Vor zehn Tagen verstarb Leo-Ferdinand Graf Henckel von Donnersmarck. Obwohl sein Sohn Florian berühmter wurde als er, gehörte er dem Kuratorium einer besonderen Stiftung an.
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Unweit meiner früheren Berliner Wohnung gab es ein Kaffeehaus, das anders war als die Kaffeehäuser, die ich bis dahin gekannt hatte: Einfach aber zweckmäßig eingerichtet war es, es roch immer sauber und frisch, die Tische standen nicht eng gedrängt, und selbst wenn der Laden voll war, kam nie Hektik auf.
Später lernte ich vom Hörensagen, das Café habe "irgendwas mit Behinderten" zu tun. Was ich damals noch nicht wusste: Das "Blisse" war stadtbekannt und ein beliebter Treffpunkt vor allem jüngerer Berliner. So schreibt ein Student: "Wann immer man sich mit alten Schulfreunden trifft, heißt es aus Bequemlichkeit: Komm, wir gehen mal eben ins Blisse! Wann immer man sich mit ehemaligen Lehrern trifft: Lassen Sie uns doch mal ins Blisse gehen!"
Genau genommen heißt es "Blisse 14", weil es diese Hausnummer in der Blissestraße trägt, die wiederum ihren Namen einem großzügigen Ehepaar verdankt, das im 19. Jahrhundert etliche Millionen Mark für ein Waisenhaus spendete. Dieser soziale Genius loci liegt dort quasi in der Luft.
Das "Blisse14" wurde vor dreißig Jahren als erster barrierefreier Treffpunkt für Menschen mit und ohne Behinderung eröffnet. Von da an entwickelte sich der Ort zu einer Begegnungsstätte, die neben Speisen und Getränken auch kulturelle Programme bot.
2006 geriet die Einrichtung durch Streichung staatlicher Mittel in die Krise und musste vorübergehend schließen. Doch mit Hilfe einer privaten Stiftung und Zusammenarbeit zweier Behindertenwerkstätten konnte das "Blisse" heuer im Mai wieder seine rollstuhlgerechten Pforten öffnen. Heute erscheint das Café in dezenten Naturtönen, mit einem Mobiliar, das sich an den Bauhausstil anlehnt.
Die Stiftung, die 450.000 Euro in den Umbau steckte, ist gleichzeitig Träger der Einrichtung und heißt Fürst Donnersmarck Stiftung, in deren Kuratorium der kürzlich Verstorbene mitwirkte.
Die Stiftung besteht seit mehr als 90 Jahren. Geprägt durch die schrecklichen Erfahrungen des Ersten Weltkrieges und geleitet durch sein soziales Engagement stiftete Guido Graf Henckel Fürst von Donnersmarck im Jahr 1916 eine Kur- und Heilanstalt für die Kriegsverletzten, verbunden mit einer medizinischen Forschungsstätte. Inflation und Nazis machten der jungen Stiftung beinahe den Garaus. Erst in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts begann der Wiederaufbau der Stiftung. Von diesem Zeitpunkt an wuchsen die Stiftung und ihr Angebot stetig.
Heute kümmern sich rund 600 Mitarbeiter um die Belange körperbehinderter oder mehrfachbehinderter Menschen: Logopädinnen und Psychologen, Ergotherapeutinnen und Heilerziehungspfleger, Sozialarbeiterinnen und Physiotherapeuten, aber auch Betriebswirte und Köchinnen, Hausmeister und Sekretärinnen. Eine besondere Aufgabe sieht die Stiftung in der Bereitstellung von Arbeitsplätzen für behinderte Menschen: Etwa sieben Prozent der Beschäftigten sind behindert.
Die Stiftung unterstützt die Behinderten, bietet ihnen Rehabilitation, stellt Wohnraum zur Verfügung - natürlich auch betreutes Wohnen - und besorgt Arbeitsplätze. Und sie betreibt ein Hotel mit 250 Betten für Menschen mit Handikaps.
Ein besonderer Schwerpunkt sind Freizeitangebote und behindertengerechtes Reisen. So schreibt die Rollstuhlfahrerin Silvia G. über eine von der Stiftung organisierte Schwedenreise beglückt: "Hier war ich nun fürs Erste am Ziel meiner Wünsche und uralten Sehnsüchte, denn schon ewig wollte ich gerne ans Meer, hatte aber bisher so gut wie nie Gelegenheit."