Psychotherapeutin Martina Leibovici-Mühlberger über die Herausforderungen für Jugendliche nach zwei Jahren Pandemie.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die Übergangsfrist vom Kind zum jungen Erwachsenen ist eine erdenklich kurze. Pandemiebedingt wurden den Jugendlichen gleich zwei Jahre davon geraubt, führt die Ärztin, Psychotherapeutin und Gründerin der Ausbildungs- und Beratungsplattform "Fit for Kids", Martina Leibovici-Mühlberger, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" vor Augen. Der Effekt ist dramatisch, denn um die psychische Gesundheit unserer Kinder ist es schlecht bestellt.
Dennoch wäre es fatal, von einer verlorenen Generation zu sprechen. Im Gegenteil: Die heute 16- bis 20-Jährigen sind mit vielen neuen Kompetenzen ausgestattet, die wohl künftig besonders gefragt sein werden. Deshalb: "Ihr seid die Zukunftsmenschen!", so die Expertin. Um das auch erkennen zu können, müssten die Jugendlichen allerdings mit ihren Sorgen und Ängsten ernst genommen werden. Auch mit jenen, die der Ukraine-Krieg in ihnen wachgerufen hat.
Angst vor dem Später
Sie hätten ausschwärmen, ihr Territorium erkunden und die Welt in Besitz nehmen sollen. Stattdessen "waren sie - ausgestattet mit den modernen Medien - in Kinderzimmern eingesperrt", formuliert es Leibovici-Mühlberger überspitzt. Hatten die Eltern zuvor noch gegen Social Media und den teilweise überbordenden virtuellen Konsum via Plattformen wie Snapchat und Instagram ihrer Kinder gewettert, war das Internet plötzlich von einem Tag auf den anderen en vogue: "Dort findest du alles. Dort bewegst du dich. Dort ist die Welt." Auf die Jugendlichen sind damit innerhalb kürzester Zeit völlig gegenläufige Botschaften hereingeprasselt.
Dass ihnen die zwei Jahre nicht gut getan haben, haben bereits zahlreiche Studien im In- und Ausland belegt. Die Jugendlichen haben Angst vor der Zukunft, heißt es dort - nicht zuletzt auch verstärkt durch den Krieg nahezu vor der eigenen Haustür. Die globalen Veränderungen, die bis hin zur Klima-Thematik reichen, erkennen die Jungen "als ihre Themen". Sie stellen sich Fragen wie "Soll ich überhaupt ein Kind in diese Welt setzen? Schaut in einer Zeit, wo ich in meinen Dreißigern sein werde, hinter jedem Eck und Ende eine Katastrophe hervor? Ist die Welt überhaupt noch sicher?" - "Die Welt wird für den jungen Menschen fragil - auch die Zukunft als Gesamtes wird fragil und fragwürdig", sagt Leibovici-Mühlberger.
Obwohl erste alarmierende Daten über die Entwicklung in dieser Altersgruppe bereits kurze Zeit nach Beginn der Corona-Pandemie - also schon im Sommer 2020 - vorlagen, "haben wir nicht zeitgerecht reagiert. Die Einrichtungen der Jugendpsychiatrie sind heute enorm überstrapaziert und die psychotherapeutische und klinisch-psychologische Versorgung unserer Jugend ist mehr als unzureichend". Doch werden es sie sein, die einmal, "wenn sie in den Rang der Entscheidungsträger aufgestiegen sind, ganz große globale Themen zu lösen haben".
Gespür für globales Denken
Ein großes Asset zeichnet sich schon seit geraumer Zeit ab. Denn "wir selbst sind ja noch elektronische Analphabeten", doch die Jugend von heute denkt alleine schon aufgrund des Internets global. Sie muss die Einschätzung und Evaluation von diesen massiven Datenströmen drauf haben. "Und die Jungen können das, denn sie üben das Tag für Tag."
Schon junge Menschen mit 16 Jahren wissen heute mitunter besser, was Fake News sind, als Erwachsene, erklärt die Medizinerin im Gespräch. "Die können sich wie der Fisch im Wasser bewegen und auch erkennen, welche Prozesse real sind und welche eben nicht." Das sind wertvolle Kompetenzen, denen auch mit Wertschätzung zu begegnen sei.
Ebenso im pädagogischen Konzept sei das ein wesentlicher Aspekt, den die Eltern beherzigen müssten. Früher war der Erziehungsprozess ein direktiver. Die Eltern haben uns vorgegeben, wie wir zu sein haben. Und das zumindest, bis wir 18 Jahre alt waren. "Heute sehen wir, dass die jungen Menschen auch kraft des Internets und der veränderten Gesellschaftskultur sehr viel früher in Bereiche hineinkommen und verantwortlich werden, die früher noch von den Älteren verwaltet worden sind." Dies müsse auch im Umgang zwischen Eltern, Lehrern und den Jugendlichen zum Ausdruck kommen.
Schule als Lebensraum
Es sei dringend an der Zeit, dass man die Jugend ernst nimmt, motiviert und unterstützt, ihre Kompetenzen und den Wert für die Gesellschaft wahrzunehmen. Der ideale Ort dafür sei die Schule, betont die Expertin. Der wesentlichste Punkt sei "reden wir darüber". Durch neue Formate sollte Raum angeboten werden, in dem die Möglichkeit geschaffen wird, Ängste, Bedenken und Fragen zu thematisieren. "Dieser Raum könnte vordringlich in der Schule sein." Allerdings nicht "reingepampft" als noch einen Gegenstand oder nachschulisches Projekt, sondern im Rahmen des Unterrichts, um auch die Bedeutung hervorzuheben.
Die Schule sei ein wichtiger sozialer Raum und keine Bildungsanstalt mehr, betont Leibovici-Mühlberger. Das müsse man als Gesellschaft auch erkennen. "Schule muss Lebensraum sein - und ein Zukunftslabor." Mit "Fit for Kids" will sie eine Plattform bieten, um solche Projekte zu entwickeln, Bewusstseinsbildung zu schaffen und für Schüler eine Austauschmöglichkeit. Sie müssen erfahren, wie Gemeinschaft funktioniert und was Gemeinschaft braucht, damit sie funktioniert. "In Zukunft werden nur noch die Menschen beruflich erfolgreich sein können, die das auch beherrschen." Faktenwissen alleine sei nicht mehr gefragt. Es brauche Maßnahmen zur Lebensvorbereitung. Denn: "Ihr seid die Zukunftsmenschen!"