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Im EU-Verteidigungshimmel herrscht im Moment dicke Luft

Von Heike Hausensteiner, Brüssel

Europaarchiv

Im Streit über die europäische Verteidigungspolitik findet heute auf Wunsch der USA ein Sondertreffen der NATO statt. Anlass für die Verstimmung im transatlantischen Klima sind neuerliche Vorstöße in der EU, NATO-unabhängige Kapazitäten für die Planung militärischer Einsätze aufzubauen.


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Die USA sind für ihr reges Lobbying in der EU bekannt. Wegen der europäischen Integrationsbestrebungen in Sachen Verteidigungspolitik hagelte es denn auch heftige Kritik aus Washington D.C. - das seinerseits die EU-Länder seit den Balkan-Kriegen immer wieder ermahnt, mehr Verantwortung in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu übernehmen. Als "die bedeutendste Bedrohung für die Zukunft der NATO" wertete nun der US-Botschafter bei der NATO, Nicholas Burns, die europäischen Verteidigungsprojekte. In die ist auch Großbritannien - obwohl treuester Verbündeter der USA (nicht nur) innerhalb der NATO - eingebunden.

Premier Tony Blair sitzt erneut zwischen zwei Stühlen, auf seine vermeintlich ausgestreckte Hand in Richtung EU-Verteidigungspolitik folgten Rückzieher und Beschwichtigung: Großbritannien werde "niemals" ein europäisches Verteidigungsprojekt akzeptieren, das die NATO gefährde, erklärte Blair beim EU-Gipfel in Brüssel. Es herrsche "völlige Einstimmigkeit" darüber, dass die europäische Verteidigungspolitik "komplementär", keineswegs aber "alternativ" zur NATO stehe, versuchte Italiens EU-Ratspräsident Silvio Berlusconi beim Herbsttreffen der Staats- und Regierungschefs Ende der Woche die Wogen zu glätten.

Davor hatten sich am Rande des Gipfels Deutschland, Frankreich, Belgien - und Großbritannien zu informellen Gesprächen zurückgezogen. Die Deutschen, Franzosen, Belgier und Luxemburger vereinbarten bereits Ende April, dass im Brüsseler Vorort Tervuren ein Hauptquartier für eigenständige militärische Operationen der EU eingerichtet werden solle. Der deutsch-französische Kompromiss wurde vor einem Monat auch von Blair bei einem Treffen in Berlin mitgetragen. Der EU-Planungsstab solle ohnehin nur dann zum Zug kommen, wenn sich die NATO nicht engagiere und ein militärischer Einsatz von der EU auch nicht auf Basis des NATO-Kooperationsabkommens ("Berlin plus") geführt werde, hieß es beim EU-Gipfel. Dennoch soll es morgen, Dienstag, ebenfalls einen Meinungsaustausch zwischen EU und NATO geben.

Nicht nur die USA sind mit den europäischen Verteidigungsplänen unzufrieden. Vorbehalte meldeten die Beitrittsländer, die jüngsten und künftigen NATO-Mitglieder, an; allen voran Polen ist gegen eine Unterminierung der NATO. Bedenken anderer Art haben die allianzfreien und neutralen EU-Mitglieder, vor allem Finnland und Irland. Der irische Premier Bertie Ahern ortete in Brüssel eine "große Anspannung". Bundeskanzler Wolfgang Schüssel sieht die Lage weniger dramatisch. Die bündnisfreien und neutralen EU-Mitglieder bräuchten sich keine Sorgen zu machen. Weder eine "Parallelaktion zur NATO", noch ein "elitärer Zirkel" oder "geschlossener Club" innerhalb der EU seien zu befürchten. Vielmehr sehe der Verfassungsentwurf die "verstärkte Zusammenarbeit" sowie eine Solidaritätsklausel vor (Artikel 43 bzw. 42). "Wer möchte, kann dazukommen", erläuterte Schüssel das Prinzip, nach dem auch der Schengen- und der Euro-Raum funktionieren. Gegenüber der "Wiener Zeitung" stellte der Bundeskanzler klar, dass es mit der österreichischen Neutralität keine Schwierigkeiten geben werde. "Wir haben immer gesagt, dass wir in der EU nicht neutral sind." Daher sei auch keine Verfassungsreform durch den Österreich-Konvent notwendig.