2017 stehen Bundestagswahlen an und die SPD unter Parteichef Sigmar Gabriel steckt in einem Tief. | Wer will, dass Deutschland sozialdemokratisch bleibt, wählt Angela Merkel, lautet der aktuelle Witz.
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Berlin. Spätestens im Herbst 2017 stehen Bundestagswahlen an und die SPD unter ihrem Chef Sigmar Gabriel kommt aus der Flaute nicht heraus. Die Meinungsumfragen sehen die Union stabil bei rund 35 Prozent der Stimmen, während die SPD bei knapp über 20 Prozent liegt. Und das, obwohl der Kurs von Kanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingsfrage alles andere als populär ist. Doch vom Unmut nach den jüngsten Terroranschlägen in Bayern und von der Ausländer-Debatte profitiert allein die rechtsnationale "Alternative für Deutschland" (AfD), die 2017 mit einem zweistelligen Ergebnis rechnen darf.
Offenbar glaubt Parteichef Gabriel nicht einmal selbst an einen Sieg. Im Mai sah er die SPD in einer Grundsatzrede sogar "existenziell" bedroht, nur noch 32 Prozent der Deutschen würden der alten Arbeiterpartei Lösungen bei deren "Kernkompetenz", der Frage der sozialen Gerechtigkeit, zutrauen. Die SPD wirke "emotional ermüdet", im "Hamsterrad der Sozialreparatur" gefangen, klagte der Vizekanzler.
Drei-Fronten-Krieg
Politologen sehen die SPD tatsächlich in ein Dilemma verstrickt. Die Partei führe einen Drei-Fronten-Krieg, habe "keinen Kern" und sei mit Konkurrenzkämpfen konfrontiert, die sie nicht gewinnen könne. Mit der Union würden die Sozialdemokraten um Wähler in der politischen Mitte rittern. Wobei der Kalauer umgeht dass die, die ein sozialdemokratisches Deutschland wollten, Merkel wählen. Die Linke wildert im klassischen linksideologischen Lager, die Grünen bei den Aufgeschlossenen, Modernen. So nimmt es nicht Wunder, dass Vizekanzler Gabriel von seinen Parteifreunden angeblich gezwungen wird, als Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl zur Verfügung zu stehen. Nur um an der Parteispitze zu bleiben, habe er vorläufig zugesagt, heißt es.
Seine Befreiungsschläge wirken unbeholfen. Im Juni regte er ein "Bündnis aller progressiven Kräfte" gegen das "Gift des Rechtspopulismus" an. Das wurde - auch wenn Gabriel seine Aussagen später relativierte - parteiübergreifend als ein Signal für eine rot-rot-grüne Koalition aus SPD, Grünen und der Linken verstanden. Nach Ansicht des Berliner Politologen Gero Neugebauer ging es Gabriel vor allem darum, den Unionsparteien einen Schuss vor den Bug zu verpassen. Die Drohung war aber schon deshalb zahnlos, weil sich diese Variante rechnerisch wohl nicht ausgehen wird.
Um aus dem düsteren 20 Prozent-Tal herauszukommen, müsste die Sozialdemokratie laut dem Berliner Politologen Gero Neugebauer deutlich machen, wie man künftig soziale Gerechtigkeit schaffen wolle. Die berüchtigte "Agenda 2010" - die von Schröder eingeleiteten, oft schmerzhaften Strukturreformen in Deutschland - hat das Bild der Partei diffus werden lassen. Und dass die SPD in der Großen Koalition nun Verbesserungen für Arbeitnehmer und Pensionisten durchsetzt, nütze ihr für kommende Wahlen nichts, so Neugebauer. Dankbarkeit sei auch in Deutschland keine politische Kategorie, man könne damit keine Wahlen gewinnen.
Die Latte liegt niedrig
Unterdessen wird in der SPD tief gestapelt. So diskutiert man in den Gremien, ob 2017 überhaupt die Kanzlerschaft oder nur eine erneute Regierungsbeteiligung anzustreben sei. "Unser erstes Ziel sollte sein, dass keine Regierung in Berlin ohne die SPD gebildet werden kann. Das wäre ein guter Erfolg", legt Schleswig-Holsteins SPD-Ministerpräsident Torsten Albig die Latte bewusst niedrig an. Ein rot-rot-grünes Bündnis auf Bundesebene lehnt er ab. Das ist dem SPD-Fraktionsvize im Bundestag, Axel Schäfer, eindeutig zu wenig. "Wer nicht über einen SPD-Kanzlerkandidaten sprechen will, der kann sich 2017 den Wahlkampf sparen", demonstriert er Kampfgeist. Und: "Rot-rot-grün muss eine Perspektive sein."
Doch auch die SPD-Anhängerschaft ist tief gespalten, das zeigt sich vor allem in der Flüchtlingsfrage: Die eine Hälfte hält den Grundwert der Solidarität hoch; die andere neidet Asylbewerbern staatliche Leistungen und fühlt sich von hehren Parteitagsbekenntnissen abgestoßen.
"Neutralitätspflicht verletzt"
Unterdessen gerät Gabriel auch in seiner Eigenschaft als Wirtschaftsminister immer mehr unter Beschuss. In der Affäre um die Übernahme der Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann durch den Konkurrenten Edeka wird ihm Befangenheit vorgeworfen. Das Magazin "Der Spiegel" berichtete von "Geheimtreffen" Gabriels mit dem Edeka-Vorstandsvorsitzenden Markus Mosa. Das Oberlandesgericht Düsseldorf stoppte die Erlaubnis Gabriels für die Übernahme am 12. Juli vorläufig. Das Gericht warf dem Minister mögliche Befangenheit vor, weil dieser "geheime Gespräche" mit Mosa und Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub geführt habe.
Der Minister wies das zurück und meinte, er habe eine Zerschlagung von Kaiser’s Tengelmann verhindern und Arbeitsplätze retten wollen. Tatsache ist, dass 5000 bis 8000 Jobs in Gefahr geraten würden. Die Opposition wirft Gabriel allerdings vor, sich in immer mehr Widersprüche zu verheddern: Er habe seine Neutralitätspflicht als Minister verletzt. Eine Affäre mit Negativ-Schlagzeilen, die Gabriel gerade jetzt nicht brauchen kann.