Ilse Dippmann, die Organisatorin des "Österreichischen Frauenlaufs", erklärt die Vorzüge des sportlichen Lebensstils und berichtet, wie der Frauenlauf zustande kam, der heuer zum 25. Mal stattfindet.
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"Wiener Zeitung": Frau Dippmann, Sie sind Initiatorin und Geschäftsführerin des Österreichischen Frauenlaufs, der am Sonntag zum 25. Mal stattfindet. Im Laufe der Zeit hat sich diese Veranstaltung zum größten Frauenlauf-Event Europas entwickelt. Wie viele Läuferinnen werden an den Start gehen?Ilse Dippmann: Über 30.000. Zudem sind 2000 Frauen auf der Warteliste, denen wir leider absagen mussten, weil wir einfach keine Startplätze mehr zur Verfügung hatten.
Wenn man sich die Statistik ansieht, fragt man sich, wie diese bemerkenswerte Entwicklung möglich war: Beim 1. Österreichischen Frauenlauf im Jahr 1988 waren 440 Teilnehmerinnen am Start. 2005 erstmals über 10.000 Läuferinnen, 2010 bereits mehr als 20.000 und heuer ist die Grenze von 30.000 Teilnehmerinnen überschritten.
Das war durch sehr intensives, hartes Arbeiten mit einem ganz tollen Team möglich. Ich denke, das ist der Lohn dafür, dass wir nie aufgehört haben, an die Vision eines Frauenlaufs zu glauben. Man kann nur etwas entzünden, das in einem selber brennt.
Wie sind Sie ursprünglich auf die Idee gekommen, in Österreich einen Frauenlauf ins Leben zu rufen?
Die Idee wurde 1986 geboren. Mein damaliger Freund ist in diesem Jahr beim Vienna City Marathon mitgelaufen. Das hat mich so motiviert, dass ich spontan beschloss, mit dem Laufen zu beginnen. Ich war damals 29 Jahre alt, habe geraucht und hatte mit Sport absolut nichts am Hut. Auch als Jugendliche nicht. In der Schulzeit war mir nichts mehr verhasst als die Turnstunden.
Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Lauftraining?
Das werde ich nie vergessen! Gemeinsam mit einer Freundin, die ebenfalls den Entschluss fasste mit dem Laufen zu beginnen, starteten wir unser Training in der Prater Hauptallee. Es war furchtbar! Bereits nach den ersten 100 Metern bekam ich keine Luft und hatte Seitenstechen.
Aber Sie ließen nicht locker.
Nein. Schließlich hatten wir uns das Ziel gesteckt, im nächsten Jahr beim Vienna City Marathon an den Start zu gehen. Diese Idee wurde aber wieder verworfen, weil mir letztlich Zweifel kamen, ob sich die Motivation fürs Training tatsächlich ein ganzes Jahr aufrechterhalten lässt. Außerdem führte die damalige Marathonroute bei Kilometer 32 direkt an meiner Wohnung vorbei. Die Verlockung, Halt zu machen, erschien mir zu gefährlich. Also nahmen wir uns vor, bereits im November desselben Jahres in New York an den Start zu gehen.
Ging dieser Plan auf?
Ja. Meine Freundin Elisabeth Brunnhuber und ich waren die einzigen Österreicherinnen im Starterfeld. Als wir unsere Startnummern abholten, bekamen wir einen Flyer in die Hand gedrückt. das war eine Ankündigung für einen Frauenlauf in New York. Das hat mich so fasziniert, dass ich mir gedacht habe: Das machen wir in Österreich auch!
Zuerst musste allerdings noch Ihr erster Marathon gemeistert werden.
Das war Gänsehautfeeling pur! Die Stimmung entlang der Strecke, der Zieleinlauf, es war so beeindruckend, einfach unbeschreiblich.
Wie schnell sind Sie damals gelaufen?
3:41 Stunden. Aber am meisten hat mich fasziniert, wie viele Läuferinnen am Start waren. Schon am Morgen, beim Aufwärmen im Central Park, war ich fassungslos, wie viele Frauen um diese Uhrzeit bereits joggen! Und zwar Frauen aller Altersklassen. Zum damaligen Zeitpunkt war das in Österreich überhaupt noch kein Thema. Wenn Frauen gejoggt sind, waren das Ende der 1980er Jahre in erster Linie echte Sportlerinnen, die in einem Verein trainiert haben.
Der Laufboom der Frauen war in den USA zu dieser Zeit also schon voll im Gange.
Diese Begeisterung war letztendlich ausschlaggebend dafür, dass ich auch im nächsten Jahr in New York an den Start ging. Ursprünglich hatte ich ja nur das Ziel, einmal in meinem Leben einen Marathon zu laufen und dann wieder in mein nicht sportliches Leben zurückzukehren.
Der Laufvirus hat Sie also gepackt.
Das ging so weit, dass ich bis zu fünf Marathons im Jahr lief. Und zwar nicht, weil ich so ehrgeizig war, sondern es war das Gesamtpaket: Die Faszination Marathon, aber auch die damit verbundenen Reisen, die faszinierenden Städte.
Ihre persönliche Marathonbestzeit - 3:16 Stunden - liefen Sie 1994 in Wien. Was uns wieder zur Frage zurückführt, wie es Ihnen gelang, dass im Jahr 1988 der Startschuss für den 1. Österreichischen Frauenlauf fiel?
Die Initialzündung war, wie gesagt, der Flyer des New Yorker Frauenlaufs. In der Folge brachte ich in Erfahrung, dass es in Bern ebenfalls schon einen Frauenlauf gab, den "1. Schweizer Frauenlauf". Also war klar, dass unser Frauenlauf "1. Österreichischer Frauenlauf" heißen wird. Am 12. Juni 1988 haben wir die Idee dann in Laxenburg realisiert.
Wer hat Ihnen damals bei der Organisation geholfen?
In erster Linie meine beiden Laufpartnerinnen Elisabeth Brunnhuber und Uschi Huber. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie das Befüllen der 440 Startsackerln im Wohnzimmer stattgefunden hat. Heute kommen Sattelschlepper angefahren. Hunderte Helfer arbeiten drei Tage daran, dass diese Aufgabe erledigt wird.
1996 kam dann Andreas Schnabl mit ins Team.
Er war der jüngste Organisator einer Laufveranstaltung. Im Dezember 1995 lernten wir einander kennen. Er war der Meinung, dass beim Frauenlauf noch viel Luft nach oben sei. Das war auch meine Überzeugung. Ab diesem Zeitpunkt zogen wir an einem Strang und orientierten uns an den großen Frauenläufen in Berlin und Bern. Während 1996 beim Österreichischen Frauenlauf rund 600 Läuferinnen an den Start gingen, waren es in der Schweiz bereits über 10.000. Gemeinsam erarbeiteten wir ein Fünfjahreskonzept. Innerhalb dieser Zeit war es unser Ziel, das Teilnehmerinnenfeld auf 5000 aufzustocken.
Was sollte verbessert werden?
Wir reisten zum Frauenlauf nach Bern und kamen mit jeder Menge Ideen zurück. Zwei davon wurden sofort umgesetzt. Zum einen die Kinderbetreuung, die es damals in Österreich noch nicht gab. Ab sofort war es auch Müttern möglich, ohne organisatorischen Zusatzstress am Frauenlauf teilzunehmen. Die andere Neuerung betraf das gemeinsame Warm-up am Start. Jedes Jahr sind es für mich enorm emotionale Momente, wenn ich hinter der Bühne stehe und tausende Frauen sehe, die sich gemeinsam auf die Veranstaltung einstimmen.
US-Lauflegende Kathrine Switzer zählt auch zu den Menschen, die Sie in Ihrer kontinuierlichen Arbeit bestärkt haben?
In jedem Fall. Sie ist ja die Erfinderin des Frauenlaufs. Am 3. Juni 1972 hat sie in New York den weltweit ersten initiiert.
Auf den Tag genau 40 Jahre später findet nun im Wiener Prater das 25. Jubiläum von Europas größtem Frauenlauf statt. Ist die Wahl dieses Datums Zufall oder Kalkül?
Zufall. Wenngleich ein schöner. Kathrine Switzer wird übrigens am Sonntag ebenfalls an den Start gehen.
Sie ist ja bereits zum dritten Mal in Wien.
Bei allen großen Jubiläen des Österreichischen Frauenlaufs war Kathrine Switzer dabei. 2005 ging sie mit Startnummer 10.000 ins Rennen, 2010 mit Startnummer 20.000 und nun mit Startnummer 30.000. Der Frauenlaufsport verdankt dieser Ausnahmeathletin immens viel. Sie hat all ihre Kraft dafür investiert, dass 1984 der Frauenmarathon als olympische Disziplin anerkannt wurde.
Sie war auch die erste Frau, die im Rahmen eines Wettkampfs einen Marathon beendete.
1967 in Boston. Damals waren weibliche Teilnehmerinnen bei Marathonveranstaltungen noch nicht zugelassen. Dennoch lief sie mit, der Veranstalter versuchte, sie aus dem Teilnehmerfeld zu zerren. Kathrines Freund, der Hammerwerfer war, ließ dies allerdings nicht zu und so konnte sie den Marathon zu Ende laufen.
Die Pressefotos gingen damals um die Welt.
Das war auch der Grund, weshalb der Druck der Öffentlichkeit so groß wurde, dass Marathonveranstalter das Teilnehmerfeld auch für Frauen öffnen mussten.
Warum durfte eine Frau bis dahin nicht Marathon-Laufen?
Kathrine Switzer beschreibt das in Ihrem Buch "Marathon Woman" sehr trefflich. Zum damaligen Zeitpunkt kursierte noch die Meinung, Langstreckenlauf sei nichts für Frauen. Manche Ärzte vertraten sogar die Meinung, dass Marathon-Laufen Frauen männlich mache und die Gefahr bestünde, dass die Gebärmutter herausfallen könnte.
Dennoch formierte sich im Laufe der Zeit eine weibliche Laufszene, die von Jahr zu Jahr größer wurde. Mittlerweile gibt es in den USA mehr Läuferinnen als Läufer.
Das Bild in der Öffentlichkeit hat sich total gewandelt. Auch was Wettkämpfe betrifft. In Chicago oder beim NYC-Marathon gehen 51 Prozent weibliche Teilnehmerinnen und 49 Prozent männliche Läufer an den Start. In Österreich sind wir zwar noch nicht so weit, aber es gibt viel Potential.
Wirkt sich Ihrer Ansicht nach der Frauenlauf auch auf gemischte Wettkämpfe aus?
Ich kenne hunderte Läuferinnen, die bei unserer Veranstaltung erste Wettkampferfahrungen gesammelt haben und nun bereits Halbmarathon oder Marathon laufen. Viele Frauen gehen auch deshalb zuallererst bei uns an den Start, weil die Hemmschwelle sehr gering ist. Hier ist man unter sich, oft steht auch nicht unmittelbar der Leistungsgedanke im Vordergrund, sondern einfach der Wunsch: Da mache ich mit, das macht Spaß.
Mit anderen Worten: Die Stimmung ist bei einem Frauenlauf eine andere als bei einem gemischten Teilnehmerfeld?
Oft bekomme ich von Teilnehmerinnen das Feedback: Man hat das Gefühl, man läuft miteinander und nicht gegeneinander. Man macht etwas gemeinsam, hat Spaß an der Sache, fühlt sich wohl. Das Laufen ist ein Fest für die Frau. Jede Läuferin ist eine Gewinnerin. Trotz der hohen Teilnehmerinnenzahl ist es uns gelungen, den familiären Charakter aufrecht zu erhalten.
Ganz im Hintergrund steht der Wettkampfcharakter beim Österreichischen Frauenlauf allerdings nicht.
Keinesfalls! Auch heuer haben wir wieder viele internationale Spitzenathletinnen im Teilnehmerinnenfeld, wie beispielsweise die amtierende Crosslauf-Europameisterin Ana Dulce Felix oder die zweifache NYC-Marathon-Siegerin Jelena Prokopcuka. Viele Frauen möchten auch einfach ihre persönliche Bestzeit laufen - egal, ob im Teambewerb oder über die 5- oder 10-km-Distanz. Weiters sind auch Frauen am Start, die sich vor 12 Wochen noch nicht vorstellen konnten, auch nur einen einzigen Kilometer zu laufen. Sie sprechen Ihr Trainingsprogramm "Fit in 12 Wochen" an.
Genau. Ich kenne mittlerweile eine sehr große Anzahl an Frauen, die mit diesem Programm begonnen haben zu laufen. Also eine Minute gehen, eine Minute laufen. Der sanfte Einstieg. Eine Fitness, die ich vielleicht fünf, zehn Jahre vernachlässigt habe, kann ich nicht von heute auf morgen zurückgewinnen. Der Körper wehrt sich dagegen, schreit förmlich um Hilfe und sagt: Bitte beweg mich nicht zuviel. Aus diesem Grund habe ich 1997 dieses Trainingsprogramm geschrieben, das sich über all die Jahre bewährt hat. Den Frauen gefällt der gesunde Einstieg. Aller Anfang muss nicht schwer sein und er gelingt oft noch einfacher, wenn das Training in der Gemeinschaft stattfindet.
Wo kann man dieses Laufprogramm in Anspruch nehmen?
Im Rahmen unserer Frauenlauftreffs, die es mittlerweile an 50 Standorten in Österreich gibt. Ein weiterer Standort befindet sich in Bratislava. Diese Treffs werden von uns koordiniert und von 125 Laufinstruktorinnen geleitet. Die Lauftreffs sind kostenlos. Jede Frau, jedes Mädchen, das strukturiert trainieren möchte, kann einfach zu einem dieser Lauftreffs kommen und mitlaufen. Rückblickend betrachtet war die Idee dieser Frauenlauftreffs sicherlich mitentscheidend für den rapiden Zuwachs an Läuferinnen.
Gibt es diese Lauftreffs das ganze Jahr über?
Manche davon schon. Jour fixe ist beispielsweise mittwochs, um 18.30 Uhr in der Prater Hauptallee. Momentan sind dort 20 Trainerinnen vor Ort, die ca. 500 Frauen bewegen. Die Schaffung dieses kontinuierlichen Trainingsangebotes macht uns zur größten und nachhaltigsten Bewegungsinitiative Österreichs.
Besonders am Herzen liegen uns auch die Mädchen. Wir kooperieren mit über 130 Schulen. Es gibt sicherlich viele andere Dinge, die 17-, 18-jährige Mädchen am Sonntag lieber machen würden, als um neun Uhr in der Früh fünf Kilometer im Prater zu laufen. Aber sie machen es trotzdem. Und das freut mich besonders. Ich denke, es ist uns gelungen, dass der Österreichische Frauenlauf nicht nur sportlich interessant, sondern auch hip und trendy ist.
Jetzt abgesehen vom Wettkampfgedanken, was bedeutet Laufen in Ihrem täglichen Leben?
Ich bin davon überzeugt, dass Laufen die ideale Sportart für Frauen ist. Weil ich es an mir selber gespürt habe. Ich behaupte, dass ich heute mehr Energie habe als vor 25 Jahren.
Und das führen Sie auf Ihr regelmäßiges Lauftraining zurück?
Laufen hat mir mehr zurückgegeben, als ich investiert habe. Es gibt nicht viele Dinge im Leben, die man auf derart einfache Weise bekommen kann. Ein weiterer großer Vorteil ist, dass sich Laufen ohne großen Aufwand im Tagesablauf integrieren lässt. Natürlich ist Laufen auch eine optimale Gewichtskontrolle. Obwohl ich sehr gerne esse, war eine Diät für mich noch nie ein Thema. Ich fühle mich einfach wohl in meinem Körper.
Wie oft finden Sie noch Zeit zum Laufen?
Rund dreimal in der Woche. Das ist ganz wichtig für mich. Dieses herrliche Gefühl, in der Früh der Sonne entgegen zu laufen, den Wechsel der Jahreszeiten zu erleben. Nirgendwo sonst kann ich Stress so gut abbauen. Nach 15 Minuten wird der Kopf frei und umgekehrt offen für die besten Ideen. Dank des Laufens durfte ich auch viele tolle Menschen kennenlernen, nicht zuletzt Kathrine Switzer. Es war sicherlich einer der berührendsten Momente, als Andreas Schnabl und ich Kathrine Switzer 2005 den Österreichischen Frauenlauf-Award überreichten. Damals dachten wir uns, wenn 10.000 Läuferinnen an den Start gehen, ist unser Ziel erreicht und unsere Aufgabe erfüllt. Dann kam Kathrine und gab uns ein ungemein tolles Feedback zur Veranstaltung. Abschließend meinte sie: Macht weiter, glaubt an die Idee, da ist noch viel drinnen. Das gab uns so viel Kraft, dass wir den Entschluss fassten: Wir machen weiter.
Christine Dobretsberger, 1968 in Wien geboren, freie Journalistin und Autorin, seit 2005 Geschäftsführerin der Text- und Grafikagentur Lineaart.
Siehe auch:
25. Frauenlauf Wien: Rund 800 Läuferinnen pro Minute im Ziel erwartet
Zur Person<br style="font-weight: bold;" /> <br style="font-weight: bold;" /> Ilse Dippmann, geboren 1957, ist Diplompädagogin und seit 2005 hauptberufliche Geschäftsführerin des "Österreichischen Frauenlaufs", den sie 1988 ins Leben gerufen hat. Gemeinsam mit ihrem Partner und Lebensgefährten Andreas Schnabl ist die 29-fache Marathonläuferin auch heuer die treibende Kraft hinter dem Frauenlauf, der am 3. Juni in Wien stattfinden wird.
Ilse Dippmann ist als Motivationstrainerin tätig und hat das Trainingsprogramm "Fit in 12 Wochen" entwickelt, das insbesondere Frauen den Einstieg ins Laufen erleichtern soll.
Seit der Premiere 1988 haben 163.805 Frauen und Mädchen beim Österreichischen Frauenlauf teilgenommen. Auf Grund des jahrelangen Engagements für den Frauen-Laufsport wurde Ilse
Dippmann 2007 das Goldene Verdienstzeichen
der Republik Österreich durch die damalige Frauenministerin Doris Bures überreicht. Nähere Informationen zum "Österreichischen Frauenlauf"
auf der Website