Der kosovarische Vizepremier Enver Hoxhaj über den Weg zur Anerkennung seines Landes.
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"Wiener Zeitung": Die Idee eines Gebietstausches zwischen dem Kosovo und Serbien hat für viel Aufregung gesorgt und ist noch nicht vom Tisch. Wäre das ein gangbarer Weg, die bilateralen Beziehungen zwischen den Nachbarn zu normalisieren?
Enver Hoxhaj: Man muss richtig verstehen, was Kosovo, Serbien und die Europäische Union im Dialog eigentlich erreichen möchten. Wir haben in den vergangenen sechs Jahren einen eher technischen und pragmatischen Prozess geführt. Mit diesem haben wir versucht, verschiedene Abkommen umzusetzen. Jetzt sind wir in der Übergangsphase zu einem weiteren und zugleich neuen Dialog. Für diesen haben sich Kosovo und Serbien sowie die EU zum Ziel gesetzt, ein rechtsverbindliches Abkommen zu erreichen, welches diese gegenseitige Anerkennung festschreibt.
Die Anerkennung des Kosovo ist die erste und wesentliche Dimension dieses Abkommens. Als Zweites sollen dort andere Elemente und Inhalte mit einbezogen werden. Dazu gehören die Gründe, die zum Konflikt und zum Krieg um den Kosovo geführt haben, aber auch die Versöhnungsinitiativen zwischen den beiden Gesellschaften. In einem weiteren Teil sollen Fragen der Wirtschaft, des Handels und der Energie im Zusammenhang der regionalen Zusammenarbeit behandelt werden. Dazu ist dann die Markierung der Grenze zwischen Kosovo und Serbien vorzunehmen.
Ist die Zeit schon reif dafür, darüber zu sprechen?
Wir benötigen zuvor ein Abkommen, in welchem all die Fragen behandelt und geklärt werden, die für eine gegenseitige Anerkennung und für einen Friedensvertrag zwischen Kosovo und Serbien wesentlich sind. Der im Sommer unterbreitete Vorschlag war dafür gedacht, die Diskussion vom Stillstand etwas wegzubringen. Serbien war nicht interessiert, eine Lösung zu finden, sondern eher, dass die Lage im Stillstand bleibt. Wir haben dann versucht, das Beste herauszuholen.
Sie betonen die territoriale Integrität des Kosovo - und das Interesse daran, den multiethnischen Charakter dort aufrechtzuerhalten. Das legt jedoch nahe, keine ethnischen Bereinigungen und keinen Gebietstausch vorzunehmen.
So ist es. Es soll keine interne ethnische Teilung im Kosovo geben, keinen Gebietstausch zwischen Kosovo und Serbien. Aber eine Markierung der Grenze zwischen den beiden Staaten ist jedenfalls erforderlich, eine Grenzmarkierung, wie wir sie auch mit anderen Staaten vorgenommen haben. Wir wollen dies in einem Verhandlungsprozess und mittels eines Abkommens erreichen, das es Kosovo und Serbien ermöglicht, in Frieden zu leben. Die Selbstbestimmung des Kosovo war niemals ein Trumpf gegen Serbien, sondern ein Recht des Kosovo und der Kosovaren, damit wir unser Land verwalten und ein besseres Leben führen können. Dieser Prozess muss und soll laufen wie die anderen im Rahmen der Staatenbildung auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien, einer gegenseitigen Anerkennung der beiden Länder.
Ist eine Lösung in diesem Konflikt ohne Druck von außen, etwa durch die EU, überhaupt möglich?
Ich glaube nicht. Ich meine vielmehr, dass die EU - ebenso wie das derzeitige Vorsitzland Österreich - einen großen Beitrag leisten kann, damit wir ein Abkommen mit Serbien erreichen. Serbien war bisher nicht interessiert, mit uns zusammenzufinden. Abgesehen davon, muss man auch verstehen, was die gegenseitige Anerkennung von Kosovo und Serbien über dieses geplante Abkommen hinaus bedeutet. Es sollte ermöglichen, dass Kosovo Mitglied der Vereinten Nationen werden kann. Diese Entscheidung muss im UN-Sicherheitsrat unterstützt werden, um ein Veto Russlands zu vermeiden. Daher ist für uns die Mitwirkung großer Akteure an der Beilegung des Streits zwischen den Staaten so außerordentlich bedeutsam.
Zu den ökonomischen Aspekten der gegenwärtigen Lage: Rund 700.000 Kosovaren sind im Ausland tätig und überweisen Geld nach Hause. Was müsste getan werden, damit im Kosovo stärker eine eigene Wirtschaft entwickelt werden kann?
Wir haben in den vergangenen zehn Jahren ein sogenanntes normales staatliches Leben in nahezu allen Dimensionen aufgebaut, und zwar von Grund auf. Staatliche Institutionen und politische Strukturen mussten geschaffen werden. Natürlich müssen wir eine Basis für ökonomische Prosperität des Kosovo schaffen. Einige Zahlen bestätigen unseren Weg: Vor wenigen Jahren betrug das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes noch ein Prozent, für 2019 ist einer Prognose der Weltbank zufolge ein Wachstum zwischen vier und fünf Prozent zu erwarten. Das ist das größte Wachstum in einem Land am Balkan. Wir sind jedoch nicht in der Lage, die ökonomischen Leistungen ebenso schnell zu verbessern, wie der Bedarf der Bevölkerung steigt. Auch das ist ein Argument, warum wir im Dialog mit Serbien den Prozess der Staatenbildung fortführen wollen: Wir müssen unsere Souveränität konstituieren, um Staat und Gesellschaft zu entwickeln. Wirtschaft und Wachstum bleiben Prioritäten.
Woher kommen die dafür erforderlichen Investitionen?
Wir haben heuer einen Vertrag mit einem amerikanischen Investor unterzeichnet, und zwar für den Energiesektor. Wir suchen nach weiteren Investoren, weil es kaum möglich ist, die Wirtschaft aus eigenen Kräften zu entwickeln. Zudem investieren auch Persönlichkeiten aus der Diaspora im Kosovo. Aber der wesentliche Punkt für die Wirtschaft in dieser Region ist folgender: Wir glauben nicht, dass Serbien, Kosovo, Albanien, Mazedonien und Montenegro den wirtschaftlichen Aufschwung alleine schaffen. Es sind einfach kleine Länder. Diese fünf Staaten zusammengenommen haben rund 14 Millionen Einwohner, mit Bosnien-Herzegowina sind es 17,5 Millionen. Diese Länder können sich also wirtschaftlich nur entwickeln, wenn es einen regionalen Austausch und eine Einbindung in die EU gibt.
Ökonomische Prosperität braucht politische Stabilität: Wenn Kosovo und andere Staaten des Westbalkans der EU beitreten, wird das die Region stabilisieren oder werden die Spannungen dann in den Organen der EU ausgetragen?
Die Europäische Union hat in den vergangenen 20 Jahren - gemeinsam mit den USA - Europa in vielen Parametern in bessere Verhältnisse gebracht, etwa Stabilität. Die Erweiterung der EU um den Westbalkan ist keine klassische Erweiterung - es ist eher eine Konsolidierung Europas, denn wir sind historisch und kulturell Europa. Wir sind von der EU umgeben. Wir werden Kräfte für den Prozess der Integration mobilisieren, noch ehe wir Teil der Europäischen Union sind. Wir werden die Konflikte, die wir haben, nicht der EU übertragen oder in diese einbringen. Die EU würde das auch nicht zulassen.
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