Der Irrglaube, man müsse für optimales Benehmen in fremden Ländern oder Kulturen nur etwa 10 Verhaltenstipps lernen und beherrschen, ist leider noch ebenso weit verbreitet wie kontraproduktiv.
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In der Einleitung jedes besseren Reiseführers findet sich heute ein Dutzend guter Ratschläge, wie man sich in dem betreffenden Land verhalten soll. Diese Ratschläge mögen zwar gut gemeint sein - sie reichen aber niemals für die Vermeidung fataler Missverständnisse und Fehleinschätzungen in Erstkontakten, Gesprächen und Verhandlungen.
Manchmal kann ihre automatische Befolgung sogar kontraproduktiv sein, da sie an der Oberfläche bleiben und von den eigentlichen Unterschieden, Problemen und Verhaltensweisen ablenken.
Man weiß auch nicht, wer diese Do's and Dont's eigentlich erstellt hat, welche Erkenntnisse und Untersuchungen die Grundlage dafür waren und seit wie vielen Jahren sie gedankenlos von einander abgeschrieben wurden. Sie erwecken nach der Art "falscher Freunde" eine gefährliche, weil völlig unrealistische Sicherheit.
Historie und soziale Grundlagen
Grundlage jedes interkulturellen Training muss zunächst das Verständnis für die geschichtlichen und sozialen Grundlagen der anderen Kultur einerseits und die spezifische unternehmerische Situation andererseits sein: nicht Kulturen kommunizieren miteinander, sondern einzelne Menschen, deren Erwartungen und Verhalten von den allgemeinen Mustern ihrer Kultur durchaus abweichen können.
Zu berücksichtigen sind Hierarchien, Gesprächsverhalten, Interpretationsmuster, geographische, religiöse und/oder politische, in vielen Ländern auch regionale Unterschiede. Nigeria zum Beispiel hat rund 400 verschiedene Kulturen, und bei den Interpretationen der vielen chinesischen "Ja" gibt es nicht nur schichtspezifische, sondern auch erhebliche regionale Unterschiede.
Vor allem aber müssen im Training der soziale und berufliche Background der Mitarbeiter, die Unternehmenskultur, ökonomische Faktoren - wie Markt, Finanzstrukturen, Gesellschaftsrecht, Besitzverhältnisse - und die Handlungssituation - also Erstkontakt, Verhandlung, Projektbetreuung, Know-how-Transfer - berücksichtigt werden.
Alle diese Kriterien sind nach Branche (Firmen im Maschinenbau, im Informationsbereich oder in der Biotechnologie haben ganz andere Unternehmenskulturen) und Mitarbeiterverantwortung (ein Bauleiter kommuniziert und verhält sich grundsätzlich anders als ein Forschungsleiter) sehr verschieden.
Vorurteilsfreies Lernen, ungewohnte Reaktionen
In einem interkulturellen Training sollte grundsätzlich vorurteilsfreies Lernen und der Umgang mit ungewohnten Verhaltensweisen und Situationen vermittelt werden. Außerdem geht es darum, dem Gegenüber eine Chance geben, sich anders zu verhalten, als man meint, dass er sich verhalten müsste.
Da interkulturelle Trainings und Coachings in dieser Weise auf die jeweilige komplexe Situation vorbereiten und die Stereotypenfalle der Do's und Dont's vermeiden, ist der damit verbundene Aufwand wesentlich geringer als der dadurch für das Unternehmen und die Mitarbeiter erzielte Nutzen.
Gerhard Hain ist Managing Partner der Unternehmensberatung ti communication Dr. Fischhof GmbH in Wien. www.ticommunication.eu E-Mail: wien@ticommunication.eu