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Bahman Nirumand sieht noch Stolpersteine bis zur endgültigen Lösung im Atomstreit.
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"Wiener Zeitung": Wie schätzen Sie nach dem historischen Durchbruch die Chancen dafür ein, dass es bis Ende Juni eine endgültige Lösung im zwölf Jahre andauernden Atomstreit geben wird?
Bahman Nirumand: Die Chancen scheinen groß zu sein, aber es gibt da auch großen Widerstand. Sowohl das Weiße Haus als auch die iranische Führung und vor allem Außenminister Mohammed Javad Zarif wollen den Nuklearstreit rund um die iranische Urananreicherung endgültig beilegen. Es gibt aber viele Kräfte, die einen solchen Deal unbedingt verhindern wollen.
An wen denken Sie konkret?
Das sind einmal die erzkonservativen Kräfte im Iran, die der Regierung ständig Steine in den Weg legen und sicherlich versuchen werden, ein in allen technischen Details ausgearbeitetes Papier und somit einen weiteren außenpolitischen Erfolg von Präsident Hassan Rohani zu verhindern. Schon jetzt schon haben sich Parlamentsabgeordnete zu Wort gemeldet, die sagen, dass sie einen etwaigen Deal und die Details genau überprüfen werden. Sollte dieser nicht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der iranischen Außenpolitik sein, werden sie den Deal ablehnen.
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Das iranische Parlament könnte sich also als ein großer Blockierer erweisen und dem Verhandlungsteam rund um Außenminister Javad Zarif einen Strich durch die Rechnung machen?
Ja. Ein Abgeordneter hat gesagt, er habe festgestellt, dass eine der wichtigsten Forderungen des Iran, die vollständige Aufhebung der Sanktionen, in den vereinbarten Eckpunkten nicht gewährleistet ist. Es sei nicht klar, welche Sanktionen wann aufgehoben würden. Ein anderer wiederum hat gesagt, es gäbe gravierende Widersprüche zwischen dem englischen und dem iranischen Vereinbarungstext und dies würde nicht an der Übersetzung liegen, sondern an inhaltlichen Divergenzen.
Gepoltert hat auch das Sprachrohr der Hardliner, der Chefredakteur der konservativen Tageszeitung "Keyhan".
Genau. Hossein Shariatmadari von Keyhan hat gesagt, wir haben dem Westen ein gesatteltes Pferd geschenkt und ein zerrissenes Zaumzeug erhalten. Sie sehen die Reaktionen und es sind erst ein paar Stunden seit dem Durchbruch vergangenen. Allerdings gab es im Iran auch viel Jubel. Zarif wurde am Flughafen frenetisch begrüßt und von manchen Menschen sogar mit dem beliebten ehemaligen Ministerpräsidenten aus der Schahzeit, Mohammad Mossadegh, verglichen.
Wie sehen Sie die Rolle der USA und Israels?
Aus den USA gibt es auch bestimmte widersprüchliche Reaktionen. Der US-Kongress ist sehr skeptisch. Die heftigsten Reaktionen kommen aus Israel. Premier Benjamin Netanjahu meinte, Israels Existenz sei gefährdet und er wolle die nötigen Konsequenzen ziehen, was auch immer das heißen mag.
Sie sind also eher pessimistisch hinsichtlich einer finalen Lösung?
Noch ist nichts gelöst. Der letzte Teil des Weges wird sehr schwer. Diese Kräfte, die ich genannt habe, könnten einen Deal diesmal in letzter Sekunde verhindern, was jedoch nicht nur für die iranische Regierung unter Rohani, sondern für die gesamte Region katastrophal wäre. Auch für die USA selbst hätte das weitreichende Folgen. Daher bin ich besorgt und warne vor zu viel Euphorie, denn es gibt bestimmte Fragen, die seit Beginn der Verhandlungen noch nicht geklärt sind.
Stichwort Geopolitik: Was wird sich nach dem Durchbruch in der Region ändern?
Diese Einigung wird, wenn sie im Juni tatsächlich zu einem Abschluss geführt werden kann, die ganze geostrategische Architektur im Nahen und Mittleren Osten verändern. Vor allem betrifft dies die Rolle der USA. Washington und Teheran würden sich annähern und das auf Kosten der arabischen Golfstaaten. Dessen sind sich Letztere auch bewusst und versuchen sich derzeit zu wehren. Die Saudis haben erklärt, dass sie im Fall eines Deals ebenfalls nuklear aufrüsten wollen. Das wäre ein nuklearer Rüstungswettlauf in der gesamten Region. Die aktuellen Vorgänge im Jemen zeigen, wohin das führen kann.
Bahman Nirumand zählt zu den wichtigsten Iran-Experten im deutschsprachigen Raum. Der 78-Jährige hat dutzende Publikationen zum Iran verfasst.