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Im Garten des grünen Fürsten

Von Thomas Veser

Reflexionen

Der historische Landschaftspark in Bad Muskau wird von der deutsch-polnischen Grenze in zwei Hälften geteilt. Er wird nun von beiden Ländern gemeinsam gepflegt.


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Nebelschleier schweben über der Wiese, die sich bis zu den Schilfufern der jungen Neiße erstreckt. Frühmorgens herrscht im Park eine herrliche Stille, gelegentlich unterbrochen vom Hämmern eines Spechts und Kuckucksrufen. Zwischen zwei Gruppen von Stieleichen, Rotbuchen und Eschen zeichnen sich die rötlichen Konturen des Neuen Schlosses ab. Von einer kleinen Anhöhe aus betrachtet, wirkt das Bauwerk mit seinen verspielten Fassaden im Neorenaissance-Stil zum Greifen nahe.

Diese Blickachse kommt am besten zur Geltung, wenn man sich beim gegenüberliegenden Aussichtspunkt auf einer Granitbank niederlässt, hinter der Linden und ein Steinkreuz stehen. Im Schloss auf der anderen Flussseite befanden sich die Gemächer des Parkschöpfers Hermann Fürst von Pückler-Muskau (1785 bis 1871).

Gärten und Literatur

In seinen "Andeutungen über Landschaftsgärtnerei" beschrieb der Begründer der Landschaftsarchitektur detailliert, wie man sich eine Parklandschaft à l’Anglaise vorzustellen hatte. "Ein Park muss wie eine Gemäldegalerie sein, alle paar Schritte soll man ein neues Bild sehen." Das Gartenbuch ist das einzige Werk, das der weit gereiste und polyglotte Fürst unter seinem Namen veröffentlichte. Als literarische Bereicherung gelten seine Reiseberichte aus England, die er unter dem Titel "Briefe eines Verstorbenen" anonym veröffentlichte. Scharfzüngig, aber nicht ohne Ironie, stellte er dort den eigenen Stand bloß. So beschrieb er, wie der englische Adel damals die Landbevölkerung in Irland vertrieben hatte, um Land für die lukrative Schafzucht zu gewinnen. Sein Werk brachte ihm Geld, da es später auch in Großbritannien und den USA veröffentlicht wurde.

Das Herz des Fürsten schlug jedoch für den Landschaftspark. "Wenn der Park eine zusammengezogene idealisierte Natur ist, so ist der Garten eine ausgedehntere Wohnung. Man setze auf diese Art die Reihe der Gemächer, in vergrößertem Massstab, unter freiem Himmel fort", hielt er fest.

Die Anhöhe mit Kreuz und Lindengruppe spielte eine wichtige Rolle in den Überlegungen des Adligen, Herr über die Standesherrschaft Muskau mit 45 Dörfern. Dort hatte der "grüne Fürst", wie man ihn nannte, sein Mausoleum vorgesehen. Wie viele andere Vorhaben kam auch diese Grablege nie zustande. Seine letzte Ruhestätte fand er im Park des brandenburgischen Schlosses Branitz.

Mit über 800 Hektar der größte Landschaftspark Zentraleuropas im englischen Stil, ist die grenzübergreifende Unesco-Welterbestätte zwischen Deutschland und Polen durch eine wechselhafte Geschichte geprägt worden. Da der sandige Untergrund für Neupflanzungen ungeeignet war, mussten seinerzeit gewaltige Mengen von Mutterboden über weite Strecken herangekarrt werden. Als kostspielig erwiesen sich auch die Verlegung des Flussbetts sowie einiger Dörfer und die erstmals gelungene Verpflanzung ausgewachsener Bäume. Kein mitteleuropäischer Park zeichnet sich durch eine größere Gehölzvielfalt aus. Deswegen zaubert der Herbst dort ein faszinierendes Farbenfeuerwerk in die Natur.

Natürliche Terrassen

Entscheidend für die Landschaftsgestaltung war das erdgeschichtliche Phänomen des Muskauer Faltenbogens. Während der Eiszeit entstand auf der heute polnischen Seite eine natürliche Terrassierung, die es Pückler erlaubte, Spazierwege auf bis zu 60 Meter hohen Terrassen über der Neiße anzulegen. Das entsprach genau den Vorstellungen des Erbauers: "Die natürlichen Unebenheiten des Gartens sind in der Regel malerischer, als die Kunst mit vieler Mühe hervorbringt."

Sein raumbildendes Blickachsen-Konzept konnte der "Erdbeweger" schon bei der Anlage des Parks umsetzen. In größeren Abständen voneinander gepflanzte Baumgruppen und Sträucher lassen die betrachteten Objekte nahe wirken. Legt man sie enger an, werden sie als weiter entfernt liegend empfunden.

Als der Fürst die Standesherrschaft übernommen hatte, stürzte sich der "Parkomane" allerdings in ein finanzielles Unterfangen, dem er mit seiner chronisch klammen Kasse nicht gewachsen war. Nach einigen Jahren war er völlig bankrott und musst seinen Besitz veräußern. Ein niederländischer Adliger kaufte ihm Schlossanlagen und Park 1845 ab und ließ ihn weitgehend nach Pücklers Vorgaben vollenden. Der Wunsch des Fürsten, der Bevölkerung freien Eintritt zu gewähren, wird bis heute respektiert.

Anfang 1945 fanden im Park erbitterte Gefechte statt, von vielen Gebäuden blieben nur Ruinen. Seit Kriegsende markierte die Neiße den Grenzverlauf. Zwei Drittel des Parks waren auf polnischem Territorium. Pläne, dort Holz zu ernten, scheiterten, da die Baumstämme mit Geschosssplittern gespickt waren. Der Rest des Parks mit der Kernzone lag auf DDR-Gebiet und wurde vom Denkmalschutz in Teilen restaurierend bearbeitet. Im landschaftlich reizvolleren polnischen Anteil holte sich die Natur allmählich zurück, was ihr einst gehörte.

Mit Beginn der 1990er Jahre ging die Eiszeit an der Neiße zu Ende. Bei der "Jeanetten-Insel" entstand eine neue Doppelbrücke, Grenzkontrollen gibt es seit einem Jahrzehnt nicht mehr. Ekkehart Brucksch, bis zu seiner Pensionierung 2005 Parkmeister, erinnert sich an die zaghafte Annäherung: "Wir halfen den polnischen Kollegen vor allem mit Maschinen und Geräten aus, so konnten sie die zugewachsenen Blickachsen wieder freilegen, Wiesen mähen und Spazierwege neu konstruieren".

Bilaterale Gartenpflege

Während der deutsche Parkanteil von einer Stiftung unter Aufsicht des sächsischen Finanzministeriums verwaltet wird, untersteht der polnische Abschnitt dem nationalen Institut für Kulturgüter in Warschau.

Etwa 30 Angestellte kümmern sich in Bad Muskau um die Pflege der Blumenbeete im Pleasure-ground sowie im Blauen Garten und im Herrengarten. Zudem unterhalten sie eine im maurischen Stil erbaute Orangerie. Auf polnischer Seite, in Muzakow, muss man sich mit zwei Waldarbeitern und einem mageren Budget zufrieden geben. Dennoch herrscht Zuversicht: "Das Zusammengehörigkeitsgefühl ist stärker geworden", bekräftigt die zuständige Forstwissenschafterin Barbara Iwlen.

Im Muskauer Nachbarort Łęknica, dem früheren Lugknitz, lebt ihren Worten zufolge inzwischen die dritte Generation der nach dem Krieg angesiedelten Polen. "Vor allem die Jüngeren identifizieren sich mehr und mehr mit dem Park, das ist auch ihr Kulturerbe. Dass dort einst eine Grenze verlief, merkt man jetzt so gut wie nicht mehr", fügt sie hinzu. Zu polnischen Hochzeiten gehört heute unbedingt ein Fototermin mit dem Brautpaar vor dem Garten und Schloss. Gebäude, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf polnischer Seite zerstört wurden, um einer "Erinnerungskultur" den Boden zu entziehen, sollen wiederaufgebaut werden.

Dass es nach wie vor ein Gefälle gibt, bleibt dem Besucher nach Überschreiten der neuen Neiße-Brücke keinesfalls verborgen. Vor Łęknica erstreckt sich der "Polenmarkt", auf dem auch bulgarische und rumänische Gewerbetreibende diverse Waren und Dienstleistungen anbieten.

Als Krönung der gemeinsamen Bemühungen gilt die 2004 beschlossene Aufnahme in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes. Ausschlaggebend dafür war vor allem, dass Pückler den städtischen Raum erstmals in Europa in die Parkplanung bewusst mit einbezogen hatte. Es war ihm gelungen, das heute 4000 Einwohner zählende Bad Muskau so geschickt in die gestaltete Natur zu integrieren, dass es zunächst gar nicht auffällt.

Kur mit Moorbädern

Wie viele ostdeutsche Gemeinden in Randlage hatte Bad Muskau seit der Wende Arbeitsplätze und Einwohner eingebüßt. Jetzt setzt man neben den Parkbesuchern verstärkt auf einen Kurbetrieb, den es schon zu DDR-Zeiten im Kavaliershaus in Form von Moorbädern gab.

Auch das geht auf Pückler zurück. Er besaß unter anderem ein Bergwerk, in dem Alaun gefördert und verarbeitet wurde. Dieser Rohstoff fand etwa bei der Papierherstellung und in der Pharmazie Verwendung. Eisenvitriolquellen bildeten die Grundlagen für einen frühen Kurbetrieb. Thermalquellen, die 1997 auf dem Gemeindegebiet entdeckt wurden, sollen künftig ebenfalls genützt werden.

In der warmen Jahreszeit zieht der binationale Landschaftspark zahlreiche Besucher an. Kulturelle Veranstaltungen und Ausstellungen runden das Angebot auf deutscher Seite ab. Wer sich den Park nicht auf Schusters Rappen erschließen will, kann eine Kutschfahrt unternehmen oder ein Mountain-Bike ausleihen. Volle acht Tage, wie der Fürst damals ernsthaft empfahl, braucht man für eine Besichtigung nicht mehr.

Thomas Veser, geboren 1957, lebt als Journalist in Konstanz. Er ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft "Pressebüro Seegrund".