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"Ich scheue mich nicht, das Wort Kapitalismus zu benutzen"

Von Stefan Janny

Reflexionen

"Einkommensverteilung ist verzerrt." | Plädoyer für aktive Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer.


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"Wiener Zeitung":Wissen Sie, wie viel Sie im letzten Jahr verdient haben?Claus Raidl: Ich habe im Jahr 2007 brutto 1,3 Millionen Euro verdient. 450.000 Euro Basisgehalt, und aufgrund des guten Geschäftsergebnisses haben wir voriges Jahr einen hohen Bonus bekommen. Ich sage gleich dazu, dass ich nie im Leben dachte, dass ich einmal so viel verdienen werde.

Kennen Sie das niedrigste Gehalt einer Vollzeitarbeitskraft bei Böhler-Uddeholm?

Das niedrigste Gehalt weiß ich nicht auswendig, aber ich weiß, dass der Durchschnittsbezug in Kapfenberg etwas unter 40.000 Euro liegt. Mein Basiseinkommen ist also ungefähr elf bis zwölf Mal so hoch. Wenn ich zusätzlich einen Bonus in Höhe des Basisgehalts bekomme, dann ist es etwa das Zweiundzwanzigfache, wenn der Bonus noch höher ist, ist es entsprechend mehr. Ich möchte allerdings eines festhalten: Ich habe mein Gehalt immer schon veröffentlicht, lange, bevor das vorgeschrieben wurde.

Die steigende Differenz zwischen normalen Gehältern und den Bezügen von Topmanagern gibt in jüngerer Zeit verschiedentlich Anlass zur Diskussion und Kritik.

Ja, und zum Teil zu Recht. Die Schere geht auseinander, wogegen wir etwas tun müssen. Die Einkommensverteilung ist von zwei Seiten verzerrt: Sie ist volkswirtschaftlich verzerrt, und sie ist innerbetrieblich verzerrt. Sie läuft volkswirtschaftlich auseinander, weil die Gewinnquote der Unternehmen steigt und die Lohnquote sinkt.

Was derzeit auch konjunkturelle Gründe hat.

Genau, denn bei Konjunkturaufschwüngen steigen immer zuerst die Gewinne, und dann holen die Gewerkschaften das mit guten Kollektivvertragsabschlüssen wieder ein, was im Jahr 2007 auch geschehen ist. Aber auch innerbetrieblich steigen die Einkommen jener Mitarbeiter, die Bonusvereinbarungen haben, stärker als die des Großteils der Arbeitnehmer, die nur die Kollektivvertragserhöhung bekommen.

Und wie kann das geändert werden?

Das geht nur über eine aktive Gewinnbeteiligung. Das heißt, wenn ein Geschäftsjahr abgeschlossen ist - und es ist gut gelaufen -, muss man den Arbeitnehmern einen Teil des Gewinns als variablen Gehaltsbestandteil geben, und zwar in Cash.

Welcher Prozentsatz des Gewinns wäre da angemessen?

Bei vielen Unternehmen werden 40 bis 50 Prozent vom Ergebnis nach Steuern an die Aktionäre ausgeschüttet, der Rest bleibt im Unternehmen. Da denke ich, man könnte den Arbeitnehmern schon 7 bis 10 Prozent geben. Der Vorteil ist, dass im Nachhinein gewährte Gewinnbeteiligungsprämien die Zukunft und damit auch die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen nicht belasten. Wenn ein Jahr keinen Gewinn gebracht hat, bekommt man nichts, aber wenn ein Jahr gut gelaufen ist, gibt es eine Prämie.

Derartige Vorschläge stoßen allerdings weder bei Unternehmern noch bei den Gewerkschaften auf Begeisterung.

Beide Seiten argumentieren sehr kurzsichtig und egoistisch. Die Gewerkschaft ist skeptisch, weil sie Angst hat, dass ihre Monopolstellung als Kollektivvertragsverhandler unterhöhlt wird. Das ist aber unbegründet. Die Gewerkschaften sollen die Angst, dass sie überflüssig werden, ablegen und weiter ihren Kollektivvertrag verhandeln, weil ja nicht überall Gewinnbeteiligungen gegeben werden können. Und bei vielen Klein- und Mittelbetrieben wird es längere Zeit brauchen, bis entsprechende Systeme installiert sind. Außerdem wird man in bestimmten Branchen, wo vielleicht die Erfassbarkeit aller geschäftlichen Vorgänge nicht lückenlos erfolgt, in Verhandlungen mit der Gewerkschaft Pauschalbeträge festlegen müssen.

Die Unternehmer sind aber Ihrem Modell gegenüber ebenfalls sehr skeptisch.

Auch das ist sehr kurzsichtig, denn es wird doch beim besten Willen keiner glauben, dass der Gewinn in einem sehr guten Jahr nur der Kapitalseite, nur den Aktionären zuzurechnen ist. Die Arbeitnehmer haben auch ihren Beitrag geleistet. Und im Sinne der Beibehaltung einer liberalen Marktwirtschaft - ich scheue mich nicht, das Wort Kapitalismus zu benutzen - muss auch die Unternehmerseite ein Interesse haben, die Verteilungsfrage zu entschärfen. Sonst wird angesichts steigender Unternehmensgewinne und gelegentlicher Exzesse bei der Entlohnung von Managern der Ruf der Linken nach Beschränkungen des Marktes immer stärker werden.

Ab welcher Höhe sind Managergehälter exzessiv?

Raidl: Bei der Bezahlung von Managern muss man eine grundsätzliche Unterscheidung treffen. Leute, die ihr eigenes Geld investieren und ihr eigenes Risiko tragen, die sollen verdienen, so viel sie wollen. Ein Dietrich Mateschitz oder auch ein kleiner Blumenhändler, der so tolle Blumen bindet, dass alle ihre Blumen bei ihm kaufen, die sollen verdienen, was sie eben verdienen.

Das sind dann allerdings Unternehmer und keine Manager.

Richtig. Und wenn bei denen etwas schief geht, dann ist es ihr eigenes Geld und Vermögen, das sie aufs Spiel setzen. Wir, die Unternehmensleiter, die mit fremdem Geld arbeiten, tragen demgegenüber ein viel geringeres Risiko. Wenn einer wie ich falsche wirtschaftliche Entscheidungen trifft, dann ist das maximale Risiko, dass er mit einer schönen Pension nach Hause geht.

Was aber die Frage nach der angemessenen Höhe von Managerbezügen noch nicht beantwortet.

Die Bezahlung von gewissen Spitzenmanagern - mir fallen da manche Bankdirektoren in Deutschland ein - wirft schon die Frage auf: Kann einer wirklich so gut sein?

Und, kann ein Manager so gut sein?

Die Antwort ist ganz klar: So gut kann keiner sein, dass er einen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag im Jahr verdient.

Deshalb werden von manchen Kritikern gesetzliche Beschränkungen der Managerbezüge gefordert.

Davon halte ich überhaupt nichts. Mir ist durchaus bewusst, dass die Managergehälter - auch wenn ich mein eigenes nehme - in den vergangenen Jahren enorm gestiegen sind. Aber die Höhe der Bezüge soll, wie das im Gesetz vorgesehen ist, der Aufsichtsrat bestimmen.

Ohne Betragslimits?

Es gibt für mich zwei Bremsen, damit es zwischen Aufsichtsrat und Vorstand nicht zu einer Koalition der Möchtegernreichen kommt. Die erste ist vollkommene Transparenz und Publizität. Die Bezüge sollen veröffentlicht werden. Außerdem habe ich auch schon einmal in die Debatte eingebracht, dass man der Hauptversammlung das Recht geben sollte, eine Art Empfehlung über die Vorstandsbezüge abzugeben, an die der Aufsichtsrat zwar nicht gebunden ist, aber damit der Aufsichtsrat zumindest einmal hört, was die Aktionäre denken.

Wenn Sie der Meinung sind, dass es keinen Manager geben kann, der einen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag wert ist...

...keinen Manager, der mit fremdem Geld arbeitet!

...kann es dann Fußballer oder Autorennfahrer geben, die dieses Geld wert sind?

Das ist ein oft benutzter, aber meiner Meinung nach unfairer Vergleich. Erstens soll jeder, wenn er meint, so viel wie ein Fußballer verdienen zu müssen, auch Fußballer werden und sich nicht als Unternehmensleiter betätigen. Zweitens muss man die kurze Lebensarbeitszeit eines Fußballers berücksichtigen. Im Sport oder auch bei Opernsängern herrscht eben die reine Marktwirtschaft und unsere Gesellschaft ist gewillt, für solch einmalige Leistungen sehr viel zu zahlen. Als Manager dürfen wir aber bei den eigenen Bezügen das Augenmaß für die Relationen nicht verlieren. Manchmal sehe ich mit Schrecken, dass auch in Österreich Leute, die vor sieben Jahren nie gedacht hätten, so viel zu verdienen, wie sie jetzt verdienen, auf einmal fragen, wieso sie nicht noch mehr verdienen können.

Gleichzeitig ist es aber so, dass Manager im angelsächsischen Raum oft erheblich mehr verdienen als ihre österreichischen Kollegen.

Das stimmt, aber da sage ich jedem: Wenn Du glaubst, zu wenig zu verdienen, dann geh nach London oder New York. Es ist ein freier Markt. Aber manchmal frage ich mich, ob wirklich alle österreichischen Spitzenmanager, die das noch höhere Gehaltsniveau im Ausland als Rechtfertigung für ihre eigenen Bezüge benutzen, so toll sind, dass sie im Ausland sofort einen Posten finden würden. Man muss schon noch eine gewisse Portion Selbstkritik beibehalten. Außerdem hat die Tatsache, dass mittlerweile viele österreichische Unternehmen an der Börse notieren, dazu geführt, dass sich manche Elemente des angelsächsischen Systems - wie etwa Aktienoptionen als Teil von Entlohnungspaketen - auch bei uns etabliert haben. Ich bin ein Gegner dieser Modelle geworden.

Zur Person

Der gebürtige Steirer, dessen Vater und Großvater bereits bei Böhler in Kapfenberg beschäftigt waren, ist seit 1991 Vorstandschef der Böhler-Uddeholm AG und hat sowohl die internationale Expansion als auch die Privatisierung des einst staatlichen Edelstahl-Konzerns vorangetrieben.

Als im vergangenen Jahr eine Investorengruppe um den Badener Rechtsanwalt Rudolf Fries ein maßgebliches Böhler-Aktienpaket abstoßen wollte, unterstützte Raidl - wohl auch um die Übernahme durch einen Finanzinvestor zu verhindern - den Einstieg der Voestalpine, die nun etwas mehr als 80 Prozent der Aktien hält.

Der 65-Jährige, der in der Vergangenheit mehrfach als Kandidat für ein Ministeramt im Gespräch war, gilt als wirtschaftspolitischer Vordenker der ÖVP. Von 2001 bis 2006 fungierte er als Vorsitzender des Fachhochschulrates. Raidl ist Vorsitzender des Kuratoriums der in Gründung befindlichen Eliteuniversität ISTA (Institute for Science and Technology Austria).