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Die Lage in Kirgisien blieb auch gestern höchst angespannt. Während in der südlich gelegenen Stadt Kadamjai ein Regierungsgebäude besetzt wurde und in der Hauptstadt Bischkek Polizeieinheiten zusammengezogen wurden, hat Präsident Askar Akajew den Innenminister und den Generalstaatsanwalt in dem zentralasiatischen Staat entlassen.
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Unklar blieb zunächst, ob Akajew mit diesem Schritt nur seine Getreuen enger um sich scharen will oder ob damit die Opposition beruhigt werden soll, die in den Städten Osch und Dschalal-Abad die Kontrolle übernommen hat. Dass sich die Aufständischen mit solchen Aktionen zufrieden geben werden, ist trotz Appellen zu einer friedlichen Lösung von EU, USA und UNO-Generalsekretär Kofi Annan wenig wahrscheinlich: Anwar Artykow, der sich in Osch, der zweitgrößten Stadt des Landes, zum Gouverneur erklärt hatte, beharrte auf dem Rücktritt von Präsident Askar Akajew: "Der einzige vorstellbare Kompromiss wäre, Akajew nach seinem Rücktritt Sicherheit zu gewähren", erklärte er. Ein Akajew-Sprecher sagte, der Innenminister, der durch den Polizeichef von Bischkek ersetzt wird, und der Generalstaatsanwalt seien offiziell auf eigenen Wunsch zurückgetreten, nannte als Grund aber "die Ereignisse im Süden und die Unfähigkeit der Verantwortlichen, diese Ereignisse zu verhindern".
Der Präsident selbst hatte den Aufstand tags zuvor als Putschversuch bezeichnet. "Verbrecherische Elemente mit Verbindungen zur Drogenmafia" seien für die Lage im Süden des Landes verantwortlich. Tatsächlich gilt das Land als Transitzone für Drogen aus dem südwestasiatischen Raum - von Afghanistan, dem größten Opiumproduzenten, ist man nur durch Tadschikistan getrennt.
Bedrohung durch Islamisten?
Auch die Bedrohung durch islamische Terroristen bringt Akajew gerne ins Spiel, wenn es um die Legitimierung seines Regimes geht. Sowohl für den Drogenhandel als auch den Islamismus nennt er das verarmte Fergana-Becken als Zentrum. Das zwischen den Ländern Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisien aufgeteilte Tal bietet einen der wenigen offenen Zugänge zu dem von Bergen umschlossenen Land. Tadschikistan hat am Mittwoch die 1.000 km lange Grenze zur Kirgisien geschlossen, offiziell, um das Einsickern von islamischen Extremisten zu verhindern.
Beobachter weisen allerdings daraufhin, dass die auch in dieser Region zahlenmäßig stark vertretenen Kirgisen mit Radikalismen weniger anfangen können als in den anderen Staaten Zentralasiens - der sunnitische Glaube der freiheitsliebenden Nomaden vermischt sich mit althergebrachter Naturreligion.
Ethnische Konflikte drohen
Von ethnischen Konflikten hat BBC-Experte Dovlat Qudrat bisher noch nichts bemerkt. Die im Fergana-Tal konzentrierten Usbeken und die dort ansässigen Kirgisen sind sich in ihrem Protest gegen die Zentralregierung einig, meint er, schließt künftige Konflikte zwischen den Volksgruppen allerdings nicht aus. Der russische Politikwissenschaftler Emil Jurajew fürchtet gleichfalls das Erstarken der Stammesidentitäten: "Die staatliche Macht beruht im Wesentlichen auf der Bürokratie der Hauptstadt und auf dem Clansystem."
Der Akajew-Clan
Dieses Clansystem hat sich auch in der Hauptstadt, die seit der Unabhängigkeit 1991 wieder Bischkek heißt, nachdem sie jahrzehntelang nach dem russischen Reorganisator der Roten Armee Michail Wassiljewitsch Frunse (1885 bis 1925) benannt war, durchgesetzt. Die wichtigsten Sektoren der Wirtschaft stehen unter Kontrolle der engsten Verwandten des Präsidenten. Und die Vorherrschaft könnte, fürchtet die Opposition, noch ausgebaut werden. Nach dem jüngsten Urnengang, der laut Aussage von Wahlbeobachtern von der Regierung manipuliert war, sitzen bereits ein Sohn und eine Tochter des 61-jährigen Präsidenten im Parlament. Die Kritiker fürchten, dass auch nach Ende seiner dritten Amtszeit die Ära Akajew nicht zu Ende sein wird, sondern ein familiendynastisches Modell wie in den Nachbarstaaten entsteht.
Allerdings erwartet der politische Analytiker Alexander Kulinski auch von den Herausforderern bei den im Oktober anstehenden Präsidentenwahlen nichts Gutes: "Für die meisten ist Demokratie nur ein Lippenbekenntnis, weil man die Gunst des Westens erringen möchte".
Schwache Herausforderer
Als einziger der bei den derzeitigen Unruhen auftretenden Oppositionellen hat bisher Kurmanbek Bakajew seine Kandidatur für den Herbst angekündigt. Er ist allerdings nicht unbelastet: Bis vor zwei Jahren war er Ministerpräsident. In seine Amtszeit fiel somit die Niederschlagung einer Demonstration in einer Südprovinz, bei der fünf Oppositionelle erschossen wurden. Seine jüngste Bitte an Wladimir Putin, für Ordnung in Kirgisien zu sorgen, wird wohl nicht dazu beitragen, das ihm entgegen schlagende Misstrauen zu schmälern.
Der stärkste Mann der Opposition sitzt im Gefängnis: Felix Kulow, einst Vizepräsident, Sicherheitsminister und Bürgermeister von Bischkek, wurde im März 2001 zu sieben Jahren verurteilt - die Anklage wegen Amts- und Machtmissbrauch wurde nach Meinung von Beobachtern von Akajew gesteuert. Auch zwei ehemalige Außenminister finden sich auf Seiten der Opposition. Rosa Otunbajewa werden aber als Frau im patriarchalischen Land ebenso wenig Chancen eingeräumt, sich an die Spitze der Opposition zu stellen, wie dem eigenbrötlerischen Muratbek Imanaliew.
Neben der Führungspersönlichkeit fehlen der Opposition auch regierungskritische Medien - diese haben entscheidend zu den Umbrüchen in Georgien und der Ukraine beigetragen.