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"Ich wähle keine Mörder"

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Regimegegner boykottieren das Votum — Lokalaugenschein in Kairo.


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Kairo. "Sie glauben doch wohl selbst nicht, dass von uns einer wählen geht", ereifert sich Murat im Zentrum von Kairo auf die Frage, ob er seine Stimme abgegeben hätte. "Wählen gehen nur diejenigen, die Bashar huldigen." Insofern würde man an der Wahlbeteiligung erkennen, wie viele Anhänger der syrische Diktator noch habe. Doch auch die würde wahrscheinlich gefälscht.

Murats kleines Kaffeehaus ist jeden Abend voll. Männer und Frauen sitzen an soliden Holztischen, auf bequemen Stühlen - eine Seltenheit in Downtown. Gerade hier, um den Tahrir-Platz herum, hat die Revolution ihre Spuren hinterlassen und alles vernachlässigt. Doch Murats Café ist erst ein Jahr in Betrieb. An der Tür hängt ein von Hand geschriebener Speiseplan: syrische Kubba, Fatah und Hommos, dazu Milch mit Zimt. Murat kommt aus Damaskus. Ursprünglich wollte er am Bab al Tuma, dem Tor zur Altstadt, sein Kaffeehaus aufmachen. Dann kam die Rebellion gegen das Regime, die Freie Syrische Armee bildete sich, Murat machte mit und landete im Gefängnis. Ende 2012 konnte er nach Ägypten fliehen.

Im Ausland dürfen nur jene Syrer wählen, die offiziell ausgereist sind, und das sind bei weitem nicht alle. Murat ist zwar offiziell in Ägypten, wählen geht er aber trotzdem nicht. Auch die Tatsache, dass Assad zum ersten Mal seit seinem Machtantritt im Jahre 2000 zwei Gegenkandidaten für das Präsidentenamt zulässt, überzeugt den 34-jährigen Flüchtling nicht. Beide seien Stützen des Regimes, nichts weiter, kommentiert Murat mit einer abwinkenden Geste: "Ich wähle keine Mörder!"

Maher al-Hajar ist einer der beiden. Ein Parlamentsabgeordneter aus Aleppo, dessen Heimatstadt in Trümmern liegt und wo seit Januar fast 2000 Menschen starben. Der andere Gegenkandidat ist ein Geschäftsmann, Hassan al-Nuri, der in Amerika und der Schweiz studierte und zweimal Minister unter Bashars Vater Hafis al-Assad war. Er bezeichnet die Wahl bereits als historisch: "Diese Wahl wird Syriens Schicksal entscheiden", sagte er derchinesischen Nachrichtenagentur Xinhua, und lobte den Assad-Clan.

Anders als im Libanon, wo es vor der syrischen Botschaft zu tumultartigen Zwischenfällen mit hunderttausenden wahlfreudigen Syrern kommt, die ihre Stimme für Assad abgeben wollten, bleibt es in Ägypten ruhig. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerkes sind es mindestens 120.000 Menschen, die ins Nilland kamen. Doch sie halten sich zurück, gehen in Deckung. Die politischen Veränderungen hier haben auch sie getroffen. Nach dem Sturz von Präsident Mursi sind die Syrer, die nach Ägypten geflohen sind, nicht mehr wohlgelitten. "Zu Beginn war es in Ägypten sehr schön", sagt eine Frau in Murats Kaffeehaus. "Die Leute waren anfangs sehr lieb zu uns. Aber jetzt schimpfen sie und sagen: Ihr Syrer habt verdient, was Bashar mit euch macht. Ihr gehört zu den Moslembrüdern, ihr seid Terroristen." Während Mursi sich gegen Assad aussprach und seine Absetzung forderte, halten sich die neuen Militärmachthaber bisher bedeckt. Ihre Haltung gegenüber Syrien sei einzig dadurch zu erkennen, dass immer mehr Geschäfte, die von Syrern betrieben werden, zumachen müssen, berichtet Murat.