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Illusionen eines Imperators

Von Gerhard Strejcek

Wissen

Das desaströse, spätkoloniale Abenteuer von Kaiser Maximilian in Mexiko ist ein politisches Lehrstück, über welches in österreichischen Geschichtsbüchern überraschend wenig Informatives zu finden ist.


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Im Wiener Hofmobiliendepot findet derzeit eine sehenswerte Ausstellung über das bewegte Leben des Kaisers Maximilian von Mexiko unter dem Titel "Der Traum vom Herrschen" statt. Der genaue historische Anlass für diese Ausstellung ist allerdings unklar, weil Max von Ende Mai 1864 (Ankunft in Mexiko) bis Mai 1867 (Erschießung am 19. Juni in Querétaro) in Ciudad de Mexico herrschte. Vor hundertfünfzig Jahren befand er sich noch in einer Abwarteposition und harrte in Triest der Ereignisse.

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Erzherzog Ferdinand Maximilian in der Uniform der k.k. Kriegsmarine, 2. Hälfte 19. Jahrhundert.
© © Heeresgeschichtliches Museum, Foto: Alexander Eugen Koller, Artwork: Hannes Eder

Tragischer Hauptakteur

Im Frühjahr 1863 wendete sich nach massiven Verstärkungen der französischen Expeditionstruppen (von 6000 auf 36.000 Mann) das militärische Blatt zu Gunsten der europäischen Aggressoren; nun hallten in Puebla und Mexiko Stadt jene Kanonen, die laut dem österreichischen Botschafter in Paris, Richard Metternich, notwendig waren, um einen Kaiser ohne Rückhalt im Volk zu installieren. Zeitgleich setzten im Norden die USA nach einigen Rückschlägen zum Sieg gegen die Konföderierten an, der in Gettysburg (Juli 1863) manifest wurde, weshalb sich die geopolitische Lage in Wahrheit deutlich gegen das mexikanische Abenteuer Napoleons III. wandte. Das sahen viele so, nicht aber der tragische Hauptakteur Maximilian und seine belgische Gattin, die erst 23-jährige Erzherzogin Charlotte.

Warum die gut bezahlten Ratgeber von Maxens Bruder, Kaiser Franz Joseph I., und dessen um ihren Schwager besorgter Gattin Sisi nicht gehört wurden, bleibt rätselhaft, denn die politische Analyse war eindeutig. Der Diplomat und Abkömmling des einstigen "Kutschers Europas" und Staatskanzlers Metternich, der in Paris von allen Seiten beste Informationen erhielt und den mexikanischen Schwadroneuren misstraute, prophezeite zutreffend, dass es immer mehr Kanonen bedürfte, um den Kaiser von Napoleons Gnaden längerfristig im Land und an der Macht zu halten.

Somit zeichnete sich jene Entwicklung ab, die der spanische General Prim schon 1861 erkannt hatte: Zu wenige Truppen würden im riesigen Mexiko verschwinden, zu viele aber verhungern. Ein klassisches Nullsummenspiel. Die rational vorgehenden Spanier sahen daher die Wiedererlangung von "Neuspanien" als aussichtslos an; und die weitsichtigen, stets wohl informierten und heimlich mit den USA abgestimmten Briten, welche in Veracruz im Frühjahr 1861 gemeinsam mit dem französischen Korps gelandet waren, um ihre finanziellen Ansprüche durchzusetzen (Juarez hatte ein zweijähriges Zinsmoratorium verkündet), gaben sich ebenso wie die Spanier mit dem Vertrag von Soledad und Orizába zufrieden und hissten schon damals wieder die Segel.

Marionettenkaiser

Nicht so die von napoleonischem Ehrgeiz getriebenen Franzosen, die ernsthaft glaubten, südlich der Vereinigten Staaten Fuß fassen zu können. Diese Strategie wäre nicht einmal im Falle eines Siegs der Konföderierten gut gegangen. Als Vorwand für die spätkolonialistische Intervention bedurften die Franzosen, die vor allem durch Napoleons Halbbruder, den Herzog Moya getrieben waren, eines Marionettenkaisers, der nach und nach Geld zurück nach Europa zu spülen hatte. Für die undankbare Rolle bot sich der zweitgeborene Sohn der Erzherzogin Sophie und des Kaiser-Bruders Franz Carl an: Ferdinand Maximilian.

Im Oktober 1863 trug ihm eine mexikanische Emigrantengruppe, die sich auf eine rund zweihundertköpfige Notabelnversammlung, nicht aber auf ein demokratisches Votum stützte, die Krone an. Heute geht man von einer gut eingefädelten Intrige des französischen Kaisers Napoleon III. aus, dessen Truppen damals nach einigen Rückschlägen bis Mexico City vorgedrungen waren und dort Verbündete suchten, um Max wie geplant zu installieren. Das gelang aber erst im Folgejahr, sodass sich das "runde" Jubiläum der Thronbesteigung bzw. Überfahrt nach Mexiko erst 2014 ergeben wird. Angesichts der tragischen Ereignisse für die österreichischen, belgischen und französischen Beteiligten, aber auch für die unter einem jahrelangen Zermürbungskrieg leidende mexikanische Bevölkerung ist es ohnehin kein Grund zum Feiern.

Erstaunliche Naivität

Dennoch ist diese Episode ein politisches Lehrstück par excellence. Die erstaunliche Naivität der zwei Proponenten Charlotte und Max, die merkwürdige, amikal-selbstsüchtige Rolle der europäischen Herrscher (Leopold I. von Belgien; Queen Victoria, Franz Joseph I.; Napoleon III.) und die Verkennung der amerikanischen Machtverhältnisse (trotz Lincolns Ermordung konsolidierten sich die USA als Regionalmacht, deren militärischer Arm immer weiter nach Süden und Osten reichte) zeigen die internationale Dimension auf.

Oft wird auch übersehen, dass bei aller Einmischung von außen spezifisch mexikanische Themen bis heute relevant sind, wie die oftmalige Überschuldung des Landes, die ungeklärte Position der indigenen Bevölkerung und der damals heftig geführte Konflikt zwischen klerikal-konservativen und liberal-republikanischen Kräften. Wie eine Ironie der Geschichte mutet es auch an, dass die Republik (der Vereinigten Staaten von) Mexiko im Jahr 1938 der einzige Staat war, der beim Völkerbund gegen die NS-Besetzung Österreichs und dessen Untergang als selbstständiger Staat Protest einlegte.

Doch gehen wir noch einmal eineinhalb Jahrhunderte zurück. Im April 1863 saß der glücklose ehemalige Generalgouverneur von Lombardo-Venetien und durchaus erfolgreiche Kontre-, dann Vizeadmiral und Flotten-Förderer Ferdinand Maximilian in Miramar, seinem pittoresken Triestiner Schloss, das er maßgeblich selbst geplant und gestaltet hatte. Dass Max ein aufgeklärter Geist und gebildeter Reisender war, zeigte sich in vielerlei Hinsicht. Er hinterließ ein siebenbändiges Manuskript mit Berichten, Aphorismen und Gedichten, das 1868 postum erschien.

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Der Nationalpalast in Mexiko Stadt, die Residenz von Kaiser Maximilian von Mexiko.
© © Privatbesitz / Bundesmobilienverwaltung; Fotos: Edgar Knaack

Leider vermochte er nicht die richtigen Schlüsse aus den geschichtlichen, politischen und vor allem ökonomischen Umständen zu ziehen, die in Mittelamerika herrschten - denn sonst wäre er unter keinen Umständen im April 1864 an Bord der "Novara" gegangen, um mit seiner Frau Charlotte, der Tochter des belgischen Königs Leopold I., die Überfahrt zu wagen. Historisch betrachtet, war Mexiko kein guter Boden für ein Kaiserreich: Der erste Versuch der Errichtung einer Monarchie nach der Erlangung der Selbstständigkeit von Spanien durch Kaiser Itúrbide war 1823 nach nur elf Monaten gescheitert. Als Itúrbide voreilig in das verschuldete Land zurückkehrte, wurde er erschossen.

Ursache für sein Scheitern waren einerseits die katastrophalen finanziellen Verhältnisse, andererseits die republikanische Gesinnung eines maßgeblichen und einflussreichen Teils der (städtischen) Bevölkerung. Genau das sollte auch Maximilian zum Verhängnis werden.

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3 Tschakos der Palastgarde, Leder, 1864- 1867.
© © Privatbesitz / Bundesmobilienverwaltung; Fotos: Edgar Knaack

In Mexiko hatten vor allem die im Land geborenen, meist wohlhabenden Abkömmlinge spanischer Conquistadores und deren ins Land gebetene Freunde, also Kreolen, das Sagen. Vereinzelt brachten es indigene Politiker und Offiziere zu Macht und Ansehen, aber die Massen der Indios waren politisch rechtlos und hatten keinen Einfluss auf die "große Politik" des Landes. Den Militärs aber eignete das fatale Wesensmerkmal, durch sogenannte Pronunciamentos gegebenenfalls die Seiten zu wechseln.

Klerus gegen Liberale

Die politischen Trennlinien verliefen vor allem zwischen den Konservativ-Klerikalen und den liberalen Republikanern. Erstere versuchten, den korrumpierten mexikanischen Klerus wieder in seine Eigentumsrechte einzusetzen. Die Kirche hatte bis zu den Reformen der Liberalen ein Viertel des Landes besessen und zum Teil auch bewirtschaftet.

Nach einem Bürgerkrieg von 1858 bis 1861 setzte die liberale Partei den Leiter des Obersten Gerichts, Don Benito Juárez Garcia, als Präsidenten ein, da der ursprünglich gewählte Präsident Comonfort außer Landes geflohen war. Dass Juárez die absichtlich überhöhten Forderungen der Franzosen nicht erfüllen konnte, ist verständlich.

Politisch hätte Max aber vor allem die Monroe-Doktrin beachten sollen. Die USA hatten nach dem Sieg im mexikanischen Krieg 1846-48 nicht nur sämtliche nördlichen Regionen des Staates annektiert (einen Teil auch gekauft), sondern auch stets klar gemacht, dass sie eine europäische Intervention vor ihrer Haustür nicht dulden würden. Präsident Abraham Lincoln wiederholte diese Formel gebetsmühlenartig, und es ist auszuschließen, dass der österreichische Botschafter sie nicht kannte. Zwar tobte zu dieser Zeit noch der Sezessionskrieg, aber spätestens nach der Schlacht von Gettysburg (Juli 1863) zeichnete sich trotz militärischer Teilerfolge des Generals Lee, der die konföderierten Truppen anführte, der Sieg der USA ab.

Wer sich über das letztlich letal verlaufene mexikanische "Abenteuer" des österreichischen Erzherzogs informieren will, wird in den österreichischen Geschichtsbüchern kaum fündig. Neben der Hauptlinie der Geschichte in Europa, die zwischen 1859 und 1867 sehr turbulent verlief, finden sich in den libri historiae Austriacae nur Marginalien und Fußnoten zu Maximilian. Weitaus genauer befasste sich der Klosterneuburger Historiker Ferdinand Anders in mehreren Studien mit dem Schicksal des 1832 in Schönbrunn geborenen Habsburgers.

Anders räumt durch sein Faktenwissen und die Reproduktion wichtiger Dokumente in der 2009 erschienenen Darstellung "Von Schönbrunn und Miramar nach Mexiko" auch mit zahlreichen Legenden auf, die sich rund um die Ereignisse der 1860er Jahre gesponnen hatten.

Anders zeigt auch deutlich die strategischen Fehler auf, die Max noch vor seiner (frostigen) Ankunft in Veracruz begangen hatte. Obwohl ihn der Papst gemeinsam mit Kaiserin Charlotte empfangen hatte, konnte Max die lebenswichtige Frage eines Konkordats in Rom nicht klären. Wenn er überhaupt eine Chance gehabt hätte, in Mexiko zu reüssieren, dann nur als Exponent der von der Kirche gestützten Konservativen. Da Max aber liberal und aufgeklärt herrschen wollte, geriet er in einen unauflösbaren Widerspruch mit der ihm zugedachten Partei.

Verrat von Querétaro

Natürlich hatte auch Napoleon III., der - abgesehen vom ererbten Größenwahn - denselben Idealen anhing wie Max, den mexikanischen Verbündeten im Ex-Präsidenten und General Miguel Miramón keinen reinen Wein eingeschenkt. Der Habsburger erfüllte demnach nicht die Erwartungen der wenigen Unterstützer seiner Herrschaft, er trat in landesüblicher Tracht auf, statt Pomp und Prunk zu verbreiten, und er machte keine Anstalten, die laizistischen und liberalen Gesetze der Republik wieder rückgängig zu machen. Damit schuf er sich mächtige Feinde in den eigenen Reihen, die den Verrat von Querétaro letztlich zu einer logischen Folge der Ereignisse machten.

Militärisch verfügte Max nicht über eine ausreichende Hausmacht, wenn auch die belgische und österreichische Freiwilligentruppe, ein bunter Haufen von meist adeligen Abenteurern unter dem General Franz Thun, sich allmählich an die regionalen Verhältnisse gewöhnt hatte. Aber mit dem von den USA erzwungenen Abzug der Franzosen im Jahr 1866 war die Uhr für Maximilian unwiderruflich abgelaufen. Niemals hätte seine kleine Truppe und Anhängerschaft vor Ort ein Reich von fast zwei Millionen Quadratkilometern beherrschen können.

So reduzierte sich sein Herrschaftsraum in dramatischer Weise auf die Städte rund um Ciudad de Mexico, ehe er in Querétaro interniert und am Cerro de Campagnas erschossen wurde. Eine Kapelle, die dort viel später errichtet wurde, erinnert an die Hinrichtung der Generäle Mejia, Miramón und des Kaisers, der Trinkgelder an den Peloton verteilt hatte, damit man seinen Kopf mit Schüssen verschone.

Postum sorgte die Tragödie für eine nahezu groteske Legendenbildung. Abgesehen von der Anfertigung von Maximilian-Puppen, welche originalgetreu sechs Einschusslöcher in Herzgegend und Unterbauch aufwiesen, waren es literarische Arbeiten, in denen sich Phantasie und historische Fakten, gewürzt mit Lokalkolorit und Politik, zu einem wilden Gebräu mischten. So lag der im Vorjahr angesichts der Wiederkehr seines 100. Todestages hochgelobte, nationalistisch gesinnte Volksschriftsteller Karl May zwar in der Charakterisierung der Personen in seinem Kolportage-Roman "Das Waldröschen" nicht falsch, aber seine Behauptung, der mexikanische Präsident Juárez hätte Max mit aller Macht retten wollen, wirkt angesichts des Faktums grotesk, dass der begabte zapotekische Jurist die Leiche des Herrschers nur Zug um Zug gegen die Anerkennung seiner Regierung durch Österreich herausgab. Aber May wollte einmal mehr den von ihm gepflogenen Mythos des indianischen Edelmenschen bedienen.

Juárez aber war Realist und Machtpolitiker, der keine Rückkehr des bei manchen Indianer-Stämmen (die Moctezumas Rückkehr harrten und den blonden Max als dessen Substitut ansahen) durchaus populären Kaisers wünschte. Und so segelte der einbalsamierte Leichnam des einstigen Kaisers erst Monate nach seinem Tod auf demselben Schiff (der "Novara"), auf dem der Erzherzog von Triest via Rom nach Veracruz gelangt war, unter der nautischen Führung des Vize-Admirals Wilhelm v. Tegetthoff zurück nach Miramar. (Von dort wurde er im Galatrauerwagen des Hofes nach Wien überführt, wo er am 18. Jänner 1868 in der Kapuzinergruft beigesetzt wurde.)

Romane als Quellen

Eine gelungene, populärhistorische Bearbeitung der Ereignisse durch Egon Caesar Conte Corti ("Maximilian und Charlotte von Mexiko", 1924) blieb lange Zeit die hauptsächliche Quelle neben Aufzeichnungen von Militärs, die in Mexiko gedient hatten. Nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen weitere biographische Studien. In den Siebzigerjahren trat Joan Haslip mit einem spannenden und selbst recherchierten Maximilian-Buch an die Öffentlichkeit. Dennoch können die romanhaften Darstellungen eine seriöse historische Befassung mit der Materie nicht ersetzen. Daher ist noch einmal auf die Verdienste des Max-Experten Anders hinzuweisen und auf die kundige kuratorische Arbeit von Ilsebill Barta, welche die Ausstellung dieses Jahres begleitet.

Gerhard Strejcek, geboren 1963 in Wien, ist Außerordentlicher Universitätsprofessor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

Literatur:Ferdinand Anders: Von Schönbrunn und Miramar nach Mexiko. Leben und Wirken des Erzherzog-Kaisers Ferdinand Maximilian. Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 2009.
Egon Cäsar Conte Corti: Maximilian von Mexiko. Droemer Knaur, München 1992.
Joan Haslip: Maximilian. Biederstein/Beck, München 1972.

"Der Traum vom Herrschen": Die Ausstellung im Wiener Hofmobiliendepot (Andreasgasse 7, 1070 Wien) läuft noch bis 18. August 2013.
Ilsebill Barta: Der Traum vom Herrschen. Katalog zur Ausstellung, Wien 2013.