Ein junger Armenier versucht sich gegen die bürokratischen Zwänge der österreichischen Asylpolitik zu stemmen.
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Erik M. sitzt lächelnd auf den Treppen vor der Universität Wien. Auf seinem T-Shirt steht in großen Lettern "Gay OK!". Der 20-jährige Armenier war in den vergangenen Monaten im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen untergebracht. "Ich bin schwul und in Armenien akzeptiert man das nicht. Ich habe sehr viele Drohungen bekommen und wurde von meinen Schulkameraden regelmäßig geschlagen", sprudelt es aus ihm heraus.
Im September 2012 ist Erik mit seiner Mutter aus der armenischen Hauptstadt Jerewan nach Österreich geflohen. Vier Tage in einem Bus und LKW. Danach folgten mehrere Monate Zwischenstopp in Braunau sowie Traiskirchen und zwei Negativ-Bescheide. "Es ist aufgrund der o.a. Erwägungen davon auszugehen, dass Sie nicht homosexuell sind", ist im Einvernahme-Protokoll vom 9.Oktober 2012 zu lesen. Geführt wurde das zehnstündige Interview im Bundesasylamt in Linz. Der Beamte vermerkte widersprüchliche Aussagen von Erik und seiner Mutter, die die Homosexualität ihres Sohnes nicht als Fluchtgrund angegeben haben soll. Nach zwei Jahren glaubt man ihm, dass er homosexuell ist. Doch der junge Armenier, der neben Englisch auch Armenisch und Russisch fließend spricht, will mehr. Sein Deutsch ist für zwei Jahre in Österreich überdurchschnittlich gut. Jetzt kämpft er für seinen Traum eines Publizistik-Studiums und einen Wohnsitz in Wien.
"Niemand fühlt sich zuständig"
Dafür hat er mehrmals versucht, bei den vermeintlich zuständigen Behörden eine Unterkunft in der Hauptstadt zu beantragen. Ohne Erfolg. Nicht einmal eine Antwort hat er von den Beamten erhalten. "Niemand fühlt sich für uns zuständig, von einer Behörde werden wir zur nächsten geschickt. Das Motto ist Abwimmeln!", macht er seinem Ärger Luft. Mehrmals hat er versucht, bei den vermeintlich für ihn zuständigen Behörden einen Wohnortswechsel nach Wien zu beantragen. "Wien ist geschlossen", habe man ihm sogar mitgeteilt. Bis er die Bestätigung eines ordentlichen Studiums in der Hand hat, könne man nichts für ihn tun.
"Traiskirchen ist wie ein Gefängnis"
Wie ist es, im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen zu wohnen? "Wohnen kann man das nicht nennen. Es ist wie ein Gefängnis!" Beim Eingang kontrollieren Beamte die Taschen der Bewohner, mehrmals täglich auch die Zimmer. Ist niemand drin, werden sie zugesperrt, auch wenn man nur auf der Toilette ist. Erik ist aufgebracht: "Wir sind doch keine Häftlinge! Ich finde, die Leute sollen wissen, was dort passiert." Erik hat eine mit Unterlagen prall gefüllte Mappe unter dem Arm eingeklemmt. Auf dem Tisch breitet er Protokolle vom Erstaufnahmegespräch in Traiskirchen, die Ablehnung seiner Beschwerde auf Anfechtung des Asyl-Negativbescheids und Ausdrucke vom Mailverkehr mit diversen Beamten aus. "Was befürchten Sie bei einer Rückkehr in Ihre Heimat?" "Die Jungs waren immer in der Nähe meiner Wohnung in Armenien und haben auf mich gewartet. Sollte ich zurückkehren, dann werde ich mich schon vorher umbringen." Nach dem Gespräch wurde sein Asylgesuch abgelehnt.
"Schwerste homophobe Gewalt"
Zwei Suizidversuche hat Erik bereits hinter sich. Das war noch in Armenien. Daraufhin hat ihn seine Mutter gepackt und ist mit ihm nach Österreich geflohen. Dass Asyl Suchende im Erstaufnahmegespräch ihre Homosexualität nicht immer oder sogar selten als Fluchtgrund ansprechen, komme häufig vor, sagt Sexualtherapeut Wahala von der Courage Beratung. Er erstellt für das Bundesasylamt sexualwissenschaftliche Gutachten, wenn es Zweifel an der Homosexualität eines Asyl Suchenden gibt. "Manchmal handelt es sich um Menschen, die schwerste homophobe Gewalt erlebt haben, und die nicht wissen, wie Homosexualität in Österreich akzeptiert und gelebt wird. Die trauen sich natürlich nicht, sofort alles zu erzählen."
Generell sind homosexuelle Migranten im Asylverfahren diversen Schwierigkeiten ausgesetzt. Sie seien anerkannt, sofern ihre Verfolgung durch Länderberichte nachvollziehbar sei, sagt Gorji Marzban vom Verein "Oriental Queer Organisation Austria" (ORQOA), einer Anlaufstelle für LGBTIQ-Asyl Suchende (Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Transgender, Intersexuell und Queer) "Voraussetzung ist, dass die Übersetzer nicht befangen und homophob sind." Eriks Fall ist ihm bekannt, es bestehe "kein Zweifel über seine Homosexualität und ebenso über die homophobe Verfolgung und Ressentiments der armenischen Gesellschaft."
Massive Drohungen
"Die Lage von Erik hat sich geändert", sagt Eriks Rechtsvertreter Jakob Binder vom MigrantInnenverein St. Marx im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Erik ist seit 2013 vor allem seit dem Eurovision Songcontest im Netz aktiv. Durch den negativen Bekanntheitsgrad bekam er sehr massive Drohungen, wofür wir auch Belege haben." Ein relevanter Punkt sei die Gesetzeslage für Homosexuelle in Armenien. Argumentieren könnte man laut Binder mit der Schutzunwilligkeit der Polizei. "Vielleicht ist Homosexualität nicht illegal, aber die Polizei schaut nur zu, wenn Übergriffe und Verhetzung passieren." In Osteuropa beobachte er eine Verschlimmerung der Situation. Aber auch im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen wurde er von armenischen Asylwerbern als Aktivist erkannt und bedroht.
Ein weiterer Vorfall, der Erik auf der Seele lastet: Vor einigen Wochen habe seine Mutter in Traiskirchen versucht, sich mit Tabletten das Leben zu nehmen, weil "sie dem ständigen Stress ausgesetzt war", sagt Erik. Es folgten zwei Tage, in denen Mutter und Sohn stundenlang und erfolglos auf einen Psychologen warteten.
"Schließlich habe ich jede Hoffnung verloren und habe meine Mutter zu Amber Med (Medizinische Versorgungsstelle für Menschen ohne Versicherungsschutz, Anm. d. Red.) gebracht, damit sie endlich kompetente medizinische Hilfe bekommt, die sie dringend braucht", sagt Erik. "Es kann nicht legal sein, dass Menschen medizinische Versorgung verwehrt wird. Wie mit meiner Mutter umgegangen wurde, ist nicht akzeptabel!" Jetzt geht es ihr besser. Seit sie nicht mehr in Traiskirchen lebt, nimmt sie keine Tabletten mehr und empfindet nicht mehr diese Furcht, erzählt er.
Suizid kein "real risk"
"Suizidabsichten", halten die Beamten in Eriks Ablehnungsschreiben aus dem Jahr 2012 fest, "hindern eine Abschiebung nicht und sind kein ‚real risk‘." Dass sich der Gesundheitszustand durch eine Abschiebung verschlechtert – mentaler Stress ist nicht entscheidend – sei konkret nachzuweisen. Das Recht auf psychologische Betreuung sollte jedoch auch in einem Flüchtlingslager bestehen. Der Fall zeigt, dass sich Menschen im Notfall selbst helfen müssen.
Als am 30. Juli der Aufnahmestopp in Erstaufnahmelager Traiskirchen in Kraft trat, waren dort 1351 Personen untergebracht, inzwischen sind es nach Angaben des Innenministeriums rund 1000. Erik und seine Mutter wurden in ein ehemaliges Hotel nach Baden verlegt, wo sie sich ein 12-Quadratmeter-Zimmer teilen. Erik schläft auf einer Couch und seine Mutter auf einer Matratze.
"Wir kämpfen weiter!"
Gute Nachrichten hat er aber auch. Ab sofort erhält er das in der Grundversorgung geregelte Taschengeld von 40 Euro im Monat, das Asylwerbern bei organisierter Unterkunft zusteht. Ehrgeizig nähert er sich seinen Zielen: Die Deutschprüfung auf B2-Level hat er bestanden, Anfang September steht der Aufnahmetest an der Uni Wien an. Dann ist er ordentlicher Student, erzählt der 20-Jährige stolz.
Eine Wohnung in Wien wünscht er sich noch. Die sucht er sich derzeit auf eigene Faust. "Wir kämpfen weiter! Ich will endlich in Wien leben und studieren!", sagt er energisch. Kraft dafür gibt ihm sein Freund Dmitri, mit dem er sich im August verpartnern ließ. Auf seiner Facebook-Seite verkündet er stolz: "I am the first Armenian Guy, who married a Russian Guy!"<!--
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