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Im Cyber-Crime-Sicherheitstheater spielen Opfer eine zu kleine Rolle

Von Franz Zauner

Analysen

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Wer sich zum Computer setzt, rechnet nicht mit dem Schlimmsten. Die Maschine, die den Alltag allgegenwärtig prägt, hat sich als nützlicher Helfer in allen Lebenslagen bewährt. Man kann heute auf einer Parkbank Geld überweisen, von unterwegs im Firmen-Netzwerk stöbern oder vom Büro aus sein Zuhause fernsteuern. Computer helfen bei so vielen Aufgaben, dass man es leicht übersieht, wenn sie selbst zu einer werden.

Cyber-Kriminalität hat viele Gesichter, die meisten davon sind unauffällig. Es dauert eine Weile, bis man bemerkt, dass der eigene E-Mail-Account einem Fremden gehört, der Freunde und Bekannte um dringende Spenden ersucht. Man wird es auch nicht gleich bemerken, wenn die eigene Kreditkarte für fremde Einkäufe glüht oder der PC daheim zum "Zombie" wurde und Netz-Attacken reitet. Dann gibt es auch noch Verbrechen, die nicht der eigene Computer begeht: zum Beispiel spektakuläre Einbrüche in Konzernzentralen wie bei Sony, wo Millionen Datensätze mit ungewissen Folgen geklaut wurden.

431 Millionen Menschen wurden laut einer Statistik des Antiviren-Herstellers Norton 2011 Opfer von Internet-Kriminalität. 114 Milliarden Dollar betrug die Schadenssumme. Und diese vorgeblich exakten Zahlen muss man wahrscheinlich noch um eine gewaltige Dunkelziffer vergrößern.

Angesichts der steilen Karriere des Cyber-Crime vom seltenen Einzelfall zum weltumspannenden Hintergrundrauschen ist es keineswegs verkehrt, wenn Staaten Gegenstrategien ersinnen und die Polizei mit entsprechender Expertise aufrüsten. Mit dem Europäischen Zentrum zur Bekämpfung der Cyber-Kriminalität bekommt das Thema jetzt auch eine internationale Adresse. Das alles ist gut und richtig, solange man im großen Sicherheitstheater nicht auf das kleine Drama vergisst, das entsteht, wenn jemand über Nacht zu einem von 431 Millionen Opfern wird.

Es ist immer noch ein mühseliger Prozess, bis man mit einem Account-Diebstahl bei Twitter, Facebook oder Google durchdringt. Schwer drückt die Beweislast, wenn man Opfer eines elektronischen Banküberfalls wird. Und angesichts des rasanten Wachstums der Fallstatistik wäre auch eine einprägsame Rufnummer für Cyber-Crime-Opfer eine Überlegung wert. In der Debatte ist Opferschutz ein schwer unterschätztes Anliegen.