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Idylle mit Pumpgun

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien. Foto: Daniel Novotny

Das Leben in der österreichischen Provinz.


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Manchmal überwindet auch eine Kolumnistin die Distanz und verlässt ihre "sichere Entfernung". Dann kommt sie anderen Leuten nahe. Etwa in einem Gespräch. Etwa mit einem Handwerker. Etwa in der österreichischen Provinz.

Dieser erzählt dann ganz von allein von seinem Leben. Neben dem Handwerk, das er in gesicherten Verhältnissen als Angestellter einer Firma betreibt, arbeite er auch als Türsteher in einer örtlichen Disco. Ob das gefährlich sei? Nein, man sei hier ja nicht in Wien, wo sich die Ausländer gegenseitig "in die Gosch’n hauen". Keine fünf Minuten hat es gedauert, bis erstmals das Wort fiel. Ausländer. Danach war kein Halten mehr. Danach schwappte sie über, die Welle mit dem "Gesindel, das hereingelassen wurde". Ich erzähle das nicht, um zu beweisen, wie fremdenfeindlich die Leute am Land sind. Interessanter ist die Schlussfolgerung, die der junge Mann daraus gezogen hat: Er hat sich nämlich ein neues Hobby zugelegt - Schießen. Na bumm, könnte man sagen. Und es wäre nicht nur lautmalerisch gemeint. Ob er auf Figuren schieße, wie in amerikanischen Filmen? Nein, nur auf Zielscheiben übe er mit seiner halbautomatischen Pumpgun. Ganz legal. Warum dieses seltsame Hobby? Da brauche man nur nach Wien zu schauen. Dort könne man sich ohne Waffe doch gar nicht mehr auf die Straße trauen. Wegen dem "Gesindel" seien dort Schießereien an der Tagesordnung. Täglich.

Er ist ein aufgeweckter junger Mann. Mit gutem Job, intaktem Freundeskreis. Kein Underdog. Kein Sozialfall. Kein Außenseiter. Aber sein Gerede von einer Bedrohung der ganzen Gesellschaft durch Einwanderer ist ein Fantasma, dem man mit keinem Gegenargument, mit keiner Darstellung der tatsächlichen Verhältnisse in Wien, wo man ja lebt, beikommen kann. Slavoj Zizek hat geschrieben, dass solche Paranoia sich nicht an realen Bedrohungsszenarien entzündet, sondern alleine an der Anwesenheit von Fremden.

Ein junger Mann aus der tiefsten Provinz rüstet sich also, um gegen ein Fantasma zu kämpfen. Ein "Held auf dem Sprung", wie Maximilian Probst in der "Zeit" diese Rückkehr der Männlichkeit in postheroischen Gesellschaften genannt hat. Genau das ist der Mehrwert, den er aus seinem Hobby zieht, das treibt ihn an: eine Ermächtigung als Mann, als Kämpfer, als Verteidiger. Etwa seiner Familie - die er zwar noch nicht hat, die er aber mit seiner Pumpgun beschützen möchte. Wie soll er diese denn ohne Waffe beschützen - meinte er mitten in der idyllischsten Natur. Warum aber klingt dieser besessene junge Mann wie Björn Höcke, von dem er vielleicht noch nie gehört hat? Wie der AfD-Politiker, der meint: "Nur wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft und wir müssen wehrhaft werden." Warum erlebt man die Welt in der österreichischen Provinz wie Götz Kubitschek, der die Gesellschaft im "Vorbürgerkrieg" sieht? Hier greift etwas auf vielfältigen Kanälen um sich.

Dieser junge Mann ist kein Einzelfall. Die Zahl der Schießenden, versichert er, würde rapide steigen. Es ist nicht klar, ob es sich mit der Zahl ebenso wie mit der Bedrohung verhält: Sie ist eine gefühlte. Beruhigend ist das aber in keinem Fall.