Pekings Taxifahrer, eher berüchtigt als Fans großdeutscher Kriegsgeschichte, erweisen sich derzeit als Friedensengel. "Bundeskanzler Schröder und Präsident Chirac sind standhafte Männer!", ist zu hören. Es kommt vor, dass die Chauffeure europäischen Fahrgästen beim Bezahlen begeistert die Hand schütteln. Sie sind nicht die Einzigen.
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Überall in China, an Hochschulen, in den Medien, im Internet und auf den Strassen erörtert man die mögliche Intervention im Irak. Der Tenor der Diskussionen ist pazifistisch. "Make peace - not war", titelte das amtliche Parteiorgan "Volkszeitung" einen Bericht über die Haltung der Chinesen zum Konflikt in Nahost. Blätter wie "China Daily" räumen Volkes Meinung plötzlich ganze Seiten frei. "Wir hoffen, dass die Vereinigten Staaten den Irak nicht angreifen werden. Alle leiden, wenn der Krieg beginnt", äußerte dort etwa ein pensionierter Lehrer seine Besorgnis. Großdemonstrationen wie im Ausland, auf denen Millionen Kriegsgegner ihren Protest zeigen könnten, wurden von den Behörden nicht gestattet. Von unabhängigen Meinungsforschungsinstituten durchgeführte Erhebungen zum Thema existieren ebenfalls nicht. Volk und Partei, kann dennoch festgehalten werden, vertreten in der Irak-Frage keine gravierend unterschiedlichen Auffassungen. Für die chinesische Diplomatie hat das Nahost-Problem nur weitaus komplexere Dimensionen.
"Wir müssen das Beste geben und jede Möglichkeit nutzen, um den Krieg zu verhindern", appellierte der chinesische Außenminister Tang Jiaxuan im UNO-Sicherheitsrat. Gleichzeitig mahnte er an, den Inspekteuren für ihre Kontrollen mehr Zeit zu geben und forderte Bagdad auf, die Zusammenarbeit nicht zu sabotieren. China ist eines von fünf ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrates. Bei einer Abstimmung könnte die Legitimierung des Krieges mit einem Veto verhindert werden. Ob die Volksrepublik sich zu dieser Blockade entschließen wird, ist momentan Gegenstand von Spekulationen.
Das kommunistisch regierte Land steht vor einem außenpolitischen Drahtseilakt. Zum einen ist Anti-Amerikanismus in China traditionell ein wichtiges Instrument zur nationalen Identitätsfindung. Fast rituell verhöhnt die tägliche Karikatur in "China Daily" Präsident George W. Bush. Er wird als erbärmliche Witzfigur der Weltpolitik dargestellt, der seinen Rekruten absurde Order erteilt oder mit einer großen Rakete dem kleinen Irak tonnenweise Öl abpresst. Andererseits zwingt das ausgerufene Primat der Wirtschaft die Parteioberen in Peking längst zu weitreichenden Kompromissen. Die Vereinigten Staaten sind Chinas wichtigster Exportpartner. Chinesische Waren im Wert von mehr als einer Milliarde Dollar pro Jahr werden von Amerikanern gekauft. Einen solch gewaltigen Markt möchte man nicht verlieren.
Darüber hinaus fühlt man sich der Bush-Administration auch politisch zu Dank verpflichtet. Im Zuge der weltweiten Allianz gegen den Terror erhielt Peking beim Vorgehen gegen muslimische Separatisten in Xinjiang Rückendeckung. Washington erklärte die "Islamische Bewegung Ost-Turkestan" zur terroristischen Vereinigung.
Extreme Kritik an der "imperialistischen Kriegspolitik des Weltgendarmen", wie ihn Chinas "Neue Linke" auf einer Website (http://forum.cc.org.cn) in der letzten Woche zum ersten Mal äußerten, ist deshalb unerwünscht und bleibt eine sicher kaum lange tolerierte Randerscheinung. Die Bekundungen auf der Seite erinnern an Zeiten, die mit Chinas moderner Attitüde immer weniger zu tun haben. "Amerika hat sein Henkersbeil nie ruhen lassen. Welches Recht hat es nun auf einen Militärschlag gegen ein Volk, das sich gegen diese Praxis auflehnt?" Am Ende des Aufrufes wird gefordert, das "Banner der großen Tradition des chinesischen Volkes gegen den Imperialismus und die Hegemonie hochzuhalten".
Abgesehen vom ideologischen Aufschrei dieser Minderheit bereitet der Irak-Konflikt China andere Sorgen. Krieg im Irak würde die Ölpreise rapide steigen lassen. Dies hätte unter Umständen dramatische Folgen für die chinesische Wirtschaft. Um das rasante Tempo der Entwicklung beizubehalten, werden dringend ausländische Energie- und Brennstoffe benötigt. 2002 führte China 70 Mill. Tonnen Erdöl ein. Das waren bereits 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Hälfte der Lieferungen stammten aus dem Nahen Osten.
Chinas Volk und Regierung bauen weiter auf eine friedliche Lösung des Konflikts. Europäischen Initiativen wie dem Alternativplan zur Entwaffnung des Irak zollt man deshalb landesweit Respekt. "Pazifisten müssen zusammenhalten", bekunden da selbst Pekinger Taxifahrer.