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Die "Österreichische Gesellschaft für Literatur" (ÖGFL) begeht im Dezember ihr 50-Jahr-Jubiläum. Bei einer Feier im November erinnerte man sich gemeinsam an die gute alte Zeit und vergaß beinahe, dass man eigentlich immer ein Salon für Gegenwartsliteratur gewesen ist.
Im November und Dezember wurden zwar ein Symposium zu den Werken von Kleist, Kafka und Freud und "Literatur.Geschichte" veranstaltet, aber es gab und gibt dort unter anderen auch ein Programm zum "Writers in Prison-Day", die Reihe "Neue österreichische Literatur", "Europa-Literatur" mit Georgi Grozdev, ein Verlagsporträt der Literaturedition Niederösterreich, "Literatur und Musik" mit Texten von Marianne Fritz und eine "Lese.Auslese" von Neuerscheinungen.
Ganz neu, d.h. nicht einmal noch publiziert, waren am 18. Dezember 1961 "Die Merowinger", aus denen Heimito von Doderer zur Eröffnung der Gesellschaft vorlas. Die 22-jährige Erika Pluhar sprach Stimmdokumente von Ebner-Eschenbach, Saar und Hofmannsthal nach, weil die originalen Tondokumente nicht zu verstehen waren.
"Nur einige Punkte"
Der Gründer und Leiter der Gesellschaft, Wolfgang Kraus, stellte dann das Programm vor. Dies beinhaltete:
- Diskussionen, Lesungen und Vorträge "unter Mitwirkung österreichischer und ausländischer Persönlichkeiten".
- Im Ausland lebende österreichische Autoren werden mit dem literarischen Leben ihres Vaterlandes wieder in Kontakt gebracht. (Schon bald wurden etwa Erich Fried, Manès Sperber, Elias Canetti und Max Brod nach Wien eingeladen.)
- Kontaktaufnahme mit Autoren aus dem Bereich der ehemaligen Donaumonarchie.
- Die Gesellschaft regt im Unterrichtsministerium an, vier österreichischen Autoren der jüngeren und mittleren Generation (das waren Gerhard Fritsch, Fritz Habeck, Hans Lebert und Herbert Zand) die Gestaltung bereits bestehender Romanprojekte zu ermöglichen.
- In engem Kontakt mit der Universität und den Schulen wird "der Versuch gemacht, das Interesse an Literatur, am literarischen Leben überhaupt, zu stimulieren". (Dafür wurde etwa das "Forum der Jugend" ins Leben gerufen.)
- Anregung von Dissertationen über österreichische Autoren der Vergangenheit.
- Auf Vorschlag der ÖGFL wird die Verleihung der Förderungspreise für Literatur auf die Zeit vor der Buchwoche vorverlegt ("sodass die Preise noch im Herbstverkauf wirksam werden können").
- Als Orientierung über Gegenwart und Vergangenheit der österreichischen Literatur werden mit 500 Gratisabonnements die österreichische Literaturzeitschrift "Wort in der Zeit" an ausländische Kritiker, Germanisten und Autoren versandt.
- Österreichischen Autoren werden Lesungen und Studienaufenthalte im Ausland ermöglicht.
- Es werden Kontakte mit ausländischen Zeitungen geknüpft, um mit österreichischen Autoren in Kontakt zu treten.
- Ausländische Universitäten, Wissenschafter, Kritiker und Autoren, die über österreichische Themen arbeiten, werden aus einer dafür gewährten Subvention des Ministeriums mit der notwendigen Literatur versorgt.
"Meine Damen und Herren, dies nur einige Punkte", schloss Wolfgang Kraus (1924-1998) seine Eröffnungsrede. Der damalige Unterrichtsminister Heinrich Drimmel hatte den umtriebigen österreichischen Literaturkritiker, Essayisten, Sachbuch-Autor und Moderator mit der Gründung der ÖGFL beauftragt.
Vornehme Räume
Für den Journalisten und Autor Hans Haider, Sekretär der Gesellschaft von 1971 bis 1974, wurde damit "eine neue Qualität von Öffentlichkeit gesichert: Die literarische Familie, der man sich auch als Leser zugehörig fühlen darf, wusste sich erstmals in Wien an eine kontinuierlich programmierte Adresse eingeladen". Diese befand und befindet sich in, so die Arbeiter-Zeitung 1961, "vornehm ausgestatteten Räumen" im Barockpalais Wilczek in der Herrengasse 5 nahe dem Michaelerplatz.
Haider weiß auch zu veranschaulichen, in welchem kulturpolitischen Rahmen dies geschah: "Der Literatur-Unterricht in den Höheren Schulen versandete zumeist auf der Ebene von Ebner-Eschenbach, Wildgans, Max Mell. Neue Texte durften im Deutschunterricht nicht verteilt werden." Zur selben Zeit aber versorgten sich Schüler und Studenten, so Haider, längst mit Taschenbüchern, Kellerbühnen spielten Jarry und Ionesco, in Graz wurde das "Forum Stadtpark" gegründet, bald erschien die Literaturzeitschrift "manuskripte".
Öffentlich bekannt wurde die ÖGFL vor allem durch ihre Lesungen und Podiumsdiskussionen, und man darf eigentlich gar nicht anfangen mit einer Auflistung, weil einfach alle da waren: Peter Handke überfüllte das Palais Pallfy, Theodor W. Adorno gleich den Redoutensaal in der Hofburg, in der ÖGFL selbst lasen etwa - um bei einem Buchstaben zu bleiben - Aichinger, Améry, Andersch, Artmann und Auden. Oder Goldstücker, Gomringer, Grass, Green (Julien), Gütersloh. Oder Ransmayr, Reich-Ranicki, Robbe-Grillet, Rosei, Roth, Rühm. Usw. usf.
Auf der Flucht
Was aus dem Programm des Jahres 1961 geworden ist, kann die Schriftstellerin Marianne Gruber beantworten, welche die ÖGFL 1994 von Kraus übernommen hat. Der Auftrag, sich um Autoren der ehemaligen Donaumonarchie zu kümmern, war Kraus zu "provinziell", lieber lud er vermehrt Schriftsteller aus dem ehemaligen Ostblock ein. Die Gesellschaft unterstützte diese finanziell und/oder bei ihrer Flucht. Für Reinhard Urbach, ÖGFL-Mitarbeiter von 1968 bis 1975, später unter anderem Direktor des Theaters der Jugend, war dies ein wesentliches Merkmal der ÖGFL: dass man sich nicht auf Literatur allein beschränkte, sondern dass es um Menschen ging und geht.
Es geht aber auch um Kulturvermittlung: Seit 1989 werden mittlerweile über 60 Österreich-Bibliotheken von der ÖGFL betreut, die dem literarischen und interkulturellen Austausch zwischen Österreich und Ländern in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, im Kaukasus und in Zentralasien dienen.
Kraus, so erinnert sich Gruber, wollte keine Ideologisierung der Szene. Politiker im Amt wurden zwar zu Veranstaltungen eingeladen, konnten (und können immer noch) nicht ordentliche Mitglieder der ÖGFL werden. Dass die Opposition gegen Kraus seitens der Grazer Autorinnen Autorenversammlung (GAV) vom GAV-Mitbegründer Ernst Jandl unterbunden wurde (der auch gern gesehener Gast in der ÖGFL war), ist eine nette Fußnote der Geschichte. Gruber ist jedenfalls froh darüber, dass man die "ideologische Grenze" zum GAV später zum Verschwinden bringen konnte.
Ob das auch daran liegt, dass Autoren vom Schreiben kaum noch leben können und deshalb näher zusammengerückt sind? Die 1961 angestrebte Spendenfreiheit für Kunst und Wissenschaft ist in einfacher Form jedenfalls immer noch nicht möglich. Dafür ist das Stipendienwesen in den letzten 50 Jahren stark erweitert worden (und die ÖGFL vergibt seit 1989 Übersetzerstipendien).
Ordentliche Honorare
"Das ist auch notwendig", stellt Gruber fest, denn außer bei Lesungen (und ein wenig von den Buchverkäufen) gebe es für Autoren heute nichts mehr zu verdienen. Dereinst hatten sie noch Publikationsmöglichkeiten in Zeitungen und im Rundfunk - inklusive ordentlicher Honorare, so Gruber. Sie weist auch darauf hin, dass es in den Gründungsjahren einer Revolution gleichkam, dass sich die Germanistik lebender Autoren annehmen sollte. Heute ist dies - auch dank des 2008 verstorbenen Germanistik-Professors Wendelin Schmidt-Dengler - gang und gäbe.
Dafür gehört es laut Gruber der Vergangenheit an, dass Literaturzeitschriften auch von Verlagslektoren auf der Suche nach neuen Autoren gelesen wurden. "Wort in der Zeit" wurde jedenfalls 1966 durch "protokolle" ersetzt (bei denen, so Jörg Drews, "die Verkaufszahlen dem Ruhm und der Qualität umgekehrt proportional" waren und die 1997 eingestellt wurden). Und auch in der ÖGFL steht ein Wechsel ins Haus: Der derzeitige Generalsekretär Manfred Müller wird über kurz oder lang Marianne Gruber als Präsident ablösen.
Müller erinnern "unsere Räumlichkeiten sowohl was die Architektur als auch was die Ausstattung anbelangt an Salons aus dem 19. Jahrhundert". Damit gemahnen sie an das literarische Leben der Wiener Jahrhundertwende und "unterstreichen Kraus’ Wunsch, das gesellschaftliche Ansehen der Literatur wieder zu heben."
Müller ist sich allerdings darüber im Klaren, dass heutige Literaturveranstaltungen nicht mehr sehr viel mit klassischen literarischen Salons verbindet. "Stammpublikum" im traditionellen Sinn gebe es kaum mehr, auch weil die literarische Szene unüberschaubar geworden ist. Und dann ist man sich heute nicht mehr einig darüber, wie eine Literaturveranstaltung auszusehen hätte: traditionelle "Wasserglaslesung" oder Multimedia-Event? Denn viele Formen von Literatur würden sich nicht mehr darauf beschränken, "nur" mit Schrift auf Buchseiten zu arbeiten.
Jedenfalls steht es, so Müller, Veranstaltern nicht zu, auf Musik, Bildmaterial, neue Medien zu verzichten, wenn diese zentraler Bestandteil der Werke des Gastes sind. Gefragt sei die Offenheit, den klassischen Formen ihren Platz genauso zu geben wie den neuen. Gruber: "Wir schließen niemanden aus." Man versuche seit jeher, "heimlichen Begabungen auf der Spur zu sein".
In diesem Sinn ist das Programm der Gesellschaft äußerst vielfältig: Neben Buchpräsentationen und besagten Wasserglaslesungen finden wissenschaftliche Vorträge statt, Musik, klassische Literaturvermittlung, Tagungen, Soireen, Projektveranstaltung mit mehreren Autoren und ihren Texten, aber auch mit Fotografen und ihren Bildern. Einige dieser Veranstaltungen sind in Kooperationen entstanden - etwa mit den ehemaligen Konkurrenten und heutigen Mitbewerbern PEN-Club und GAV.
Zu ihrem Jubiläum hat sich die Österreichische Gesellschaft für Literatur also nicht nur gefeiert und dabei wehmütig an die guten alten Zeiten gedacht. Zwar wird auch das Archiv gerade ausführlich erforscht, aber gleichzeitig wurden die Programmfolder moderner gestaltet und die Website überarbeitet. Sie soll nach und nach mit praktischen Informationen (sowie mit Materialien aus den Archiven) gefüllt werden. Und mit dem jeweils aktuellen "aktuellen Programm".
Werner Schuster ist freier Kulturjournalist in Wien und Herausgeber des Online-Büchermagazins www.eselsohren.at
Österreichische Gesellschaft für Literatur, 1010 Wien,
Herrengasse 5, Tel.: 01/533 81 59
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