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"Ihr müsst beginnen, auch andere Kulturen zu schätzen"

Von Martyna Czarnowska

Europaarchiv

Der türkische Botschafter Kadri Ecvet Tezcan plädiert für Zusammenarbeit bei der Integration. | "Wiener Zeitung": Österreich braucht Einwanderer, das räumen mittlerweile auch einige Politiker ein. Etliche Menschen haben aber Angst vor zehntausenden neuen Migranten. Wie würden Sie solche Befürchtungen zerstreuen? | KadriEcvet Tezcan: Es ist eine europaweite Debatte. Und ganz Europa braucht Zuwanderer. Doch auch die Türkei mit ihrer wachsenden Wirtschaft benötigt gut ausgebildete Arbeitskräfte. Wir sind ja kein Fußballklub, der die Besten in andere Länder verkauft. Ich könnte Österreich sagen: Behaltet die Migranten, die schon da sind, behandelt sie besser, bildet sie besser aus, dann braucht ihr nicht hunderttausend zusätzliche Einwanderer.


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In der Debatte ist Integration ein wichtiges Schlagwort. Ärgert Sie die Skepsis gegenüber Ihren Landsleuten?

Wir sprechen über Einwanderer, die sich nicht an die österreichischen Gesetze und die Gesellschaft anpassen konnten. Doch die Debatte ist ein Missverständnis, noch dazu ein verdrehtes. Die Hälfte der eingewanderten Türken hat die österreichische Staatsbürgerschaft, und dann heißt es, dass sie nicht integriert sind?

Warum wird dann über Parallelgesellschaften gesprochen?

Weil die Definition von Integration nicht klar ist. Für mich bedeutet sie: Lerne die Sprache des Landes, in dem du lebst, und beachte die Gesetze. Sie bedeutet aber nicht, die eigene Religion oder den Kleidungsstil aufzugeben oder auf das Recht zu verzichten, die eigene Muttersprache zu lernen. Unterschiede tragen doch zum kulturellen Leben einer Gesellschaft bei.

Es geht also in erster Linie um Versäumnisse der österreichischen Politik?

Es gibt viele Stellen in Österreich, die sich um Integration bemühen. Doch es gibt keine Koordination unter ihnen. Es gibt keine einheitliche Politik zur Integration. Niemand weiß, wie Integration wirklich gehen soll. Das war vielleicht noch vor 15 Jahren kein Problem, auch nicht für die Türkei. Wir ließen die Leute gehen und dachten, sie kämen zurück - ähnlich wie es in Österreich gedacht wurde. Doch die Menschen ließen ihre Familien nachkommen, bekamen Kinder, und die sind mittlerweile die dritte Generation.

Und selbst etliche von ihnen, beklagen einige Österreicher, können nicht gut Deutsch.

Es wird ihnen auch nicht erlaubt, ihre Muttersprache zu lernen. Wir dürfen zum Beispiel nicht Lehrer aus der Türkei nach Österreich kommen lassen; es gibt keine Lehrer-Ausbildung für das Türkische an Universitäten. Dabei haben Soziologen nachgewiesen, dass es sehr schwierig ist, eine andere Sprache zu lernen, wenn die Muttersprache nicht gut beherrscht wird.

Sie finden also, dass Türken in Österreich zuerst Türkisch und dann Deutsch lernen sollten?

Nein, es geht darum, dass sie die Möglichkeit haben sollten, Türkisch zu lernen, wenn sie es möchten. Viele türkische Familien glauben, ihre Kinder sprechen sowohl Türkisch als auch Deutsch gut. Doch manchmal sprechen sie beides nicht besonders gut und haben einen sehr eingeschränkten Wortschatz. Wir, die österreichische und türkische Seite, müssten gemeinsam eine Lösung zur besseren Ausbildung und Integration finden.

Sind die Österreicher zu wenig daran interessiert?

Nehmen wir das Beispiel Kultur: Die österreichische Kultur ist für mich sehr spannend. Doch sie ist nicht die einzige. Ich liebe Mozart, die Oper und die Salzburger Festspiele. Doch ihr glaubt, die Welt dreht sich nur um euch. So ist es aber nicht. Ihr müsst beginnen, auch andere Kulturen zu schätzen. Ein Schlüssel zum Zusammenleben verschiedener Volksgruppen lässt sich nur durch Zusammenarbeit mit diesen Volksgruppen finden.

Sollte das nicht auch für Ihr Land gelten? Tut sich die Türkei nicht schwer mit der Integration der Kurden, die ihrerseits nicht auf Kurdisch lernen durften?

Doch wir haben unseren Kurs zumindest korrigiert. Es gibt nun kurdisches Fernsehen und auch die Möglichkeit, Kurdisch-Kurse zu belegen. Doch die offizielle Amtssprache ist Türkisch.

Dennoch fordert auch die EU von der Türkei mehr Rechte für Minderheiten.

Ja, wir sind ein EU-Beitrittskandidat, und wir haben noch einige Hausaufgaben zu erledigen. Doch ihr seid bereits in der EU. Ihr erklärt uns, was wir zu tun haben, tut es aber selbst nicht. Ihr solltet ein Beispiel für uns sein, etwa bei starker Demokratie, Integration, Menschenrechten. Das ist jedoch nicht immer so.

Kadri Ecvet Tezcan (61) ist seit Ende des Vorjahres Botschafter der Türkei in Österreich.