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Ich lüge, also bin ich

Von Wolfgang Lusak

Gastkommentare

Also sprach der Bürgermeister: "Ich kenne viele, die stolz den Satz gesagt haben: Die Wahrheit ist zumutbar. Und dann wurden sie abgewählt." Viele Politiker aller Richtungen werden ihm zustimmen, denn sie mussten auch schon mit ansehen, wie "allzu wahrheitsliebende" Politiker mit "unpopulären Ankündigungen" bei der Wählermehrheit schlecht ankamen und sich damit "selbst abgeschossen" haben.


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Bevor auch wir nun diese Erkenntnis mit bitterem Lächeln und dem Achselzucken der Resignation annehmen, probieren wir einmal den Umkehrschluss: "Wer dem Wähler nicht die Wahrheit zumutet, wird wieder gewählt." Deshalb sollten wir allen wie der Bürgermeister denkenden und handelnden Politikern folgende weitere Fragen stellen: Wollen Sie wiedergewählt werden, ja? Muten Sie Ihren Wählern also nicht die Wahrheit zu?!

Das ganze Elend unserer auf kurzfristige Wahltermine ausgerichteten Demokratie wird dadurch wieder deutlich: Je länger Politiker nicht die Wahrheit sagen (denken wir nur an ihr ständiges Ausweichen bei Interviews), umso länger bleiben sie im Amt.

Die Ähnlichkeit zum Verhalten der Manager in den obersten Etagen von Konzernen und Finanz-Multis ist frappierend: Auch sie sagen ihren Aktionären und Kunden nur, was die gerne hören, und das ist nicht selten die Unwahrheit. Die auf Börsenkurse ausgerichtete Optimismus-Pflicht vertuscht aufkommende Bedrohungen, die auf Rendite-Gier ausgerichtete Quartalsberichterstattung beschönigt Resultate und manipuliert Markteinschätzungen. Die Manager pressen immer mehr aus vorhandenen Systemen heraus und verhindern mit ihrer kurzfristigen Sicht sinnvolle Investitionen in zukunftsorientierte, nachhaltige Innovationen (ein gutes Beispiel dafür ist der Niedergang der US-Autoindustrie).

Was wir eigentlich schon wissen, wird so noch deutlicher: Der Egoismus der Führungskräfte der beiden die Welt polarisierenden, in Wahrheit aber zusammenspielenden Groß-Lobbies - der global überlegenen und deshalb völlig hemmungslosen Finanz- und Börsenwirtschaft und der sich mit Geschenken an die Mehrheit über Wasser haltenden Mehrheitspolitik - nimmt zu und zerstört unsere Lebensgrundlagen. Ein System, das scheinbar gar nicht anders handeln kann.

Es wird Zeit, dass sich die einzige noch wirklich verantwortungsvolle, an innovativen Lösungen orientierte, nachhaltig wirkende Gruppe zu Wort meldet und die dringend nötigen Reformen einfordert: die mittelständische Wirtschaft und die mittelständischen Sozialorganisationen, die in Wahrheit die Welt noch zusammenhalten. Ohne kreativen Unternehmergeist und solidarische Initiativen wäre unsere Gesellschaft schon zerfallen. Den Groß-Lobbies, die das "Ich lüge, also bin ich"-Credo zu vieler Politiker und Manager hervorgebracht haben, sollte eine neue Lobby des vernünftigen Mittelstandes gegenüberstehen. Nur aus der Mitte heraus werden wir die Werte, die in unseren Verfassungen längst stehen, auch wieder leben. Zum Nutzen des ganzen Planeten.

Wolfgang Lusak ist Unternehmensberater & Lobby-Coach.