Strafverteidiger kritisieren das neue Vorverfahren. | Rechte der Beschuldigten sind Lippenbekenntnisse. | Linz. Bei der Tagung der heimischen Strafverteidiger wurde scharf geschossen. Ziel der Angriffe war die Reform der Strafprozessordnung (StPO), die mit Jahresanfang in Kraft getreten ist. Statt besser funktioniert das Ermittlungsverfahren nun allerdings schlechter, waren sich die Verteidiger großteils einig.
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"Ich bin entsetzt, wie das umgesetzt wurde", sagte Manfred Ainedter im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Der Rechtsanwalt, der schon so manchen prominenten Beschuldigten frei geboxt hat, war ein Verfechter der StPO-Reform und ist nun mehr als enttäuscht.
Am meisten ärgert er sich darüber, dass die Verteidiger nicht rechtzeitig die Strafakten überliefert bekommen. "Oft gehen wir in die Haftverhandlungen ohne Akten, obwohl das gesetzlich vorgesehen ist", klagte Ainedter. Von einer Stärkung der Rechte des Beschuldigten, die ein Ziel der StPO-Reform war, ist also keine Rede.
"Wir sind mit illusorischen Rechten konfrontiert", meinte Richard Soyer, selbst Rechtsanwalt und Sprecher der Vereinigung österreichischer Strafverteidiger, bei der Tagung in Linz. Vom Gesetz her ist der Kontakt des Beschuldigten mit seinem Verteidiger sowohl vor als auch bei der ersten Einvernahme seit 1. Jänner 2008 vorgesehen. Doch in der Praxis läuft der Hase meist anders, "da die Beschuldigten nicht ausreichend belehrt und die Verteidiger nicht verständigt werden", kritisierte Soyer. Dabei sei die Beratung des Beschuldigten mit dem Verteidiger vor der ersten Einvernahme "das Kernrecht bei der Strafverteidigung".
In der neuen Strafprozessordnung ist vorgesehen, dass dieser Kontakt lediglich dann eingeschränkt werden darf, wenn dadurch eine Gefahr für die Ermittlungen droht. "Das ist ein sehr unkonkreter Begriff", analysierte der Strafrechtsexperte und Universitätsprofessor Helmut Fuchs. Darüber hinaus würde jedes Polizeiorgan über den Ausschluss des Verteidigers entscheiden können, was Fuchs sauer aufstößt. Somit würden nämlich die Polizeijuristen, die dieselbe Ausbildung wie andere Juristen im Strafrecht haben, "gänzlich demontiert".
Verzweifelte Suche nach dem Zuständigen
Allgemein hat die Rolle der Polizei allerdings durch die Reform eine wesentliche Aufwertung erfahren. Anstelle des Untersuchungsrichters führt nun die Kriminalpolizei das Ermittlungsverfahren. Dabei ist laut Fuchs im Gesetz nicht genau geregelt, wer nun wirklich sachlich zuständig ist. "Das bringt praktische Probleme mit sich", erklärte der Strafrechtsexperte. So wüsste der Beschuldigte oft nicht, an wen er sich wenden müsste.
Obwohl die Strafverteidiger für Anlaufschwierigkeiten der Reform Verständnis äußerten, forderten sie vehement eine wesentliche Verbesserung der Lage in den nächsten Monaten. Als Wurzel des Übels wird vor allem der Ressourcenmangel ausgemacht. "In Deutschland sind knapp 6000 Staatsanwälte im operativen Einsatz. In Österreich werden es nach der Aufstockung 250 sein", gab Fuchs zu bedenken. Ainedter stößt in dasselbe Horn und richtet seinen Vorwurf dabei unmissverständlich an das Justizministerium. "Es kann doch nicht sein, dass es im gesamten grauen Haus (Landesgericht für Strafsachen Wien, Anm.) nur zwei Kopierer gibt."