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Ideologische Zerreißprobe

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik

Samaras will nach gescheiterter Präsidentenkür Neuwahlen noch im Jänner - Linksbündnis Syriza wittert Siegeschancen.


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Athen. Symbolkräftiger ging es kaum: Um fünf Minuten vor zwölf betrat Griechenlands konservativer (Noch-)Premierminister Antonis Samaras an diesem sonnenüberfluteten letzten Montag im Dezember das Athener Parlament, das ehrwürdige "Vouli" - vorbei an gut drei Dutzend Fernsehkameras und der versammelten Journalistenschar aus aller Welt. Es sollte sein letzter Arbeitstag als griechischer Regierungschef sein - vorerst zumindest. Samaras’ auch noch am Wochenende gebetsmühlenartig ausgesprochene Warnung, Griechenland dürfe "nicht in ein Abenteuer gestürzt werden", schlug die griechische Volksvertretung in den Wind.

Schon im Vorfeld des dritten und definitiv letzten Wahlgangs bei der wegweisenden Präsidentenkür in Athen hatte sich der Eindruck verfestigt, um 12:37 Uhr Ortszeit war es dann Gewissheit: Der einzige Kandidat für den Posten des Staatsoberhaupts, der 73-jährige Jurist und frühere EU-Kommissar Stavros Dimas, ein eher farbloser Parteifreund des konservativen Regierungschefs Samaras, ist gescheitert. Wie schon im zweiten Anlauf am 23. Dezember, kam Dimas nicht über 168 "Ja"-Stimmen im 300 Sitze zählenden Parlament hinaus.

Diesmal hätte er zwar nur eine Dreifünftelmehrheit und somit 180 Stimmen statt wie zuvor eine Zweidrittelmehrheit für seine Wahl gebraucht. Die ausgerechnet von Samaras am 8. Dezember um zwei Monate und damit mitten in die auch hierzulande üblicherweise besinnlichen Festtage um Weihnachten und Neujahr vorgezogene Präsidentenkür endete für die Regierung mit einem Debakel.

Das für Samaras und Co. höchst ernüchternde Ergebnis, besser: das Fiasko, stand bereits früh fest. Als der stimmgewaltige Abgeordnete Jordanis Tzamtzis bei dieser denkwürdigen Präsidentenwahl noch immerhin 31 Abgeordnete zur verbalen Stimmabgabe aufzurufen hatte, hat die Zahl der Abgeordneten, die ihre Ablehnung für Dimas mit einem schallenden "Paron!" ("Ich enthalte mich der Stimme!") riefen, die magische Grenze von 121 bereits erreicht. Dimas war schon zu jenem Zeitpunkt gescheitert.

Neben den 155 Regierungsabgeordneten der konservativen Nea Dimokratia (ND) und den Pasok-Sozialisten unter Außenminister Evangelos Venizelos votierten abermals nur dreizehn der insgesamt 24 unabhängigen Abgeordneten für Dimas, es waren exakt die gleichen Parlamentarier wie schon sechs Kalendertage zuvor. Und wieder lehnten geschlossen alle fünf Athener Oppositionsparteien, neben dem "Bündnis der radikalen Linken" (Syriza) noch die stalinistisch-orthodoxen Kommunisten (KKE), die Demokratische Linke (Dimar), die "Unabhängigen Griechen" (Anel) sowie die rechtsextreme Goldene Morgenröte ("Chrysi Avgi"), Dimas ab - und stürzten zugleich die seit Juni 2012 amtierende Regierung des Duos Samaras/Venizelos.

Die Wiederentdeckungdes Volkes

So sind die Würfel in Athen gefallen. Dem politisch ohnehin schon turbulenten Dezember folgt damit ein noch spannenderer Jänner. Bereits wenige Minuten nach der gescheiterten Präsidentenkür teilte Samaras in einem live vom griechischen Fernsehen übertragenen Statement mit, er werde bereits am heutigen Dienstag den amtierenden Staatspräsidenten Karolos Papoulias aufsuchen und ihn darum bitten, das Athener Parlament unverzüglich aufzulösen. Es gilt als sicher, dass der betagte Papoulias Samaras’ Wunsch erfüllen wird, obgleich die griechische Verfassung im Falle einer ergebnislosen Präsidentenwahl dafür immerhin ein Zeitfenster von bis zu zehn Tagen vorsieht.

Doch Samaras gibt nun Gas. Wie er zugleich ankündigte, wünsche er sich Parlamentsneuwahlen bereits am 25. Jänner, dem frühestmöglichen Termin überhaupt. Die Begründung dafür, weshalb die Neuwahlen im ewigen Sorgenland Hellas, dem Ursprungsland und Epizentrum der nur scheinbar überwundenen Euro-Krise, seiner Ansicht nach so schnell abgehalten werden sollen, lieferte Samaras unverblümt gleich mit. "Das, was das Athener Parlament nicht getan hat, hat jetzt das Volk zu tun", sagte er.

Samaras eröffnetden Wahlkampf

Denn das Dilemma bei dem bevorstehenden Urnengang, dem laut Samaras "wichtigsten der letzten Jahrzehnte", laute: Wird Griechenland "in einem Umfeld der Stabilität und Sicherheit die Krise überwinden" oder kehrt das Land "zur Krise, Isolation oder Staatsdefiziten und einer neuen Schuldenmacherei" zurück. Das Volk werde das "nicht erlauben", hob Samaras hervor. Und er fügte hinzu: "Ich bin hier, um zu garantieren, dass das Land den sicheren Hafen der Stabilität erreicht, ohne dass die bisher erbrachten Opfer des Volkes und der bereits eingesetzte Wirtschaftsaufschwung in Gefahr gebracht werden. Ich bin hier, um nicht zu erlauben, dass der Platz Griechenland in Europa infrage gestellt wird."

Ein deutlicher Seitenhieb gegen seinen Herausforderer, Syriza-Chef Alexis Tsipras. Der erklärte Gegner des von ND und Pasok im Einklang mit Griechenlands öffentlicher Gläubiger-Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds betriebenen rigorosen Sparkurses in Athen sah den Ausgang der Präsidentenwahl ganz anders. "Heute ist ein historischer Tag für die griechische Demokratie. Die Regierung Samaras hat zweieinhalb Jahre lang das griechische Volk ausgeplündert und will ihm ein neues Sparpaket aufbürden. Die Mehrheit der Griechen wünscht aber ein Ende des katastrophalen Austeritätskurses. Mit dem Willen des griechischen Volkes wird dies schon bald eintreten. Heute ist ein Tag der und Zuversicht und Freude", sagte der 40-jährige Oppositionschef.

In sämtlichen Umfragen hat das oppositionelle Linksbündnis die Nase vor der Nea Dimokratia, auch wenn der Rückstand der ND auf Syriza zuletzt geschrumpft ist. Die Beobachter sind sich jedenfalls einig: Es wird ein polarisierender Express-Wahlkampf. Denn auch Samaras sprühte unmittelbar nach dem Dimas-Debakel vor Zuversicht: "Seien Sie versichert: Wir werden bei den Wahlen der Sieger sein."

Allerdings könnte er am Wahlabend des 25. Jänner ohne potenziellen Koalitionspartner dastehen. Denn die bis vor dem Ausbruch der desaströsen Griechenland-Krise omnipotente Pasok liefert sich seit ihrem Popularitätsverlust einen Selbstzerfleischungskampf und steht nun vor der Spaltung. Der ehemalige Premier Georgios Papandreou, ein ewiger Widersacher des jetzigen Pasok-Chefs Venizelos, hat zuletzt unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er im Falle des Scheiterns der Präsidentschaftswahl kurzerhand eine neue Partei gründen will. Durchaus denkbar, dass letztlich weder die inzwischen unpopulär gewordene Pasok noch die neue Papandreou-Partei den Sprung über die Drei-Prozent-Hürde schaffen. Keine rosigen Koalitionsaussichten also für Samaras.

Tsipras hingegen muss um mögliche Bündnispartner nicht bangen. Panos Kammenos, Chef der Anel-Partei, der sich am Montag abermals unverhohlen als Juniorpartner in einer Syriza-Regierung anbot, stimmte bereits Wahlkampftöne an: "Die Parenthese der Regierung Samaras/Venizelos, die nur als Befehlsempfänger der Gläubiger-Troika fungiert hat, gehört der Vergangenheit an. Griechenland wird wieder seine nationale Souveränität erlangen. Die Zukunft hat bereits begonnen".

Mit Blick auf die Parlamentsneuwahlenprobt neben Anel auch die abtrünnige Dimar-Partei den Schulterschluss mit Syriza. "Das Land muss eine neue Seite aufschlagen", gab sich der Chef der gemäßigten Linkspartei, Fotis Kouvelis, unmittelbar nach der gescheiterten Präsidentenkür kämpferisch. Bei dieser hatten die neun Dimar-Abgeorndeten in allen drei Durchgängen gegen Dimas votiert. Unter Kouvelishatte sich Dimar im Jahr 2010 von Syriza abgespalten und nach den Doppelwahlen im Frühjahr 2012 eine Dreiparteienregierung mit der ND und Pasok gebildet. Im Juni 2013 verließ Dimar diese aber aus Protest gegen die handstreichartige Abschaffung des Staatssenders ERT wieder - seither dümpelt die Partei in allen aktuellen Umfragen deutlich unter der Drei-Prozent-Marke. Nun hofft sie auf Wählerstimmen, denen Tsipras Syriza zu radikal ist.