Beim Westbalkan-Gipfel ist die EU darum bemüht, die Region nicht Russland und China als Spielfeld zu überlassen. Mit Blick auf Serbien wird aber auch ein Ende der Ost-West-Schaukelpolitik gefordert.
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Die frohe Botschaft konnte in Tirana schon verkündet werden, als die eigentlichen politischen Gespräche noch nicht einmal begonnen hatten. Mit sichtbarem Stolz unterzeichnete die EU-Spitzen und die Staats- und Regierungschefs der sechs Westbalkanländer am Dienstagvormittag ein Abkommen, dank dem Roamingkosten künftig sinken sollen. Damit können die Bürger in Albanien, Serbien, Montenegro, Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina und des Kosovo ab dem 1. Oktober 2023 deutlich günstiger Telefongespräche in die EU führen, die für viele Menschen aus der Region seit Jahren die zweite Heimat ist.
Weniger Eintracht gab es freilich bei den anderen Themen, die beim EU-Westbalkan-Gipfel in der albanischen Hauptstadt auf der Agenda standen. Denn die sechs Staaten bemühen sich seit Jahren um eine Annäherung an die EU, die Verhandlungen über einen Beitritt der Länder sind aber bisher kaum vorangekommen. Im Fall von Bosnien-Herzegowina oder des Kosovo, der nach den Worten seiner Präsidentin Vjosa Osmani noch 2022 einen Mitgliedsantrag stellen will, wurden die Aufnahmegespräche noch nicht einmal begonnen.
"Wichtig für ganz Europa"
Vor allem Frankreich, Belgien und die Niederlande hatten sich in der Vergangenheit immer wieder gegen den von Österreich, aber auch Deutschland geforderten raschen Beitritt der Westbalkanstaaten gestemmt. Parallel dazu hatten aber auch Konflikte in der Region wie jener zwischen Serbien und dem Kosovo, für den die EU in Tirana nun einen neunen Vermittlungsvorschlag vorgelegt hat, etwaige Fortschritte gebremst.
Der russische Überfall auf die Ukraine hat aber auch in den Beziehungen zu den Westbalkanländern zu einer teilweisen Neubewertung der Lage geführt. "Die Integration diese Region ist in allen Aspekten wichtig für die Stabilität Europas", sagt der slowenische Ministerpräsident Robert Golob in Tirana.
Schon seit Monaten dringt auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen darauf, den Beitrittsprozess zu beschleunigen, um Russland, aber auch China, am Westbalkan nicht das Spielfeld zu überlassen. Vor allem Serbien, wo die Nato-Bombardements des Jahres 1999 bis heute nachwirken, hatte in der Vergangenheit nicht nur immer wieder Sympathie für die Politik Moskaus gezeigt, sondern auch seine wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland intensiviert. Auch den westlichen Sanktionen hatte sich die Regierung in Belgrad bisher nicht angeschlossen.
In Tirana forderte von der Leyen die Westbalkanstaaten daher auf, sich klar gegen autoritäre Staaten zu bekennen. "Ihr müsst euch entscheiden, auf welcher Seite ihr steht - auf der Seite der Demokratie, das ist die EU, euer Freund und Partner. Oder wollt ihr einen anderen Weg nehmen?", sagte die EU-Kommissionspräsidentin. Als Zeichen der Solidarität und zur Bekräftigung der strategischen Partnerschaft hatte die EU schon vor einiger Zeit angekündigt, die gemeinsame Beschaffung von Gas, Flüssiggas und Wasserstoff für den Westbalkan öffnen zu wollen.
"Ein erster Schritt"
Überlagert wurde die Diskussion über den Beitrittsprozess in Tirana allerdings von der Migrationsdebatte, die mit der deutlichen Zunahme der Neuankünfte in der EU zuletzt deutlich an Fahrt gewonnen hatte. Am Tag vor dem Gipfel hatte die EU-Kommission einen "Aktionsplan für den Westbalkan" vorgelegt, mit dem die illegale Migration über die Balkanroute eingedämmt werden soll. Neben verstärkten Bemühungen zur Rückführung von Migranten sowie zur Bekämpfung von Schleppernetzwerken soll es dabei auch Unterstützung für die südosteuropäischen Staaten bei der Erfassung von Asylwerbern geben.
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) bezeichnet den Aktionsplan am Dienstag als "ersten wichtigen Schritt". Bei seiner Ankunft in Tirana betonte Nehammer, dass es Österreich aber nicht nur um die Westbalkan-Route gehe, sondern auch um die Migrationsroute über Bulgarien, Rumänien und Ungarn nach Österreich. Erneut bekräftigte der Kanzler sein Nein zur Schengen-Erweiterung um Bulgarien und Rumänien. Nachdem es zuletzt auch Hinweise auf ein Einlenken der Niederlande gegeben hat, steht Österreich vor der am Donnerstag anstehenden Entscheidung aber fast allein auf weiter Flur da.(rs)