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IHS-Chef Bonin: "Ich werde aktiv meine Stimme erheben"

Von Julian Kern

Wirtschaft

Ab 1. Juli leitet der deutsche Volkswirt Holger Bonin das Wiener Institut für Höhere Studien (IHS). Seine Schwerpunkte sieht der Ökonom in Fragen rund um den Arbeitsmarkt sowie der Effektivität staatlicher Maßnahmen.


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Arbeitsmarkt, Wirkungsforschung und gesellschaftliche Querschnittsmaterien. Der designierte Direktor des Instituts für höhere Studien (IHS) Holger Bonin hat am Dienstag die Schwerpunkte für seine Funktionsperiode skizziert. Als Arbeitsmarktökonom sieht Bonin seine Stärken vor allem in Fragen der Generationengerechtigkeit im demografischen Wandel, der Effektivität staatlicher Maßnahmen, sowie in der sich verändernden Arbeitswelt. Außerdem sollen die gesellschaftlichen Querschnittsthemen Dekarbonisierung, Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Demografie und Polarisierung künftig stärker forciert werden. Ebendiese politische Polarisierung ortet der deutsche Ökonom als "weiter fortgeschritten" als in Deutschland.

Migration als Stellschraube

Grundsätzlich seien sich die Arbeitsmärkte - und somit auch die aktuellen Herausforderungen - in Deutschland und Österreich ähnlich, meint Bonin. "Wenngleich es natürlich schon strukturelle Unterschiede wie zum Beispiel im Tourismus gibt." Eines dieser Probleme, die der demografische Wandel mit sich bringt, ist der Fachkräftemangel: "Wir werden ohne Migration nicht über die Runden kommen, mit Migration alleine aber auch nicht", so der Wirtschaftswissenschaftler. Die Zuwanderung kann laut Bonin aber nur eine Stellschraube von vielen sein. "Sie ist ein wichtiges Element und man wird viel stärker aktiv nach den geforderten Kenntnissen suchen müssen", meint der 55-Jährige.

Wortmeldungen zu aktuellen Fragen wird es von Bonin künftig wohl öfter geben, schließlich ist die Kommunikation einer von vielen Aspekten gewesen, die im Anforderungskatalog des IHS standen. "Ich werde nicht nur reden, wenn ich gefragt werde. Ich werde auch aktiv meine Stimme erheben, wenn ich glaube, etwas zu sagen zu haben", so Bonin. Er mahnt allerdings, dass es auf komplexe Fragestellungen nicht immer einfache Antworten gebe. Die empirische Evidenz bestünde immer nur aus Puzzlestücken, die dann vielleicht ein Gesamtbild ergeben und "dieses ist typischerweise widersprüchlich".

Wissenschaft versus Politik

Diese verschiedenen Puzzlestücke seien es auch, auf die es im wissenschaftlichen Austausch mit der Politik ankomme. "Ich glaube schon, dass es eine Offenheit der Politik gegenüber der Wissenschaft gibt. Wir müssen erklären, was wir liefern können und was nicht", gibt sich Bonin diplomatisch. Zudem sei es naiv zu glauben, dass politische Verantwortliche wissenschaftliche Erkenntnisse eins zu eins umsetzen. "Es geht darum, Optionen aufzuzeigen, so der Wirtschaftsforscher. Im "gegenseitigen Lernprozess", wie der Ökonom das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik beschreibt, bringt Bonin viel Erfahrung mit: Der Volkswirt hat in Deutschland bereits in unterschiedlichen Positionen die dortige Bundesregierung beraten.

Für Österreich entschieden hat sich der Ökonom, weil es der logische nächste Schritt gewesen sei: "Was mir fehlte, war der Sprung an die Spitze eines großen Institutes mit breiten Themen." Dem Engagement am IHS geht eine umfangreiche Vita voraus: Bonin schloss 1995 als Diplom-Volkswirt sein Studium an der Universität Kiel ab. Sechs Jahre später promovierte er in Freiburg zur "Theorie und Praxis der Generationenbilanzierung". Zwischen 2000 und 2007 war der Wirtschaftsforscher bereits einmal in verschiedenen Positionen für das IZA, dem "Institute of Labor Economics" in Bonn, tätig. Nach einem Wechsel zum Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin forschte Bonin von 2007 bis 2016 beim Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Seit 2012 ist er zudem Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Kassel mit den Schwerpunkten Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Ob er diese Professur auch ab 1. Juli halten wird, ist derzeit noch unklar, auch eine mögliche Tätigkeit an der Universität Wien werde geprüft.

Langwierige Suche endet

Mit der Bestellung von Holger Bonin zum neuen IHS-Direktor findet "eine lange Vorgeschichte ihren positiven Höhepunkt", so IHS-Präsident Franz Fischler. Seit Jänner 2021, als Martin Kocher Wirtschaftsminister für die ÖVP wurde, war das Institut ohne fixen Chef dagestanden. Nach Absagen von Lars Feld und Guntram Wolff entschied man sich 2022 für eine Neuausschreibung. Mithilfe eines Headhunters seien 130 Kandidaten kontaktiert worden. Mehr als 50 hätten ihr Interesse bekundet, wovon etwa 25 die Voraussetzungen erfüllt hätten. Schlussendlich seien dem Kuratorium drei Kandidaten zum Beschluss vorgelegt worden, unter denen das Gremium Holger Bonin einstimmig auswählte.