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"Ich wage gar nicht mehr, zu träumen"

Von Anja Stegmaier

Politik
Job, Haus, Familie: Junge Italiener haben traditionelle Wünsche - trotzdem gehen sie für viele nicht in Erfüllung.
© Bettmann

Vier junge Italiener sprechen über die größten Probleme im Land, ihre Sorgen und Hoffnungen.


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Wien. Die Jungen sind in Italien in der Minderheit - und so fühlen sie sich auch. Italien ist das älteste Land der EU. Weltweit ist nur in Japan das Durchschnittsalter noch höher. Auch für gut ausgebildete Italiener gibt es kaum Perspektiven. Auch aufgrund einer Jugendarbeitslosenquote von 32 Prozent wohnen drei Viertel der 18- bis 35-Jährigen bei ihren Eltern. Oftmals gilt Auswanderung als einziger Weg, um halbwegs gut bezahlte Arbeit zu finden und sich ein eigenes Leben aufzubauen.

Dieses Schicksal trifft vor allem die Bewohner im Süden des Landes - seit den 1970ern gab es keine konsequente Entwicklungspolitik für den Mezzogiorno. Aufgrund der wirtschaftlichen Situation und der Sparzwänge wird sich das wohl auch kaum ändern. Kein Wunder, dass die jungen Italiener schlecht auf die etablierten Parteien zu sprechen sind, knapp 40 Prozent der Jungen wollen etwagar nicht zur Wahl gehen.

"Die Jungen sind doch der Motor eines Landes"

Antonio Gitto lebt in Sizilien und hat einen Informatik-Abschluss. Nachdem der 31-Jährige vier Jahre in Rom gearbeitet hat, lebt er seit 2014 wieder in Sizilien und arbeitet im Verkauf eines internationalen dänischen Unternehmens, das mit mediterranen Pflanzen handelt.

"In Rom ist das Leben sehr teuer. 50 Prozent des Gehalts gehen für das Wohnen drauf. Ich arbeitete Vollzeit und konnte mir nur ein Zimmer in einer WG mit Studierenden leisten. Nach ein paar Jahren hatte ich genug davon. Ich bewarb mich für Jobs in Deutschland und Polen, aber die Sprachbarriere war ein Problem. Meine Freundin ist in Sizilien, ich bekam ein Jobangebot, also zog ich wieder zurück, dort wohne ich im Eigentum. Ich schaue auch nicht mehr nach Jobs in der IT-Branche, dazu bin ich zu lange draußen. Ich habe einen befristeten Vertrag und arbeite 30 Stunden pro Woche - ich weiß noch nicht, wie es weitergeht.

Wenn ich an meine Zukunft und die Zukunft Italiens denke, wage ich gar nicht zu träumen. Mich ärgern die großen und kleinen Probleme. Wegen zwei Zentimeter Schnee fällt aktuell die Schule aus, Berufstätige können tagelang nicht in die Arbeit kommen, die Züge stehen still - das kriegt man in Deutschland oder Schweden doch auch hin. Die Verantwortlichen machen ihren Job einfach nicht richtig. Wir haben eine hohe Jugendarbeitslosigkeit - die Jungen sind doch der Motor eines Landes. Es muss mehr getan werden, ich weiß aber ehrlich nicht was und wie. Auch die Schulen liegen im Argen. Sie bereiten die Jugend nicht auf das Arbeitsleben vor. Du kannst der Beste in der Schule sein und später kläglich scheitern. Weil dir das Auswendiglernen nichts nützt.

Aber: Politik ist der Spiegel der Gesellschaft. Viele Italiener verstehen einfach nicht, was los ist. Wir haben eine der höchsten Lese- und Schreibschwächen weltweit. Die Leute informieren sich nicht, glauben aber, dass sie informiert sind, weil sie Fernsehen schauen, und verurteilen andere Leute, obwohl sie keine Ahnung haben.

Ich habe immer links gewählt. Der Einzige, in den ich ein wenig Vertrauen habe, ist Matteo Renzi. Er ist der Einzige, der versucht hat, etwas zu ändern, und der mir ehrlich erscheint. Die anderen agieren nur in ihrem eigenen Interesse."

"Italien soll wieder sicher werden für Italiener"

Paola Labarile ist aus Matera, südöstlich von Neapel. Die 28-jährige Opernliebhaberin hat einen Abschluss in Altertumswissenschaften und studiert Musikwissenschaften.

"In Italien gibt es zu viel Korruption. Die Politik ist mit der Mafia zu stark verbunden. Das merkt man schon an der Infrastruktur: Straßen und Brücken sind oft kaputt oder werden nicht fertig gebaut, weil die Aufträge hierfür nicht an effiziente Unternehmen gehen. Bis es vielleicht irgendwann einmal in Italien so weit ist, dass es nicht mehr um Gefälligkeiten und Eigennutz in der Politik geht, wird so viel Zeit vergehen, dass Italien bis dahin nicht mehr konkurrenzfähig sein wird. Die größten Schwierigkeiten des Landes sehe ich darin, dass es einfach schwer ist, Geld zu verdienen. Die Politik ist dumm und gemütlich - die Vorteile kommen fast nur Ausländern zugute, während sich die Italiener nicht mehr sicher fühlen. Ich pendle zur Uni, da ich nicht ganz autonom leben kann wegen meiner Sehbehinderung. Viele Leute nehmen nicht mehr gerne den Zug, weil sie Angst haben vor den vielen Leuten, die nach Italien gekommen sind. Die meisten von ihnen sind gar nicht vor Kriegen geflüchtet. Die Politik spart außerdem an der Kultur, obwohl Italien die Heimat des Dramas und der Oper ist. Kein junger Mensch kennt mehr Giuseppe Verdi, in der Schule wird so etwas nicht mehr unterrichtet.

In Süditalien gibt es zudem wenige Personen, die freiwillig helfen wollen, um Menschen wie mich zu unterstützen. Ich hoffe, dass Italien wieder sicheres Land wird, vor allem für Italiener. Ich bin aber nicht sehr optimistisch, wenn ich an die Kultur oder die Unterstützung von Behinderten denke: Es gibt zu viele falsche Informationen und Vereinigungen, die unsere Rechte schützen müssten, aber oft gegen uns sind, nur um ihre Vorrechte zu halten. Blinde Menschen könnten genauso arbeiten wie alle anderen, wenn sie die richtigen Instrumente hätten. Aber die meisten arbeiten einfach in einem Callcenter und streben nichts anderes an.

Renzi hat sicher viel Gutes gemacht, die Wirtschaft wächst und mit dem Verfassungsreferendum wollte er Italien erneuern, ich stimmte damals dafür. Aber mit der Einwanderungspolitik der PD bin ich nicht einverstanden. Deshalb werde ich Mitte-rechts oder die Lega Nord wählen. Wir sind müde von dieser Situation - wir können nicht alle integrieren. Ich möchte mehr Kontrolle und mehr Möglichkeiten haben, in Italien zu arbeiten und in Würde zu leben."

"Italien ist in fortwährendem Niedergang"

Matteo Barbagallo ist 27 Jahre alt, lebte die letzten sechs Jahre in diversen Ländern außerhalb Italiens und arbeitet an seiner Doktorarbeit in englischer Literatur. Seit einigen Monaten wohnt er wieder bei seinen Eltern in Sizilien, sucht nach Jobs in der Forschung und verdient sein Geld als freier Übersetzer.

"Als Akademiker ist es normal, ins Ausland zu gehen, aber auch die Situation in Italien hat mich dazu gedrängt. Hier gibt es keine klaren Regeln, wer einen Job an einer Universität bekommt. Ich schaue momentan auch nicht groß in Italien nach Positionen - es ist sowieso ziemlich aussichtslos.

Ich möchte nicht verzweifelt klingen, aber ich denke, Italien ist ein Land in fortwährendem Niedergang. Besonders die Politik verschlechtert die Situation jeden Tag. Die Politiker versuchen, in ihrer Amtszeit das Beste herauszuholen - für sich, nicht das Land. Korruption und Scheinheiligkeit sind die größten Probleme in unserem Land. Wir haben eine Finanzkrise und eine Moralkrise. In der Politik, der Privatwirtschaft sowie an den Unis sind Freunderlwirtschaft und Bestechung Alltag.

Ich werde den Movimento 5 Stelle (M5S) wählen, weil ich den Glauben an die etablierten Parteien verloren habe. Ich war nie sehr politikinteressiert, aber seit es den M5S gibt, glaube ich, dass das die richtige Idee sein könnte: jemanden normalen wählen und nicht einen der politischen Klasse. Es gibt natürlich schwarze Schafe, wie die Bürgermeisterin von Rom. Und die EU-kritische Haltung des M5S besorgt mich, aber ich weiß, dass es keine bessere Alternative gibt."

"Die italienische Politik
ist ein großes Chaos"

Matteo Favini lebt im Norden Italiens, in Bergamo. Der 23-Jährige hat Fremdsprachen und Literaturwissenschaften studiert und macht einen Master in Marketing Management.

"Wenn ich an die letzten Umfragen denke, bin ich sehr pessimistisch, was die Wahlen betrifft. Wenn Mitte-rechts gewinnt, bedeutet das, dass die Italiener die Lektion von 2011 nicht gelernt haben, als unser Land aufgrund der verrückten Politik von Silvio Berlusconi in den Abgrund geführt wurde. Eine mögliche Lösung nach diesen Wahlen ist die Schaffung einer Expertenregierung, die das Wahlgesetz erneut ändert, um mit klareren Regeln und mehr Demokratie erneut zu wählen.

Die größten Probleme in diesem Land sind kulturelle: Korruption und Steuerhinterziehung wurden nie ausreichend bekämpft. Ich schere nicht alle über einen Kamm und sage, dass alle Politiker korrupt sind und Diebe. Verallgemeinerungen sind nie gut. In den letzten Jahren war die Politik jedoch oft weit von den wirklichen Problemen des Landes entfernt. Ich denke da etwa an die Änderung des Wahlrechts (die am Ende der letzten Legislaturperiode in Eile stattfand), den Umgang mit dem umstrittenen Einbürgerungsgesetz und die Umwelt. Die Jugendarbeitslosigkeit ist ein weiteres massives Problem. Junge Menschen können sich keine Zukunft und gültige Lebensperspektive schaffen. Ein anderes großes Problem - politisch sehr unterschätzt - ist die Rückkehr von politischen Organisationen, die kein Problem haben, sich als Faschisten zu identifizieren. Diese Art von Populismus ist gleichbedeutend mit kultureller Herabsetzung.

Ich werde sicherlich nicht die etablierten Parteien wählen, weil sie ideologisch weit von meinem Denken entfernt sind und weil sie keine seriösen, durchführbaren Programme haben. Ich werde nicht Renzi wählen, obwohl ich in der Vergangenheit für den Partito Democratico (PD) gestimmt habe: Seine umstrittene Reform der Verfassung im Jahr 2016 und seine Arbeitsmarktpolitik haben mir klargemacht, dass er nicht versteht, wie man diese Fragen ernsthaft angeht. Ich bin unschlüssig, ob ich für die Listen von Emma Bonino oder von Pietro Grasso stimmen soll. In dem großen Chaos der italienischen Politik denke ich, dass diese beiden politischen Formationen stichhaltige Programme haben: mehr Europa, mehr Menschenrechte, mehr Gleichheit."