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Das Jüdische Museum beleuchtet "Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg".
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Wie ein prächtiger römischer Imperator steht er da, der Efraim Jossele. Auf dem Bild "Kaiser Franz Joseph zerschlägt die Ketten seiner jüdischen Untertanen". Es ist eine mythologisierende Darstellung aus dem Jahr 1852, die die Beziehung zwischen dem Kaiser und seinem jüdischen Volksteil treffend illustriert. Die Juden des k.u.k.-Reichs waren ihrem Kaiser loyale Untertanen, denn sie verdankten ihm die Gleichstellung und dass sie ihre Religion erstmals ohne Einschränkungen ausüben konnten. Er bekam mit Efraim Jossele auch einen Namen, der ihn respektvoll zu einem der ihren machte. Das Wiener Jüdische Museum zeigt nun eine Ausstellung, die nicht nur diese Beziehung beleuchtet, sondern auch den titelgebenden "Weltuntergang", den der Erste Weltkrieg für die jüdischen Untertanen dieses Kaisers brachte.
Prothesenkoffer
"Ich will, dass alle meine Soldaten gläubig sind", dieses Zitat des Kaisers steht am Stiegenaufgang. Und Franz Joseph meinte damit auch seine jüdischen Soldaten. Ein Teil der Schau befasst sich dementsprechend mit der Tätigkeit von Feldrabbinern. Die kümmerten sich nicht nur darum, dass Gottesdienste abgehalten wurden. Sie versuchten auch, koschere Verpflegung zu ermöglichen - oder, wie im Katalog geschildert, geistlichen Trost zu spenden, wenn unter Kriegsumständen Speisenregeln gebrochen werden mussten. Konfliktpotenzial gab es genug, waren doch die zu betreuenden Soldaten oft aus dem streng orthodoxen östlichen Gebieten, während die Rabbiner meist aus dem liberaleren Westen stammten. Außerdem hielten die Feldrabbiner auch Gottesdienste für russische Gefangene.
Die Ausstellung präsentiert auch religionsübergreifende Erinnerungsstücke an das Kriegsgrauen. Etwa einen Schädel mit verheiltem Einschussloch. Oder einen Koffer mit Miniaturgliedmaßen - es sind Prothesenmodelle. Universell erschreckend sind auch die Visionenbilder von Uriel Birnbaum, die er im Schlachtfeld angefertigt hat. Ein ungeschützter nackter Mann, von ausgerissenen Glupschaugen begafft, gefesselte Lähmung im Blutmeer.
Ein mehrheitlich jüdisches Schicksal wiederum traf Galizien. Die Schau zeigt Bilder von verwüsteten jüdischen Orten, von
Pogromopfern, von russischen Schützengräben, die mitten durch Häuser gehen. Die Bewohner sind längst fort - auf der Flucht im besten Fall, die erschwert wird durch zerstörte Wege. Plakate versuchen, die Suche nach Familienangehörigen zu kanalisieren. Mit einer Image-Fotokampagne sollte die Wiener Bevölkerung zum Einwanderungsansturm milde gestimmt werden - die Bilder zeigen die jüdischen Flüchtlinge als integrationswillig. Nach Wien zog es die Mehrheit der Flüchtlinge, sie hielten es für ein "irdisches Jerusalem". Auch ins echte Jerusalem führt die Ausstellung. Denn vor Ausbruch des Krieges waren die Juden in Jerusalem zu einem großen Teil emigrierte Galizier und damit Untertanen der Monarchie. In den Gaza-Schlachten kämpften auch viele jüdische Soldaten. Prunkgeschenke an den Kaiser verdeutlichen auch hier die große Verehrung.
Trost Zionismus
Die von Marcus G. Patka kuratierte Ausstellung schließt aber nicht mit dem Ende des Weltkriegs. Sie zeigt auch, wie es danach weiterging: Aufgrund des immer stärker werdenden Antisemitismus wendeten sich immer mehr Juden dem Sozialismus und Zionismus zu. Jüdische Ex-Soldaten bekamen im Bund Jüdischer Frontsoldaten noch eine Aufgabe: Synagogen vor Übergriffen zu schützen.
Die Ausstellung verzichtet auf Wandtexte, arbeitet mit vielen Interview-Videos. Von der Decke hängen Banner mit Kurzbiografien, Fotos werden projiziert. Man muss sich Zeit nehmen für diese Schau, es lohnt sich aber, ist das doch ein Thema, das weitgehend unerforscht ist. Die traurige Erkenntnis, dass die Anstrengung dieses Zusammenhalts über die Religionen hinaus am Ende nur in eine noch größere Katastrophe geführt hat, macht diese Schau nur umso deutlicher.
Ausstellung
Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg
Jüdisches Museum Wien
bis 14. September