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Moskau reagiert kühl auf den Vorstoß Obamas, Atomwaffen zu beschränken.
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Berlin. Die Fußstapfen sind riesig: "Ich bin ein Berliner" und "Reißen Sie diese Mauer nieder, Herr Gorbatschow" sind Sätze, die das 20. Jahrhundert prägten. Beide fielen in Berlin, und es waren US-Präsidenten, die sie sprachen: John F. Kennedy und Ronald Reagan. 50 Jahre bzw. 26 Jahre sind seitdem vergangen und der Kalte Krieg ist längst beendet - auch wenn die Atomwaffenarsenale der USA und Russland eine andere Sprache sprechen.
Also schickte sich der nunmehrige Präsident Barack Obama bei seiner Berlin-Visite an, es seinen Vorgängern gleichzutun. Am Mittwoch hielt er vor dem symbolträchtigen Bandenburger Tor ein Plädoyer für die atomare Abrüstung: Eine Welt ohne Atomwaffen müsse weiter angestrebt werden - "ungeachtet, wie weit sich dieser Traum in der Zukunft befinden mag", rief Obama.
Über 1550 strategische Atomsprengköpfe, in Langstreckenbombern, an Bord von U-Booten und in Interkontinentalraketen an Land, dürfen sowohl die USA als auch Russland verfügen. Das sieht der vor drei Jahren geschlossene Start-Vertrag vor.
Doch meint es Obama mit dem Anliegen zur Reduzierung der Sprengköpfe um bis zu einem Drittel ernst, oder ist es lediglich ein Versuch der Selbstinszenierung auf historischem Terrain? "Die Beschränkung der Atomwaffen ist dem US-Präsidenten tatsächlich ein Anliegen", sagt Politikwissenschafter Heinz Gärtner im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Zwei gravierende Hindernisse gebe es aber: Im Senat verfüge Obama nicht über die notwendige Zweidrittelmehrheit zur Ratifizierung des Abkommens. "Die Republikaner signalisieren strikte Ablehnung für einen weiteren Start-Vertrag. Und auch in Russland gibt es massive Vorbehalte", erklärt der Sicherheitsexperte des Österreichischen Instituts für Internationale Politik.
Veraltetes Waffenarsenal
Mehr als 23.000 Atomwaffen lagern derzeit weltweit, so eine Schätzung des "Bulletin of the Atomic Scientists" - 96 Prozent davon befinden sich im Besitz der Vereinigten Staaten oder Russlands. "Doch die Russen können bei der Modernisierung ihres Waffenarsenals nicht mithalten. Sie verfügen derzeit über lediglich 1300 stationierte strategische Nuklearwaffen - und liegen damit deutlich unter den im Start-Vertrag festgelegten 1550 Sprengköpfen", sagt Gärtner.
Riesige Löcher reißt der Etat für Atomwaffen in die Budgets beider Länder. 7,6 Milliarden Dollar sind für Instandhaltung und Modernisierung alleine in den Vereinigten Staaten heuer budgetiert, 300 Millionen mehr sollen es im kommenden Jahr werden. "In den USA gibt es eine starke Nuklearlobby. Dass das zu Zeiten des Kalten Krieges geltende Konzept der atomaren Abschreckung ausgedient hat, wird bei den US-Republikanern nicht wahrgenommen. Ähnlich wie jene außenpolitischen Falken denkt aber auch die russische Führung", analysiert Experte Gärtner.
Putin kontert Obama
Dementsprechend kühl wurde Obamas Vorstoß in Moskau kommentiert. "Wir können nicht erlauben, dass das Gleichgewicht des Systems der strategischen Abschreckung gestört oder die Effektivität unserer Atomstreitmacht geschwächt wird", konterte Präsident Wladimir Putin seinem Amtskollegen. Und der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow signalisierte bereits vor einem Monat bei einer Konferenz, Russland sei an neuen Verhandlungen über nukleare Abrüstung nicht interessiert. Weiterhin massive Vorbehalte hegt Moskau gegen den insbesondere von Obamas Vorgänger George W. Bush propagierten Raketenabwehrschild und will eine Einigung über einen neuen Start-Vertrag mit dem Thema verknüpfen. Auch die Überlegenheit der Nato bei konventionellen Waffen ist den Russen ein Dorn im Auge.
Dass aber Einigungen zwischen den beiden Ländern prinzipiell nicht unmöglich sind, bewiesen Obama und Putin erst diese Woche. Beim G8-Gipfel in Nordirland erklärten sie, einen auslaufenden Vertrag zur Entsorgung ausgedienter Atom- und chemischer Waffen verlängern zu wollen - der neue Vertrag samt Unterschrift lässt jedoch noch auf sich warten.
85 Milliarden teures "Ja"
Auch innerhalb der USA könnte die harte Front gegen Obamas Anti-Nuklear-Pläne noch bröckeln, falls der Präsident einen Gegendeal vorschlägt. Bereits den Start-Vertrag 2010 musste sich der Friedensnobelpreisträger teuer erkaufen: "Im Gegenzug für das ‚Ja‘ republikanischer Senatoren stimmte Obama einem 85 Milliarden Dollar schweren Modernisierungsprogramm für die amerikanischen Nuklearwaffen zu", erklärt Heinz Gärtner.
Eine rasche Abtrüstung ist angesichts der erwartbar zähen Verhandlungen sowohl innerhalb der USA als auch mit Russland nicht in Sicht. Obama macht sich ebenfalls keine Illusionen: Er wolle ein Gipfeltreffen zur atomaren Sicherheit im kommenden Jahr im niederländischen Den Haag vorschlagen und 2016 zu einem Atomwaffengipfel einladen - im letzten Jahr seiner Präsidentschaft. Der Mann, der einst die Schlagwörter Hoffnung und Wandel verkörperte, scheint selbst kaum Erfolgsaussichten zu sehen.
Dass sich Obamas Strahlkraft abgenutzt hat, war bei seiner Berliner Rede unübersehbar. Vor fünf Jahren sprach er vor 200.000 Personen in der deutschen Hauptstadt, am Mittwoch waren es 4.500. Neben der Reduzierung der Atomwaffen forderte Obama, der zuvor Kanzlerin Angela Merkel traf, neue gemeinsame Initiativen gegen den Klimawandel und wachsende soziale Unterschiede und plädierte für mehr Gleichberechtigung. An die Tradition der großen und im Gedächtnis bleibenden Reden amerikanischer Präsidenten in Berlin konnte Obama aber nicht anknüpfen.