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Im emotionalen Prekariat

Von Isolde Charim

Gastkommentare

Politik und Gefühle.


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Politik ist eine rationale Veranstaltung, wo man vernünftige Argumente austauscht, abwägt und schließlich kluge Kompromisse findet. Das ist keine Karikatur, sondern der übliche aufgeklärte Gemeinplatz. Und wenn er auch keine Entsprechung in der Wirklichkeit hat, so ist doch etwas wahr daran: Es ist das Ideal von Politik, das in unseren Köpfen herumspukt - vielleicht ohne uns wirklich bewusst zu sein.

Deutlich wird dieses Ideal immer dann, wenn Emotionen im Politischen auftauchen und als Pathologien behandelt werden. Zu pathologischen Abweichungen werden diese ja erst, wenn man sie vom Rationalitätsideal her betrachtet. Dann wird sofort nach Aufklärung gerufen - das rationale Allheilmittel gegen irrationale Störungen. Es ist aber so, dass gerade die Demokratie eine hochgradig emotionale Gesellschaftsordnung ist. Deshalb ist es wichtig, sich den Emotionen und ihrer verkannten politischen Relevanz zuzuwenden.

Das hat die bekannte Philosophin Martha Nussbaum in ihrem eben erschienenen Buch "Politische Emotionen" getan. Darin werden Gefühle als politische Kraft analysiert. Wobei sie zwischen guten Gefühlen wie Liebe und Mitgefühl und schlechten Gefühlen wie Angst oder Zorn unterscheidet.

Die nicht weniger bekannte Soziologin Eva Illouz hat dieses Buch in einer ausführlichen Besprechung höflich vernichtet. Ihr erscheint diese Unterscheidung doppelt fraglich. Zum einen können negative Emotionen in politischer Hinsicht durchaus nützlich und produktiv sein. Und zum anderen seien kollektive Emotionen keine psychologischen Größen, sondern an Institutionen gebunden.

Illouz hat zweifellos recht: Negative Emotionen sind nicht nur destruktiv wie etwa der Hass der Fundamentalisten. Sie können durchaus eine politische Produktivkraft sein. Solch eine eminent politische Emotion ist etwa der Zorn.

Peter Sloterdijk hat den Zorn als zentrale Ressource des Politischen, als massive Kraft zur Veränderung von Gesellschaften beschrieben. Die dafür zuständigen Institutionen nennt er: Zornbanken - eine sprechende Bezeichnung für linke Massenparteien. Diese sind Zornbanken, weil die Menschen ihre Emotionen, ihren Zorn dort deponiert haben, weil diese "Banken" versprochen haben, ihre Einlagen nicht nur zu verwalten, sondern damit auch zu handeln und sie zu vermehren. Diese Zornbanken hätten aber, so Sloterdijk, die anvertrauten Depots verraten und verspielt.

Heute haben wir nur mehr den Wutbürger - eine Figur, an der zweierlei ersichtlich wird: wie sehr diese kollektive Gefühlslage politisch relevant ist und wie sehr keine politische Institution mehr dafür zuständig ist. Keine glaubhafte Zornbank in Sicht. In dieser Hinsicht hat Illouz also nicht recht. Denn politisch wirksame Emotionen sind aus ihren Bindungen gelöst. Wir leben heute im emotionalen Prekariat. Das bedeutet: frei flottierende Emotionen ohne fixe Zugehörigkeiten, Überzeugungen ohne feste Verbindlichkeiten, politische Leidenschaften ohne Parteibindung. Die politischen Identitäten gerieten in Bewegung. Parteien sind bestenfalls Lebensabschnittsgruppen, an die wir unsere flottierenden Emotionen nur befristet binden. Als vagabundierende Potenziale aber können solche Emotionen schnell kippen: von einer Produktiv- in eine Destruktivkraft.