Wütende Demonstranten in Gaza, wachsender Einfluss Irans in Syrien: In Israel geht 70 Jahre nach Staatsgründung die Angst um.
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Jerusalem/Washington/Wien. Am 70. Jahrestag seiner Gründung sieht sich Israel mehr denn je in seiner Existenz bedroht. Während die Vorbereitungen auf die Feierlichkeiten kommende Woche voll im Gange sind, klappt der kleine jüdische Staat das Visier herunter. Israelische Soldaten marschierten an der Grenze zum Gazastreifen auf, wieder kam es zu massiven Protesten der Palästinenser, wieder fielen Schüsse, wieder es gab hunderte Verletzte. "Die Soldaten schießen gemäß den Einsatzregeln", gab ein Sprecher der israelischen Armee bekannt. Kritik, dass der Schusswaffengebrauch hier völlig unverhältnismäßig ist, prallte ab.
Mit dem "Marsch der Rückkehr" demonstrierten Palästinenser am Freitag gegen die Gründung Israels 1948 und die Vertreibung hunderttausender Araber. Israels Freudentag ist für sie Tag der "Nakba", der großen Katastrophe. Die Nachfahren der Vertriebenen leben bis heute in Flüchtlingslagern im Libanon, in Jordanien und anderen umliegenden Ländern. Einige Flüchtlinge haben den sozialen Aufstieg geschafft, viele sind aber bis heute ausgegrenzt und träumen von einer Rückkehr nach Palästina.
In Israel will man davon nichts wissen und geht in die Offensive: "Ihr werdet uns niemals brechen", so Israels Außenminister Avigdor Lieberman bei einer Zeremonie zum Holocaust-Gedenktag an die Hamas, die im Gazastreifen das Sagen hat. "Der Geist, die Hoffnung und der Glaube, die uns während des Holocausts und des Unabhängigkeitskriegs begleitet haben, sind stärker als unsere Feinde."
Angst, dass sich der Iran in Syrien dauerhaft festsetzt
Israel sieht die Gefahr aber nicht nur bei der Hamas, in weit stärkerem Ausmaß fühlt man sich vom Iran und der verbündeten libanesischen Hisbollah bedroht. Mit großer Sorge beobachtet man, wie die schiitische Miliz, Seite an Seite mit Russland und dem syrischen Regime, nördlich des Golan militärische Erfolge feiert. Die Regierung unter Premier Benjamin Netanyahu befürchtet, dass sich der verhasste Iran in Syrien festsetzt und von seinen Stützpunkten Israel bedroht.
Deshalb schlägt Israel zurück. Am vergangenen Montag, nach dem mutmaßlichen Giftgas-Angriff in Douma, griffen israelische Kampfjets aus dem libanesischen Luftraum kommend eine syrische Militärbasis an. Ein Militärschlag also - während die USA, Frankreich und Großbritannien noch zögern. Russland und das syrische Staats-TV bestätigten den Angriff und nannten "israelische Aggression" als Urheber, nachdem man zuvor von einer Attacke der USA ausgegangen war.
Ziel des Angriffs war der syrische Militärstützpunkt T-4 bei Homs. Nach Angaben der oppositionsnahen Syrischen Beobachterstelle für Menschenrechte wurden mindestens 14 Menschen getötet. Wie groß er Schaden an militärischer Infrastruktur ist, ist unbekannt. Israel äußerte sich zu dem Angriff nicht.
Israel will verhindern, dass sich der Iran und die von ihm unterstützte Hisbollah dauerhaft in Syrien festsetzen, aber trotzdem nicht in den blutigen und mittlerweile Jahre andauernden Krieg verwickelt werden. Israel setzt daher auf kurze, punktuelle Schläge gegen Einrichtungen der syrischen Armee. Ziel waren häufig Konvois und Stützpunkte diverser Milizen, die vom Iran unterstützt werden und an der Seite Assads Aufständische bekämpfen. Auch die am Montag bombardierte T-4-Basis hat der Iran nach israelischen Angaben genutzt, um die Hisbollah mit Waffen zu versorgen. Nach Angaben von Experten ist auf dem Flugplatz auch ein großes russisches Militärkontingent stationiert. Demnach starten von dort regelmäßig Kampfjets zu Angriffen auf Rebellengebiete.
Ob bei dem Angriff russische Soldaten getötet wurden oder russisches Kriegsgerät zerstört wurde, ist nicht bekannt. Moskau hat derartige Vorfälle bis dato immer vertuscht.
Kein Rückzieher mehrohne Gesichtsverlust
Dass es Israel ernst meint, machte Netanyahu im Februar bei der Münchner Sicherheitskonferenz klar. Man werde nicht dabei zusehen, wenn der Erzfeind "eine dauerhafte militärische Präsenz in Syrien" etabliere, so der Premier. "Wir werden es nicht zulassen, dass der Iran eine neue Terrorbasis aufbaut, die uns bedroht."
Um seine Worte zu unterstreichen, schwenkte Netanyahu die Reste einer angeblichen iranischen Drohne, die von Israel über israelischem Territorium abgeschossen worden wäre. "Stellen Sie Israels Entschlossenheit nicht auf die Probe", warnte der israelische Premier den ebenfalls an der Konferenz teilnehmenden iranischen Außenministers Mohammad Javad Zarif.
Israels ganz große Angst ist, dass der Iran trotz des internationalen Atomabkommens weiter entschlossen ist, eine Atombombe zu bauen und Israel damit zu vernichten. "Sobald dem Iran Atomwaffen zur Verfügung stehen, kann seine Aggression nicht mehr kontrolliert werden", formulierte es Netanyahu in München. Deshalb sei auch ein Militärschlag gegen den Iran nicht auszuschließen. Israel werde in jedem Fall nicht zulassen, dass der Iran ein nukleares Waffenarsenal entwickle.
Unterdessen ging am Freitag der Nervenkrieg um einen möglichen Luftschlag des Westens gegen Assad unvermindert weiter. Eine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats ging zu Ende, ohne das eine Entscheidung getroffen wurde. Die Frage war, ob und wann es zu einem US-Angriff auf Einrichtungen des syrischen Militärs kommen wird.
Allgemein wurde davon ausgegangen, dass US-Präsident Donald Trump nach seiner Ankündigung, dass es zu einem Angriff kommen werde, nicht mehr zurückkann. "Jetzt nichts zu machen käme einem Gesichtsverlust gleich", so der ehemalige US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum. Auch in London und Paris ist man davon überzeugt, dass der Einsatz von Giftgas nicht unbeantwortet bleiben darf. Völlig unklar war bis zuletzt, in welcher Form die Antwort des Westens erfolgt.
Moskau betonte seine Bereitschaft zu Dialog mit Washington, die verbliebenen offen Gesprächskanäle müssten genutzt werden, um militärische "Vorfälle" zu verhindern. Gleichzeitig warf Russland Großbritannien vor, an dem mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien beteiligt gewesen zu sein. Man habe dafür "Beweise".
Frankreichs Präsident Macron telefonierte mit Putin, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach mit Trump und mit Putin. Zudem soll es bereits ein Telefonat zwischen Putin und Trump gegeben haben.
Syrien bereitete sich jedenfalls auf einen Luftangriff vor. Staatliche und militärische Einrichtungen in Damaskus waren in Alarmbereitschaft, militärische Stützpunkte wurden evakuiert, Kampfjets und Panzer im Gelände versteckt. In vielen Behörden wurde die Zahl der anwesenden Mitarbeiter verringert. Ein dpa-Reporter meldete, in den vergangenen Tagen habe der Verkehr auf den Straßen der Hauptstadt deutlich abgenommen.
USA verfügen über genügend militärische Mittel
Klar ist, dass die USA theoretisch zu einem umfassenden Militärschlag in der Lage sind. Die US Navy hat zwei Kriegsschiffe - den Zerstörer "USS Donald Cook" und die "USS Porter" - im östlichen Mittelmeer stationiert. Beide Schiffe könnten 120 Marschflugkörper abfeuern, sie befinden sich in Reichweite zum syrischen Festland. Dazu kommt, dass auf dem Luftwaffenstützpunkt im türkischen Incirlik bis zu 100 amerikanische Flugzeuge bereit stehen, dazu haben die USA zuletzt noch in Katar einige Kampfflugzeuge stationiert.
Die Franzosen haben in Katar Flugzeuge vom Typ Rafale stationiert, mit denen sie Ziele in Syrien angreifen können. Zudem wurde am Mittwoch bekannt, dass die französische Fregatte Aquitaine im Mittelmeer kreuzt. Das Kriegsschiff könnte gleichzeitig 16 Marschflugkörper vom Typ Scalp abfeuern.
Russland hat die militärischen Mittel, um auf einen US-geführten Angriff zu antworten. Experten gehen aber davon aus, dass die russischen Raketenabwehrsysteme vom Typ S-400 bei stärkerem Raketenbeschuss überfordert wären. Zudem hat Russland einige Kriegsschiffe vor Syrien stationiert. Insgesamt sind die russischen Kräfte in und um Syrien aber begrenzt.