schnell. Ein Freund und ich sind runtergesprungen. Und ich bin zu Fuß weiter. Dann kam wieder Mafia und sagte, ich kann hier nicht mehr weitergehen, sondern in eine Wohnung mitkommen und mit ihnen reden. Dort waren 200 oder 300 Leute. Und es sind sehr viele Männer mit Messern. Der Chef wollte mit mir sprechen, der hatte Geld und so viel Kokain vor sich liegen. Ich habe ihn gefragt: "Was brauchst du von mir?" Er hat gesagt, pro Mann 800 Euro.

Das haben Sie dann bezahlen müssen?

© Privat

Ja. Ich habe insgesamt von der Türkei bis hierher 6000 Euro bezahlen müssen, alles für Schlepper.

Nach Serbien kamen Sie dann nach Ungarn?

Ich bin im Taxi Richtung Ungarn gefahren, an der Grenze waren schon 1000 Flüchtlinge. Die Polizei ist gekommen, hat alle mitgenommen. Ich hatte mich versteckt und bin, als die Polizei weg war, schnell nach Ungarn gegangen. In Ungarn warten wieder sehr viele Leute. Ich habe mit einem Taxifahrer gesprochen und gesagt, ich brauche eine Fahrt für eine Person nach Österreich. Er hat gesagt: "Ich komme in zwei Stunden und es kostet für dich 1500." Ich habe O.K. gesagt, und nach zwei Stunden ist er gekommen. Ich war im Kofferraum, habe nichts gesehen. Als der Kofferraum aufging, hat er gesagt: "Du bist in Wien."

Gingen Sie dann zur Polizei?

Nein, ich bin in Wien zu McDonalds gegangen, habe WiFi gebraucht, habe mit einem Freund geredet. Er hat gesagt, dass ich nach Traiskirchen muss. Also bin ich dort hingefahren, da waren damals schon ganz viele Leute dort. Ich war eine Woche in Traiskirchen und dann hatte ich einen Transfer in die Arena Nova.

In die Arena Nova in Wiener Neustadt, dort wo normalerweise Konzerte stattfinden?

Dort haben 250 Leute in einem Raum zusammen geschlafen. Nach einem Tag habe ich Stress gemacht. Ich hatte Angst, ich kann das nicht. Mein Körper war kaputt. Ich habe gesagt, ich muss da raus, zurück nach Syrien.

Warum das?

© Privat

Wegen der vielen Leute nach Wochen im Freien. Wenn ich mein Handy neben mich legen würde, wäre es nach einer Minute weg. Eine Frau, die ist jetzt eine Freundin von mir, hat mich beruhigt und gesagt: "Du bist jetzt in Österreich", hat sie zu mir gesagt: "Ich weiß, das ist sehr schwierig und morgen ist es schon nicht mehr so schwer wie heute." Ich habe zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewusst, dass es ein Später gibt. Dass es eine Suche nach einer Wohnung geben wird, dass es einen Deutschkurs gibt. Ich wusste das nicht. Niemand von den Flüchtlingen weiß das. Das war alles neu für mich. Gott sei Dank, gibt es so viele gute Leute, die mir geholfen haben.

Waren die Leute, denen Sie damals Österreich begegnet sind, alle hilfsbereit?

Alle Leute haben mir damals geholfen. So viele sind in die Arena Nova gekommen und haben mich gefragt, ob ich was brauche. Es hat jeden Tag Transfer für einige Leute gegeben. Und wir haben gewartet. Viele Leute sind nach Graz gegangen, nach Salzburg und ich bin jeden Tag nach Wiener Neustadt spazieren gegangen. Ich mag Wiener Neustadt. Eine Frau hat mir Shampoo, Kuli und Papier gebracht und Medikamente gegen Zahnschmerzen und viel Kleidung, weil damals regnete es viel. Ich habe die Kleidung auch in der Arena Nova verteilt. Wir haben uns immer wieder in Wiener Neustadt getroffen und geredet. Sie hat mich gefragt, ob ich in Wiener Neustadt bleiben möchte und ich habe gesagt: "Ja, aber ich brauche eine Wohnung." Wir haben eine gesucht und nach 10 Tagen war ich aus der Arena Nova weg. Ich war nur 10 Tage dort, Gott sei Dank.

Nidal Jeitler, 39, lebt nach wie vor in Wiener Neustadt als
Asylberechtigter. Er war ihm gleich nach der Ankunft enorm wichtig,
Arbeit zu finden, was ihm gelang mittlerweile in seinem ursprünglichen
Beruf als Maler. Er finanziert sich Deutschstunden, um das Level B2 zu
erreichen.