Universitätsgesetz aus Liessmanns Sicht "reparaturbedürftig". | Studienbeiträge haben auch ihr Gutes.
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"Wiener Zeitung": Was bedeutet für Sie der Titel "Wissenschafter des Jahres"?Konrad Paul Liessmann: Abgesehen davon, dass ich mich über die Auszeichnung sehr freue, sehe ich den Preis, da er ja vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten vergeben wird, als Auszeichnung für Darstellung von Wissenschaft in der Öffentlichkeit, für die funktionierende Kooperation zwischen Wissenschaft und Medien an. Der Preis kommt natürlich überraschend. Wenn gegenwärtig von der Bedeutung von Wissenschaft die Rede ist, dann geht es fast immer um Naturwissenschaften, aber ganz selten um Philosophie.
Sie sind der erste Philosoph, der diese Auszeichnung bekommt. Karl Marx warf den Philosophen vor, dass sie die Welt nur interpretieren, aber nicht verändern...
Wir wissen ja, was aus diesem Anspruch, die Welt nicht in einem technologischen, sondern in einem gesellschaftspolitischen Sinn zu verändern, geworden ist. Ein wenig Zurückhaltung in der Weltveränderung wäre ja generell angebracht. Philosophie ist jedenfalls nicht nur eine akademische Angelegenheit, sondern sie war immer schon eine Sache der Öffentlichkeit. Dazu kommt, dass wir in einer immer komplexer werdenden Welt ständig vor Orientierungs- und Entscheidungsfragen stehen, die moralischen oder ethischen Charakter annehmen. Nun ist die Philosophie keine Instanz, wie etwa eine Kirche, die weiß, was das Gute ist, aber eine Disziplin, die in 2000 Jahren Kompetenzen angesammelt hat, wie man mit solchen Fragen umgeht. Es wäre ziemlich töricht, auf solche Kompetenzen zu verzichten, und im Ernst will das auch niemand, wenn auch im Zuge der Ökonomisierung der Wissenschaft die Humanwissenschaften etwas an den Rand gedrängt erscheinen.
Das von Ihnen initiierte jährliche "Philosophicum Lech" ist ja ein Versuch, die Philosophie mit der Öffentlichkeit ins Gespräch zu bringen ...
Mir ging es darum, dabei den Dreifachcharakter von Philosophie deutlich zu machen: Dass sie eine akademische Disziplin mit Niveau ist. Dass man sie nicht als Einzelwissenschaft betreiben kann und sie sich mit Erkenntnissen aller Art auseinandersetzen muss - Philosophie ist per definitionem interdisziplinär, es wäre eine ganz falsche Vorstellung, dass Philosophen irgendwo sitzen und nachdenken und nicht zur Kenntnis nehmen, was rund um sie vorgeht. Und dass sie drittens eine nicht nach innen, sondern nach außen gewandte Wissenschaft ist: Der Mensch ist Gegenstand und Partner der Philosophie. Die wissenschaftliche Urform des Philosophierens ist der Dialog.
Der neue Wissenschaftsminister ist Philosoph. Was erwarten Sie von ihm?
Weil Philosophie generalisierende Formen des Denkens fordert und fördert, ergibt sich daraus vielleicht etwas anderes, als wenn ein Fachwissenschafter Minister geworden wäre. Mit jemandem, der in Philosophie dissertiert hat, noch dazu über ein Thema, das praktisch-politische Probleme inkludiert, kann man sicher konstruktive Gespräche führen. Da erwarte ich auch eine gewisse Einsicht, was Wissenschaft und Forschung für unsere Gesellschaft bedeuten, in welchen Punkten die Reform der Universitäten weitergehen und auch korrigiert werden muss. Einige Aspekte des Universitätsgesetzes 2002 sind durchaus reparaturbedürftig.
Welche zum Beispiel?
Wir haben ein Dienstrecht, das große Talente geradezu zwingt, von den Hochschulen abzuwandern. Auch die begabtesten Assistenten müssen nach sechs Jahren gekündigt werden. Die innere Organisation der Universitäten funktioniert nicht optimal, da ist viel zu viel offen gelassen worden, zum Teil auch aus Schlampigkeit im UG. Zum Beispiel ist die Beschickung von Kommissionen nicht genau geregelt. Die grundsätzliche Stoßrichtung des UG ist richtig, man hat aber zum Teil zu viel offen gelassen und so einiges an vermeidbarem Chaos produziert.
Die Autonomisierung ist zu begrüßen. Der Wissenschaftsminister muss sich nicht um die inneren Abläufe in der Universität kümmern, sondern um allgemeine Rahmenbedingungen, vor allem um das Verhältnis der Universitäten zu außeruniversitären Institutionen wie Forschungsfonds. Da wäre dringend zu klären, ob die Kompetenz für solche Fonds, die derzeit beim Infrastrukturminister liegt, nicht ins Wissenschaftsministerium gehört.
Die Autonomisierung birgt aber auch die Gefahr, dass zwar der Einfluss der Politik schwächer, aber jener der Wirtschaft dafür immer stärker wird. Hier könnten vom Wissenschaftsminister Signale gesetzt werden, dass die Ökonomisierung, diese Scheinwissensbilanzen, die jetzt erstellt werden, die Fetischisierung von Drittmitteln, nicht immer das sind, was gute Forschung auszeichnet.
Es gibt auch viele Gründe, der gegenwärtig implementierten Bologna-Struktur gegenüber skeptisch zu sein. Angesehen davon, dass Kurzstudien wirklich nicht überall sinnvoll sind - wir werden in wenigen Jahren tausende Bachelors haben, wobei noch völlig unklar ist, wie der Arbeitsmarkt darauf reagieren wird. Der Staat selbst, hört man, möchte diese Leute, obwohl er das Studium als akademisch wertet, nicht als Akademiker einstellen, sondern mit dem Maturantengehalt abfertigen.
Ein anderer, wichtiger Punkt: Ein Vorgänger als Wissenschafter des Jahres, Ulrich Körtner, hat angemerkt, dass in einer ganz wesentlichen Thematik, in der Biopolitik, das Regierungsprogramm schweigt. Es steht darin nichts über die Zukunft der Ethik-Kommission, nichts darüber, wie drängende Probleme, wie etwa die Perspektiven der Präimplantationsdiagnostik, der Embryonenforschung oder der demographischen Verschiebung, in dieser Legislaturperiode angegangen werden sollen.
Was halten Sie von Studiengebühren und Studieneingangsbeschränkungen?
Es war nicht sehr gut, wie die Studiengebühren eingeführt worden sind, ohne große Diskussion, um ein Budgetloch zu stopfen und Grassers Traum vom Null-Defizit zu erfüllen. Mittlerweile sind die Studienbeiträge ein Teil der Universitätsfinanzierung. An der Uni Wien lässt das Rektorat Studenten mitbestimmen, wofür das Geld eingesetzt wird. Die Studienbeiträge in Österreich sind allerdings viel zu niedrig, als dass sich damit besondere Dinge finanzieren ließen und Studenten den Anspruch erheben können, für ihr Geld die perfekte Universität zu bekommen.
Manchen sind sie zu hoch ...
Sie sind gerade so hoch, dass sie, ein wirklich gutes Stipendiensystem vorausgesetzt, niemanden, der wirklich studieren will, am Studium hindern. Aber sie sind hoch genug, um Scheininskribenten zu verhindern. Die Studiengebühren haben erstmals für genaue Daten bei den Studierendenzahlen gesorgt.
Eingangsbeschränkungen sind dort im Gespräch, wo ein Überhang an Studierenden und zu geringe Kapazitäten vorhanden sind. Es hat gar keinen Sinn, dieses Problem zu leugnen. Wir haben Studienrichtungen mit Verhältnissen von Lehrenden zu Studierenden von 1:100 oder gar 1:180, an exzellenten Universitäten beträgt das Verhältnis 1:10. Wenn gefordert wird, wir sollten mit diesen konkurrieren, ist das völlig absurd. Hier gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Universitäten besser auszustatten oder die Zahl der Studierenden auf ein verantwortbares Maß zu beschränken. Das trifft aber nicht generell auf die Universitäten, sondern nur auf bestimmte Studienrichtungen zu. Erstaunlich ist ja, dass wir trotz dieser offenkundigen Nachteile noch immer eine gute Ausbildung an Österreichs Universitäten anbieten können.
Sie haben das Buch "Theorie der Unbildung" geschrieben. Was vermissen Sie heute in der Bildungsdiskussion?
Den Bildungsbegriff, den vermisse ich. Wir reden von Wissen und wie wir es messen können, wir reden von Universitäts- und Strukturreformen, von Pisa, von Rankings, von Zahlen und Bilanzen. Es bleibt aber unklar, was wir in einer hochkomplexen Gesellschaft, für die ich den Namen Wissensgesellschaft nicht verwenden möchte - wir sind nicht wirklich klüger als andere Gesellschaften - unter Bildung verstehen wollen. Ich glaube, wenn wir Bildung nur noch als Qualifikation für Arbeitsmärkte definieren, verlieren wir das, was Bildung eigentlich ausmacht: die "Formung" einer Persönlichkeit, die sich ein "Bild" von der Welt machen kann. Bildung hat natürlich mit dem Erwerb von wirtschaftskompatiblen Kompetenzen und Qualifikationen zu tun, aber auch mit der Entfaltung von Selbstbewusstheit und Mündigkeit, mit Souveränität, mit kulturellem und musischem Wissen. Wir haben derzeit einen sehr reduzierten und verknappten Bildungsbegriff.
Haben Sie Hoffnung, dass sich das ändert?
Aufgrund der vielen positiven Reaktionen auf mein Buch denke ich, dass man allmählich sieht, dass man sich mit der Quantifizierung des Bildungsbegriffes ins eigene Fleisch schneidet. Ich finde, dass Menschen, die nur für ein Arbeitsmarktsegment ausgebildet sind, in einer Zeit, in der sich Arbeitsmärkte dramatisch ändern, schlecht ausgebildet sind.
Zur Person
Konrad Paul Liessmann, geboren 1953 in Villach,ist Professor ür Philosophie an der Universität Wien. Seine Stationen: Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie in Wien, 1976 Magisterium, 1979 Promotion, 1989 Habilitation. Liessmann, vielfach als Autor hervorgetreten, ist leitet seit 1996 das "Philosophicum Lech".