China ist wild entschlossen, die übrige Welt nicht mehr aus seinem Bann zu entlassen. Wirtschaftlich ist aus dem Reich der Mitte längst ein Riese geworden, der dem Westen mit seinem Rohstoffhunger und seiner Wachstumsdynamik die Sinne betört; seine ungeheuren Devisenreserven rauben Finanzpolitikern den Schlaf; Afrika will sich am liebsten nur noch von ihm entwickeln lassen; selbst das gefährdete Taiwan erliegt nach und nach seinem Versprechen vom ewigen Wirtschaftswachstum.
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Und sollte noch irgendwer Zweifel an dieser schönen neuen Ordnung der Welt haben, so kann er sich ab Samstag in Shanghai eines Besseren belehren lassen, wenn die Weltausstellung ihre Tore öffnet.
Nur um die Gigantonomie zu veranschaulichen: Ende März war noch von 70 Millionen erwarteten Besuchern die Rede, Ende April waren es schon 100 Millionen. Die Unterschied fällt längst nicht mehr ins Gewicht, die Magie der großen Zahlen hat alle in ihren Bann gezogen, dahinter verschwinden die politischen wie sozialen Realitäten.
Die Hoffnung auf eine schleichende politische Öffnung des Landes hat sich zerschlagen. Olympia 2008 hat gezeigt, dass man gleichzeitig eine riesige Show für die Weltöffentlichkeit vor den Fernsehern abziehen kann und dennoch kein Jota am absoluten Herrschaftsanspruch der Kommunistischen Partei zu rütteln braucht.
Statt dass sich China durch Reformen in punkto Demokratie und Menschenrechte dem Westen annähert, übernimmt dieser immer mehr die herrschende Ansicht Pekings, wonach ein solches Riesenreich nur mittels einer starken Hand regiert werden kann. Und hat nicht auch das viel berichtete Debakel der Irak-Invasion gezeigt, dass das westliche Verständnis von Demokratie eben kein Rezept für die ganze Welt sein kann .. .
Wenn Europa, die USA und der Rest der aufgeklärten Welt diese Sicht zu teilen beginnen, erübrigt sich der letzte Rest von höheren Werten in der internationalen Politik. Es wäre das Ende des Glaubens an den universalen Anspruch der Menschenrechte. Das sollten die mehr als hundert Staats- und Regierungschefs am Freitag nicht vergessen, wenn ihnen bei der Eröffnungsfeier der Weltausstellung die Augen vor Staunen übergehen.