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Iftikhar Mohammed Chaudhry: Der Höchstrichter, der Nein sagte

Von Agnes Tandler

Analysen

Richter kommen, Richter gehen. So war es in Pakistan, bis Iftikhar Mohammed Chaudhry kam. Der bis dahin völlig unauffällige und apolitische Jurist aus Belutschistan hatte stets zu Gunsten von Präsident Pervez Musharraf gestimmt. Doch als der dem scheinbar so loyalen Mann 2005 den Vorsitz des Obersten Gerichts übertrug, erlebte er bald sein blaues Wunder. Über Nacht entwickelte sich Chaudhry zum Motor einer Bewegung für Rechtsstaat und Demokratie. | Als Höchstrichter nutze Chaudhry seine Position, um eine Reihe von Fällen neu aufzurollen, wie etwa das Verfahren um die "verschwundenen Menschen": Pakistanis, die wegen Terrorverdachts verschleppt wurden. Dafür zitierte er sogar den mächtigen pakistanischen Geheimdienst vor Gericht. Auch die Privatisierung einer staatlichen Stahlfirma machte er wegen Verdachts auf Korruption rückgängig und verärgerte damit hohe Politiker.


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"Chaudhry war der jüngste Richter, der je dieses Amt innehatte. Vielleicht hatte er daher einfach mehr Kraft als seine Vorgänger", sagt Azmat Abbas, ein Dokumentarfilmer, der über die Juristenbewegung gearbeitet hat.

Als Musharraf die Geduld verlor und Chaudhry am 9. März 2007 zur Entlassung einbestellte, bot ihm der Richter die Stirn. Er weigerte sich zurückzutreten, so wie es alle anderen seiner Vorgänger getan hatten, wenn die Machthaber dies verlangten. "Er war der erste Richter, der Nein sagte", meint Abbas. Der damalige Vorsitzende der Anwaltskammer des Höchstgerichts, Munir Malik, organisierte eine Solidaritätsbewegung für Chaudhry, die jeden Rahmen sprengte. Tausende Menschen bejubelten den geschassten Richter wie einen Volkshelden. Zwei Monate später beugte sich Musharraf dem Druck der Straße. Chaudhry war zurück.

Doch kaum wieder im Amt, nahm sich der Chefrichter Musharraf vor. Er machte deutlich, dass er dessen Wiederwahl als Präsident wegen eines Verfassungsverstoßes nicht absegnen werde. Schließlich blieb Musharraf nichts anderes übrig, als den Notstand zu erlassen und Chaudhry ein zweites Mal rauszuwerfen.

Die 2008 demokratisch gewählte Regierung versprach, den Richter wieder einzusetzen. Doch Präsident Asif Ali Zardari blockte. Er befürchtet, dass der Jurist ein Abkommen zwischen ihm und Musharraf für ungültig erklärt und ihn wegen alter Verfahren einsperrt. Eine Koalition zwischen Zardari und Nawaz Sharif zerbrach nach wenigen Wochen an der Richterfrage. Doch als Zardari das von Musharraf eingesetzte Marionettengericht benutzte, um die Opposition um Sharif faktisch von der Politik auszuschließen, bekam der Protest neuen Schwung. Der Sieg der Juristen werde dem Land Stabilität bringen, hofft der Richter Ali Ahmed Kurd aus Quetta.