Die Samtene Revolution gilt Vaclav Klaus als Aufbruch in den Kapitalismus. Tschechiens früherer Premier im Gespräch über seine damalige Rolle und warum das heutige Tschechien nicht aus der EU austreten kann.
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Vor genau 30 Jahren gärte es in der Tschechoslowakei. Die ersten Proteste im Winter 1989 waren dem Andenken von Jan Palach gewidmet, dem Studenten, der sich aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings verbrannt hatte. Immer mehr formierte sich der Widerstand gegen das kommunistische Regime, das schließlich im Herbst 1989 stürzte. Damit betrat auch ein Ökonom des Prognostischen Instituts der Akademie der Wissenschaften die politische Bühne: Vaclav Klaus. Als tschechischer Premier (1992 bis 1998) prägte er die Transformation - und verantwortete die Trennung von Tschechien und der Slowakei. Später war er auch Präsident seines Landes (2003 bis 2013). Klaus war kürzlich in Wien beim hochrangigen Wirtschaftskongress "com.sult 2019" zu Gast. Mit der "Wiener Zeitung" sprach er über die Wende 1989, die Auflösung der Tschechoslowakei und die Schwäche der Großparteien.
"Wiener Zeitung": Die Samtene Revolution hat 1989 das kommunistische Regime zu Fall gebracht. Es waren die ersten Massenproteste in der Tschechoslowakei nach dem Prager Frühling von 1968. War 1989 somit eine Fortsetzung von 1968 oder doch etwas anderes?
Vaclav Klaus: Die Samtene Revolution von 1989 war ein richtiger Bruch, das war die Liquidation der Ideen des Prager Frühlings, die auf eine Reform des Kommunismus und den dritten Weg (eine Mischung aus Sozialismus und Liberalismus, Anm.) abzielten. 1989 wählten wir den ersten Weg: Kapitalismus und freie Marktwirtschaft. Ich war sechs Wochen nach der Samtenen Revolutionen zum ersten Mal beim Weltwirtschaftsforum in Davos und wurde dort nach dem dritten Weg befragt. Und meine Antwort lautete: Der dritte Weg ist der schnellste Weg in die dritte Welt.
Den Umbruch in der Tschechoslowakei und dann vor allem später in Tschechien haben Sie als Premier und Vaclav Havel als Präsident stark geprägt. Sie wurden aber als Rivalen wahrgenommen. Sehen Sie das heute auch so?
Wir waren zwar beide gegen den Kommunismus. Aber sonst stand Vaclav Havel, von mir aus gesehen, immer auf der anderen Seite der Barrikade. Er war ein linksorientierter, grüner Intellektueller. Das missfiel mit absolut. Denn ich war ein Konservativer des rechten Spektrums und ein Vertreter der freien Marktwirtschaft im Geiste von Friedrich Hayek, Milton Friedman oder Margaret Thatcher.
Es gibt aber den Vorwurf, dass Ihre Regierung nach der Wende zu schnell zu viel wollte, die Wirtschaft zu schnell reformiert wurde, aber die rechtlichen Rahmenbedingungen gefehlt haben. Dies habe wiederum windigen Geschäftsleuten, die dies ausnutzten und sich bereicherten, Tür und Tor geöffnet.
Dieser Vorwurf ist falsch, und eigentlich bedarf es hier einer sehr eingehenden Erklärung. Nur so viel: Die Gesetze bildeten immer die Basis des Staates, aber wie in allen Ländern hat die Legislative verschiedene Schwierigkeiten und haben die Gesetzestexte verschiedene Lücken, deshalb werden ja Gesetze ständig novelliert. Das heißt: Man konnte nicht gleich nach der Wende die Gesetze vom ersten Tag an perfekt ausformulieren. Die Transformation hat sich nie gegen den Rechtsstaat gerichtet, aber es war unvermeidlich, mit nicht perfekten Institutionen und Gesetzen zu leben und die notwendigen Veränderungen zu organisieren. Alle Legislativen sind unvollkommen, in der gesamten Welt.
Mit Andrej Babis hat Tschechien nun einen Manager und Milliardär als Premier, der den Staat wie einen Konzern führen will. Ist das die Vollendung der kapitalistischen Transformation?
Den Staat als eine Firma zu führen ist doch nur eine Phrase. Durch sein Engagement in der Politik ist Babis längst schon klar geworden, dass dies nicht realisierbar ist. Man benötigt politische Unterstützung und Kompromisse, um das Land zu führen.
Gleichzeitig zeigte sich in Tschechien das Phänomen, dass sich mit der rechtsliberalen ODS und den Sozialdemokraten schneller als in anderen Transformationsländern zwei klassische Großparteien herausgebildet haben. Nun liegen diese am Boden. Liegt da Tschechien im europäischen Trend?
Ja, wir liegen damit leider im europäischen Trend. Und generell muss ich sagen: Die politische Transformation war wahrscheinlich wichtiger als die ökonomische. Wir waren das erste Land in Ost- und Mitteleuropa, das eine klassische politische Struktur geschaffen hatte: auf der rechten Seite die ODS, auf der linken die Sozialdemokraten und die Kommunisten, und in der Mitte Parteien wie die Christdemokraten. Das war unsere wichtigste Leistung und hat die Basis gelegt, um die wirtschaftlichen Maßnahmen umzusetzen. Leider haben ODS und Sozialdemokraten im Moment keine starken Führungspersönlichkeiten. Dadurch sind Stimmen liegen geblieben, die die Partei ANO von Babis oder die Piratenpartei aufgelesen haben. Ich bin unglücklich über diese Situation, denn ANO oder die Piratenpartei haben meiner Meinung nach nicht die gleichen Fähigkeiten wie die klassischen Volksparteien.
Die Tschechoslowakei hat sich ja bald geteilt, Sie haben diese Teilung auf der tschechischen Seite orchestriert, der damalige slowakische Premier Vladimir Meciar auf der slowakischen. Wie war Ihre Position dazu?
Ich habe in der Tschechoslowakei gelebt, habe in der tschechoslowakischen Liga Basketball gespielt, war mehr als fast jeder andere Tscheche in der Slowakei, meine Frau ist Slowakin und wir haben jedes Jahr im Tatra-Gebirge Urlaub gemacht. Ich wollte die Trennung von der Slowakei nicht. Aber gleichzeitig hatte ich auch einen ganz pragmatischen Standpunkt und habe verstanden: Wenn die Slowaken das wirklich wollen, dann gibt es keine Möglichkeit, die Trennung aufzuhalten. Das hätte nur ins Chaos wie in Ex-Jugoslawien oder der Ex-Sowjetunion geführt. Für uns war daher klar: Wenn wir uns für die Trennung entscheiden, dann soll diese schnell und radikal sein, es soll keine langsamen Schritte geben, die die Gesellschaft destabilisieren können. Das haben auch die Slowaken gut verstanden. Sie waren allerdings zunächst überrascht, dass ich, der ursprünglich gegen diese Trennung war, die Meinung vertrat, sie haben das Recht, sich abzuspalten, wenn sie das wirklich wollen. Ich habe den Weg der Kooperation gesucht, ich wollte, dass diese Trennung stabil verläuft und positive Ergebnisse bringt.
Nun steht ja eine viel größere Trennung an. Die Großbritanniens von der EU.
Ich sehe aber nicht, dass Brüssel dabei einen kooperativen Weg suchen würde, vielmehr will es Großbritannien wirklich bestrafen.
Sie sind ein großer Kritiker der EU. Könnte der Brexit auch ein Vorbild für Tschechien sein?
Ich bin nicht der Meinung, dass so kleine Länder wie die Tschechische Republik überhaupt die Möglichkeit dazu haben, so etwas wie den Brexit durchzuführen. Großbritannien ist ein großer Staat und hat schon solche Probleme mit der EU. Wir kleine Länder wären ein unwichtiger Partner der EU und haben daher diese Möglichkeit leider nicht.