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Als ich vor etwas mehr als einem Jahr meinen Job im Syrienhilfe-Team von World Vision begann, herrschte schon seit vier Jahren Krieg in Syrien, und mehr als vier Millionen Menschen waren bereits auf der Flucht. Nun neigt sich meine Zeit hier in Amman langsam dem Ende zu, und wir stehen bei fast fünf Millionen Flüchtlingen - nach einem halben Jahrzehnt voller Gewalt und Leid.
Ich werde bald zurück in meine Heimat Australien gehen und nehme nur schwer Abschied. Ich denke ständig an die unzähligen herzzerreißenden Geschichten, die ich gehört, an die Erfahrungen, die ich gesammelt, und an die Leute, die ich getroffen habe. Und immer wieder kämpfe ich mit dem Gedanken, dass es so unfair ist, dass ich meine Sachen packen und in ein sicheres Land zurückkehren kann - und all diese Menschen können das nicht.
Im Laufe des vergangenen Jahres habe ich so viele Familien gesehen, die jeden Tag ums Überleben kämpfen. Ich habe einen Vater kennengelernt, der 20 Kilo verloren hat, weil es zu wenig zu essen gibt und weil er sich ständig um seine Familie sorgt. Seine kleinen Kinder hatten schwarze Augenringe. In der kurdischen Region im Irak müssen Familien in unfertigen Häusern leben. Als ich dort war, hatte der Winter gerade begonnen, und vor ihnen lagen noch Monate, in denen sie diese bittere Kälte aushalten mussten. Und in der Türkei an der Grenze zu Syrien habe ich mit Familien gesprochen, die erst vor wenigen Wochen vor der Gewalt geflohen sind und nun in eine unsichere Zukunft blicken.
Aber es gab auch schöne und fröhliche Momente: Einmal stellte mich eine syrische Mutter vor die Wahl: "Entweder du trinkst eine zweite Tasse Tee oder du musst uns etwas vorsingen." Und als ich nach Jordanien kam, lehrten mich die Kinder, auf Arabisch bis zehn zu zählen. Auch die Freude einer syrischen Familie mit Zwillingsmädchen, als sie mir erzählten, dass sie Asyl in Frankreich bekommen hatten, wird mir in Erinnerung bleiben.
Ich denke auch sehr oft an all diese inspirierenden Menschen, die ich getroffen habe: Meine Kollegen, die ihre eigenen Leben riskieren, um den Menschen in Syrien zu helfen. Oder eine Lehrerin, die selbst ihre Heimat verlassen musste und nun Flüchtlingskinder im Irak unterrichtet. Oder einen syrischen Künstler, der in einem Gemeindezentrum in der Türkei mit seiner Kunst versucht, das Leid der Kinder in Syrien abzubilden.
Diese positiven Augenblicke und Gefühle werden mir genauso bleiben wie der beklemmende Anblick der unzähligen weißen Zelte, die mitten in der Wüste das Flüchtlingslager Azraq bilden. Oder die Geräusche explodierender Bomben in den Bergen Syriens. Oder die unerträgliche Hitze in den Flüchtlingsunterkünften im Sommer und die Eiseskälte im Winter. Ja, diese Geschichten, Gesichter und Erfahrungen werde ich nie vergessen. Manche werden mich auch verfolgen - für immer. Und während ich mich auf meine Rückkehr zu Familie und Freunden vorbereite, stelle ich mir immer wieder diese eine Frage: Ich kann nach Hause gehen, warum können sie es nicht?