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"Ich hoffe nur, er verwienert nicht"

Von Anna Maria Sigmund

Wissen

Der Dokumentarfilm "Wien - Hitlers Stadt der Träume" zeigt die Hassliebe des Diktators zu der Stadt, die er als "Märchen aus 1001 Nacht" bezeichnete.


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Träume treten in verschiedensten Gestalten auf. Bezüglich Wien hatte Adolf Hitler - eigenen Angaben zufolge - viele: Wunschträume, Tagträume, Angstträume und Albträume.

Sein erster Besuch in der Me-tropole des Habsburgerstaates im Jahre 1905, der seinen Taufpaten, dem Lehrerehepaar Johann und Johanna Prinz galt, hinterließ bei dem 16-Jährigen tiefe Eindrücke - vor allem die Stilvielfalt der Ringstraßenarchitektur faszinierte ihn - und den festen Entschluss, an der Akademie der Bildenden Künste zu studieren. Später begründete er seine Wahl: "In Musik, Baukunst, Bildhauerei und Malerei war Wien der Brunnen, der in unerschöpflicher Fülle die ganze Doppelmonarchie versorgte, ohne zu versiegen."

Im September 1907 zieht Hitler aus Linz nach Wien, tritt zur Aufnahmeprüfung für die Malerklasse an und versagt. Auch 1908 fällt er nochmals durch. Empört über die Professoren, gibt Hitler den Plan, "akademischer Maler" zu werden, auf. Selbstbewusst tröstet er sich: "Nur ein Genie kann ein anderes Genie beurteilen!"

Gut ausgestattet mit einer Waisenrente, dem mütterlichen Erbe und - wie das vorliegende Haushaltsbuch der Familie Hitler zeigt - üppigen Zuschüssen seiner Tante (arm war der junge Hitler nie), etabliert er sich als freischaffender Zeichner und Maler in Wien. An Hand seiner damals und später entstandenen Werke beurteilt der akademische Maler Heribert Mader kritisch die Qualität von Hitlers Schaffen.

Der Film schildert auch Hitlers Alltag. Als Musikliebhaber geht er fast täglich in die Hofoper, liest viel, hört sich Vorträge an, wie etwa die von Karl May, den er sein Leben lang liest und schätzt, sitzt in Kaffeehäusern, besucht Kinematographie-Vorführungen in Kinos, von denen es damals schon eine große Anzahl gab.

Es gibt nur sehr spärliche Quellen zu Hitlers früher Wiener Zeit: kein einziges Foto des Jugendlichen, kaum Zeitzeugen. Es existieren jedoch ausführliche, glaubwürdige Kommentare von Hitler selbst. In "Mein Kampf" und viel später in den heimlich aufgezeichneten, sogenannten "Tischgesprächen", kommt er immer wieder auf seine Erlebnisse in der Stadt an der Donau zu sprechen.

Diese authentischen Zitate (gesprochen von einem Schauspieler) durchziehen, begleitet von historischem Archiv-Filmmaterial, den gesamten Film. Es wird klar, dass sich bei dem überzeugten Deutschnationalen in dieser Epoche ein radikales, antisemitisches Weltbild formt. "Widerwärtig war mir das Rassenkonglomerat, widerwärtig dieses ganze Völkergemisch von Tschechen, Polen, Serben usw.; zwischen allem aber als ewiger Spaltpilz - Juden und wieder Juden."

Voll Ärger registriert er, dass 1910 in Wien 175.294 Juden leben. Den überparteilichen Kaiser Franz Joseph empfindet der junge Hitler als Feind der deutschen Minderheit in der Monarchie, die Habsburger verachtet er zutiefst: "Ich zog meine Konsequenzen: Heiße Liebe zu meiner deutsch-österreichischen Heimat, tiefen Hass gegen den österreichischen Staat." Diese Einstellung hindert ihn jedoch nicht, von 1910 bis 1913 in dem - von Kaiser Franz Joseph persönlich eröffneten - Musterheim für ledige Männer, einer habsburgischen Privatstiftung, zu wohnen.

Politisch sympathisiert Hitler mit dem Alldeutschen Georg von Schönerer, und er bewundert die Kommunalpolitik des christlich-sozialen Bürgermeisters Karl Lueger. Er wohnt Sitzungen des Reichsrats bei, wo sich die Abgeordneten prügeln, und wird zum Gegner der Demokratie. Er nimmt an Luegers Begräbnis teil - und gewinnt die Überzeugung: "Der Gedanke, dass dieser Staat noch zu halten ist, scheint mir lächerlich." 1913 tritt Hitler, nunmehr großjährig, das Erbe seines Vaters an und übersiedelt nach München: "Wien aber war und blieb für mich die gründlichste Schule meines Lebens."

Architekturpläne

Nach dem Ersten Weltkrieg beginnt Hitlers politische Karriere. In all den Jahren des Aufstiegs der NSDAP, der "Kampfzeit der Bewegung", verliert er sein Ziel Österreich nicht aus den Augen. Er hängt Architekturplänen für ein "judenfreies" Wien nach, schwärmt von "Wien als Märchen aus 1001 Nacht" und inspiriert Architekten aus dem Büro von Albert Speer zu wilden Fantasien.

Architekt Klaus Steiner zeigt im Film anhand von Skizzen, was die Nazis in Wien alles vorhatten, z.B. riesige Kuppelbauten.
© Cinevision

Am 12. März 1938 kehrt er als "Führer" und deutscher Reichskanzler in seine Heimat zurück. Im Besitz absoluter Macht, gedenkt der Diktator seine kühnsten Jugendträume zu verwirklichen. Sein großer Wunsch, den er in "Mein Kampf" auf Seite 1 setzte, hatte sich erfüllt: "Deutschösterreich muss wieder zurück zum deutschen Mutterland, nicht aus Gründen wirtschaftlicher Erwägungen. Nein, nein: gleiches Blut gehört in ein gemeinsames Reich."

Am 9. April 1938 hielt Hitler, nun auch oberster Bauherr Wiens, im Rathaus eine Aufsehen erregende Rede. "Diese Stadt ist in meinen Augen eine Perle! Ich werde sie in jene Fassung bringen, die dieser Perle würdig ist!" Für künftige Generationen meißelte man den Ausspruch in eine Gedenktafel auf dem Leopoldsberg. Deutsche und österreichische Architekten erfasste eine wahre Euphorie, massenhaft lieferten sie Entwürfe für ein neues NS-Wien.

Architekt Klaus Steiner, der sich jahrzehntelang mit den Bauplänen der Nationalsozialisten für Wien beschäftigt hat, führt an Hand von Skizzen, Zeichnungen und Animationen die Visionen der NS-Zeit für den Groß-Gau vor: riesige Kuppelbauten, Gauhallen, Monumentalbauten, Aufmarschstraßen, Heldendenkmäler und Utopien wie eine Stelzenbahn auf den Kahlenberg - alles nach "Führer-Absprache".

Der gesamte 2. und 20. Bezirk sollten dafür nach Absiedlung seiner "rassisch minderwertigen" Bevölkerung zerstört werden. Man plante Wien als das "Hamburg des Südostens" mit Ausbau des Verkehrsnetzes, einer U-Bahn, einem großen Alberner Hafen und dem Neubau des Flugplatzes Aspern sowie Anbindung an eine Reichsautobahn. Zu Weihnachten 1933 hatte Hitler persönlich in einer Skizze den "Volkswagen" für alle Volksgenossen entworfen.

Stadt der leichten Muse

Gleichzeitig behielt Hitler das Kulturleben Wiens im Auge: "Berlin ist doch keine Hauptstadt. Kulturell ist Wien sowieso überlegen. Wer ein gutes Theater besuchen will, sucht es in Wien. Wer die schönen Künste studieren will, geht an Wiener Kunstinstitute."

Im Auftrag des "Führers" gedachte Propagandaminister Goebbels Wien als Stadt der leichten Muse zu lancieren. Seine Lieblingsschöpfung, die "Wien-Film", sollte - nach Entlassung aller jüdischen Mitarbeiter - bei Kriegsbeginn unter Mitwirkung beliebter Stars mit "Geschichten aus der guten, alten Zeit" vom Alltag ablenken. Neben den Ateliers der Rosenhügel-Studios entstand die modernste Synchron-Halle Europas.

Trotzdem sah Hitler mit Sorge nach Wien, denn die politische Lage schien ihm bedrohlich. Die "wilden Kommissare" des Gauleiters Bürckel plünderten auf eigene Faust, die österreichischen Nazis murrten. Sie fühlten sich durch deutsche Parteigenossen übergangen. Darüber hinaus war durch die Vertreibung jüdischer Künstler ein kulturelles Vakuum entstanden.

"Wien soll strahlen"

In dieser Situation zog Hitler den Reichsjugendführer Baldur von Schirach als Gauleiter für Wien in Betracht. "Bürckel konnte die Wiener nicht gewinnen. Ich kann mir keine meuternde Stadt im Südosten des Reichs leisten. Wien soll strahlen wie in alten Zeiten."

Im Film zeichnet der Historiker Oliver Rathkolb ein anschauliches Porträt Schirachs. Der, aus altem Adel stammend, ging - in bitterer Konkurrenz zu Goebbels - mit Feuereifer ans Werk. Er entfaltete eine prunkvolle Repräsentationstätigkeit im Stile der Habsburger, residierte am Ballhausplatz, engagierte berühmte Künstler und Dirigenten, ehrte regimetreue Kunstschaffende. Neben seinem Kulturauftrag leitete er die Deportation von über 60.000 Wiener Juden in östliche Ghettos.

Als Schirach drei Tage nach dem Fall von Stalingrad die lustige Operette "Wiener Blut" aufführen ließ, ärgerte sich Hitler: "Ich hoffe nur, er verwienert nicht. ICH bin dem Zauber dieser Stadt nicht erlegen!" Schirachs progressive Ausstellung "Junge Kunst" ließ er wegen "Entartung" nach einer Woche schließen.

Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs wurden alle Stadtplanungen eingestellt und auf die Zeit nach dem "Endsieg" verschoben. Man schuf Luftschutzbunker, die im Film von dem Historiker Marcello La Speranza gezeigt werden. Hitler selbst legte die Standorte der noch heute existierenden und unter Denkmalschutz stehenden sechs großen Hochbunker fest.

1945 lag Hitlers "Stadt der Träume" in Trümmern. Die Dokumentation schließt mit einem Amateurstreifen, kommentiert von Albert Hackl, der als 18-jähriger Schüler 1945 unter Lebensgefahr die Zerstörungen in Wien gefilmt hat.

Die von Anna Maria Sigmund gestaltete 50-Minuten-Dokumentation "Wien - Hitlers Stadt der Träume" wird am  Samstag, 11. 2., um 20.15 Uhr in ORF III gezeigt.