Kinderkriegen muss als gesellschaftliche Aufgabe angesehen und entsprechend gefördert werden.
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"Im Jahr 2021 gab es im Vergleich zum Jahr zuvor ein Geburtenplus von 2,4 Prozent, und auch im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 kamen in Österreich wieder etwas mehr Kinder zur Welt. Dennoch ist die Geburtenbilanz Österreichs des Jahres 2021 negativ: 85.607 Neugeborenen standen 90.434 Verstorbene gegenüber." So lautete eine Pressemitteilung der Statistik Austria im heurigen Frühjahr. Seit 1973 kann Österreich seine Einwohnerzahl nur dank Einwanderung halten beziehungsweise vergrößern.
Und damit steht Österreich in Europa nicht alleine da. In keinem EU-Land liegt die Fruchtbarkeitsrate über dem für eine wachsende Bevölkerung notwendigen Wert von 2,0 Kindern pro Frau. Einzig Frankreich stellt einen Sonderfall in der europäischen Geburtenstatistik dar. Dort beträgt die durchschnittliche Fertilität nämlich genau 2,0 Kinder pro Frau - in Österreich sind es 1,46 Kinder. Was macht Frankreich also besser?
Manche meinen, im Unterschied zu anderen Ländern sehe Frankreich Kinderkriegen als gesellschaftliche Aufgabe und nicht als Privatangelegenheit an. Das Sozialversicherungssystem wendet etwa 4 Prozent des BIP für familienspezifische Ausgaben auf, das ist ein bemerkenswert hoher Anteil. In Österreich kommen laut dem "Familienbericht" der Jahre 2009 bis 2019 rund 10 Prozent des Bundesbudgets Familien zugute. Auch wenn man diese beiden Daten nicht direkt miteinander vergleichen kann, ist offensichtlich, dass es in Österreich bei der Treffgenauigkeit zur Verringerung von Kinderarmut noch Spielraum nach oben gibt.
Frankreich bietet den Familien mehr als 20 Familienleistungen je nach Einkommen und Familienmodell. Österreich hat nicht einmal halb so viele. Und während französische Kinder und Jugendliche bis zur Matura ganztags betreut werden können, so scheitert es in Österreich bereits am mangelnden Vorhandensein ausreichender Kindergartenplätze und Ganztagsschulen. Dass das Regierungsprogramm 2020 bis 2024 mittelfristig ein verpflichtendes zweites Kindergartenjahr plant, ist löblich, aber auch nicht mehr als ein Drehen an kleinen Schrauben.
Frauen in Frankreich können wenige Monate nach der Geburt überwiegend in eine Vollzeittätigkeit zurückkehren, in Österreich hingegen arbeitet jede zweite Frau in Teilzeit. In Frankreich erwirtschaften also mehr Frauen ein existenzsicherndes Einkommen und verfügen folglich auch mehrheitlich über eine eigene alterssichernde Versorgung. Staatliche Einrichtungen vom Beruf bis zur Kinderbetreuungseinrichtung fördern die Erwerbstätigkeit von Frauen in Frankreich gezielt. Damit müssen sie de facto nicht zwischen Karriere und Kindern wählen.
Im österreichischen Regierungsübereinkommen findet sich kein Wort über das Kinderkriegen als gesellschaftliche Aufgabe. Hier ist ein kultureller Wandel erforderlich. Um es im Neusprechstil eines ehemaligen Bundeskanzlers zu formulieren: Das Beste aus beiden Welten sollte Kinderkriegen als gesellschaftliche Aufgabe ansehen. Zumindest, wenn es sich um ein zukunftsfähiges Modell handeln soll.