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"Ich kann die Merkel nicht mehr sehen..."

Von WZ-Korrespondent Michael Pöppl

Politik

Protest-Inszenierung der "Alternative für Deutschland" am Brandenburger Tor.


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Berlin. Die "Alternative für Deutschland" (AfD) hat zu einer "Protestaktion am Brandenburger Tor" geladen, alle sind gekommen - alle Medien jedenfalls, es wimmelt von Kameras und Mikrofonen. Ziel der Partei der Euroskeptiker ist die dort angesiedelte Deutsche Zentralbank. Auch 150 Menschen, die nicht der Presse angehören, sind da. Die meisten zeigen durch Partei-Fähnchen und blaurote Aufkleber auf der Kleidung, dass sie der Partei schon länger zugetan sind. Warum sind sie dabei? "Das deutsche Volk soll endlich aufwachen", sächselt eine grauhaarige Dame. "Die Kanzlerin kümmert sich nur noch um Europa. Solidarität ist ja schön und gut, aber hierzulande gibt es auch genug arme Menschen." Die umstehenden Herrschaften nicken schweigend. Wen man auch fragt, potenzielle AfD-Wähler haben vor allem Angst: vor der drohenden Inflation, vor der allmächtigen EU, vor bösen Ausländern, überhaupt vor der Zukunft. "Ich habe immer CDU gewählt", sagt eine blondierte Mittfünfzigerin, "aber ich kann die Merkel nicht mehr sehen."

Direkt vor dem Brandenburger Tor werden Paletten mit falschen 500-Euro-Scheinen gestapelt. Neben einer rostigen Öl-Tonne wartet ein Pyrotechniker. Ein roter Spritzenwagen - die "Eurowehr" - ist aufgefahren worden. Für die zahlreichen Hauptstadtbesucher aus aller Welt wirkt das Spektakel eher lustig. Statt mit Mischa, dem knuddeligen DDR-Bären oder mit Mickey Maus, mit denen man sich am geschichtsträchtigen Bauwerk für ein, zwei Euro fotografieren lassen kann, knipsen sich die Touristen nun gegenseitig vor den Geldstapeln.

Endlich trifft der Bundesvorsitzende der AfD Bernd Lucke ein, er ist sofort von den Journalisten umringt. Der 53-jährige Professor für Makroökonomie ist der Star der Protestpartei, die er im April dieses Jahres mitbegründet hat: smart, redegewandt und immer adrett gekleidet, der ideale Schwiegersohn. 33 Jahre war Lucke CDU-Mitglied, bis er 2011 aus Protest gegen die Eurorettungspolitik austrat. Obwohl vermutlich chancenlos, gibt er sich betont selbstsicher. Einer Forsa-Umfrage zufolge wird die AfD am Sonntag zwischen zwei und vier Prozent der Stimmen holen, eine leichte Dunkelziffer, so die Meinungsforscher, sei nicht auszuschließen. Lucke behauptete, die Umfrageinstitute würden seine Partei absichtlich kleinrechnen, das wurde ihm nun juristisch untersagt.

Im Nieselregen beginnt endlich die Show: "Draghi zockt, Ihr zahlt", steht auf einem Transparent, das sich gegen EZB-Präsident Mario Draghi richtet. Verkleidete AfD-Mitglieder stellen die großen Parteien dar, böse zigarrenqualmende Banker, Angela Merkel und EZB-Chef Draghi werfen mit falschen 500-Euro-Scheinen um sich, zu nass, um richtig zu brennen. Lucke kommt winkend oben auf dem "Eurowehr"-Laster angefahren, begleitet von drei gesichtslosen blau gekleideten Comic-Figuren. "Euroretter", "Verfassungsheld" und "Freiheitskämpfer" vertreiben Merkel, Draghi und Co, dann ist das Kasperltheater aus. Lucke hält vom Laster noch eine kurze Rede. Seine Hauptaussage: "Die Südländer" sollen raus aus der EU, 50 Milliarden Euro würde Deutschland der Schuldenschnitt Griechenlands kosten: "Ein Stapel 500-Euroscheine vom Meeresspiegel bis hoch zum Mount Everest, und das wäre nur ein Zehntel davon" - viel Applaus der AfD-Anhänger. Die Kameras werden eingepackt, die Presse verschwindet.

"What do they want?", fragt ein Tourist. "Diese Leute wollen Sie aus der EU werfen", wird dem jungen Portugiesen auf Englisch erklärt. "They are nuts!", lacht er - "die spinnen!" -, dann lässt er sich vor der noch qualmenden Öl-Tonne fotografieren.