Wolff: Bei vielen justizpolitischen Entscheidungen fehlt durchdachter Plan.
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Wien. Eine ruhige Sachdebatte über die wirklichen Probleme der Justiz: Das vermisst Rupert Wolff, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages.
Warum etwa werden Bezirksgerichte geschossen und gleichzeitig beschließt die Politik, die Streitwertgrenze für Zivilverfahren von 10.000 schrittweise auf künftig 25.000 Euro anzuheben, was automatisch zu einer stärkeren Belastung dieser Gerichtsebene führt? "Ich fürchte hinter diesen beiden Entscheidungen gab es keinen durchdachten Plan", erklärt Wolff im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Oder die emotional hochgekochte Debatte über die Fußfessel für Sexualstraftäter. Wolff: "Die Fußfessel ist eine gute Sache und es gibt keinen juristischen Grund, einzelne Delikte hier herauszunehmen. Es war einmal Konsens in Österreich, dass nicht die Opfer über die Strafe eines Täters entscheiden."
Ein enormes gesellschaftspolitisches Problem sieht Wolff im Trend, den Zugang zum Recht zunehmend mit Hürden vor allem finanzieller Natur zu pflastern. Dass etwa allein für die erste Instanz Gerichtsgebühren anteilsmäßig und nach der Höhe des Streitwerts bemessen anfallen, könne mitunter prohibitive Züge entfalten. Die Stadt Linz muss beispielsweise allein für ihre Klage gegen die Bawag wegen eines umstrittenen Swap-Geschäfts 4,8 Millionen Euro Gebühr entrichten der Streitwert liegt bei über 400 Millionen Euro. Der Zugang droht damit zu einer Frage der finanziellen Potenz eines Klägers zu werden. Wolff leitet daraus die Forderung nach einer Deckelung der Gerichtsgebühr ab. Aber so lange die Personalnot in der Justiz, bei Richtern und Staatsanwälten, nicht behoben werde, sei mit Erleichterungen beim Zugang zum Recht für die Bürger nicht zu rechnen.
Unschuldsvermutung der Lächerlichkeit preisgegeben
Von der Justiz selbst erwartet sich Wolff, dass sie "stumm, blind und ruhig" agieren solle. Tatsächlich jedoch handle sie "viel zu fiebrig". Dies in Verbindung mit dem enormen Druck führe dazu, dass ungeachtet der Verschwiegenheitspflicht von Richtern und Staatsanwälten immer wieder Akten bei politisch sensiblen Fällen an die Öffentlichkeit gelangten. Wolff pocht insbesondere auf die Unschuldsvermutung als leitendes Grundprinzip im Umgang mit Verdachtsmomenten; in der Öffentlichkeit sei dieser Begriff in den vergangenen Jahren allerdings fast schon der Lächerlichkeit preisgegeben worden. Mittlerweile sei der Justiz selbst das Problem illegaler Weitergabe von Akten bewusst geworden.
Wolff selbst plädiert, dem Druck der Öffentlichkeit nach rascheren Ermittlungen in politisch sensiblen Fällen nicht nachzugeben: "Bei manchen Darstellungen von Justitia ruhe der Fuß der römischen Göttin der Gerechtigkeit auf einer Schildkröte", so Wolff. Und die Schildkröte symbolisiere hier die Tugend der Langsamkeit, die ein gründliches Verfahren stets benötige. Zweifellos ein schönes Bild: Göttin Justitia blind, stumm und auch noch langsam. Allerdings auch einladend für weniger justizphilosophische Interpretationen.
Rupert Wolff
Der 55-jährige Partner in der traditionsreichen Salzburger Anwaltskanzlei Wolff, Wolff & Wolff ist seit September 2011 Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages.