Studie zeigt auf: Einsatzkräfte sind unzureichend auf Terrorakte vorbereitet.
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Wien. Wer viel Publikum zu seiner Buchpräsentation locken will, tut gut mit einem spektakulären Ort zum richtigen Zeitpunkt. Gesteckt voll war der Große Schwurgerichtssaal des Landesgerichts für Strafsachen in Wien am Montagabend, auch nach Ende des Prozesses gegen Ex-Innenminister Ernst Strasser. "Wer diesen Raum betrat, sollte vor Ehrfurcht erstarren", sagte Ingo Wieser, Waffenexperte und Gutachter in Kriminalfällen, mit einem Blick auf die Medusenköpfe in der Stuckatur, um dann zu seinem Buch überzuleiten. Es analysiert, wie Menschen im Angesicht von Akten des Terrors handlungsfähig bleiben - also "Erstarrung" vermeiden können.
Den 275 Seiten "Terror: Das Trauma der Einsatzkräfte" liegt eine brisante Studie zugrunde. Wieser und Eva Schrank, Gesundheitspsychologin und psychologische Sachverständige, haben untersucht, ob Einsatzkräfte ausreichend geschult sind für den Umgang mit Autobomben, Giftgas-Attacken, Selbstmordattentaten und sonstigen Terror-Katastrophen. Im Rahmen des EU-geförderten Projekts "Cast" (Comprehensive Assessment of Security-Centered Training) nahmen sie nicht Spezialeinheiten unter die Lupe, sondern Verkehrspolizisten, Wachstubenleiter, Rettungswagen-Teams, Security-Personal und Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr oder Wehrdiener. Sie alle eint eines: Der Umgang mit Bomben oder den Folgen von Explosionen gehört nicht in ihr "Tagesgeschäft".
120 Einsatzkräfte wurden mit virtuellen Szenarien des Katastrophenterrorismus konfrontiert. Multimediale Techniken vermittelten dabei das Gefühl, mitten im Geschehen zu sein. Die Erfahrung wurde angereichert durch Gerüche, etwa brennendes Holz oder Bittermandel. Hinzukamen Geräusche von Sirenen oder das Atmen und Stöhnen verletzter Frauen und Kinder. Nach dem virtuellen Horror-Erlebnis mussten die Teilnehmer einen Fragebogen ausfüllen, was bei ihnen besondere emotionale Reaktionen ausgelöst oder sie besonders belastet hätte. Das - wenig überraschende - Resultat: "Die unterschiedlich ausgebildeten Einsatzkräfte sind unzureichend vorbereitet für die Aufgabe", sagte Wieser. Manche seien sogar in Ohnmacht gefallen.
Parallel untersuchten die Autoren, wie die Einsatzkräfte verhindern könnten, bei Terror-Angriffen Traumata zu erleiden. "Im Zuge der derzeitigen Ausbildung wird wenig bedacht, Einsatzkräfte auf ein derart belastendes Ereignis vorzubereiten", betonte Schrank. Das schaffe Raum für negative Stressbewältigungsstrategien, die zum Auseinanderfallen von Emotionen in dramatischen Situationen - sprich: Traumata - führen.
"Im Allgemeinen kann man sagen: Resilienter gegen Traumata sind wenig neurotische und eher extravertierte, offene, verträgliche und gewissenhafte Menschen", so Schrank. Auch wer sein Bewusstsein, seine Härte und Selbstüberzeugung schule, würde widerstandsfähiger. Die Autoren unterstützten die Resilienz der Probanden durch Biofeedback. Bei dieser Methode werden Veränderungen von Zustandsgrößen biologischer Vorgänge, die der Sinneswahrnehmung nicht zugänglich sind, elektronisch beobachtet.
Biofeedback "macht sich das sensibelste Messgerät zunutze, den eigenen Körper", so Schrank. Löst ein schockierendes Ereignis Entsetzen aus, können Betroffene durch gezieltes Atmen zu einer Entspannung finden. Im Rahmen von sechs Sitzungen trainierten die Probanden ihre tiefe Bauchatmung, dabei wurden Faktoren wie Herzfrequenz, Blutdruck und Sauerstoffgehalt des Blutes gemessen. Die Folge: Die Testpersonen gingen in der zweiten Runde entspannter in die virtuelle Situation hinein und blieben ruhiger, daher handlungsfähiger. Die in dem Buch dargelegten Forschungsresultate fließen in eine Reform der Ausbildung der Polizei ein. Laut Wieser ist die Zeit dafür reif, denn: "Es ist keine Frage ob, sondern eine Frage wann ein Akt des Katastrophenterrorismus auch bei uns stattfindet."