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Im Grenzstreit zwischen Kroatien und Slowenien geht es ums Prestige

Von Christian Wehrschütz

Analysen

Vordergründig wirkt der Streit zwischen Kroatien und Slowenien um die Landgrenze an der Mur und die Seegrenze in der Bucht von Piran wie ein Streit um des Kaisers Bart oder wie jener zwischen David und Goliath. An der Mur geht es um einige Hektar; und am Meer hat Kroatien eine Küste von etwa 1800 Kilometern, Slowenien aber nur 43 Kilometer. | Kroatien kann sich somit durch Sloweniens Anspruch auf einen Zugang zum offenen Meer kaum bedroht fühlen, während es für Slowenien um den Status einer Staates geht, der nach internationalem Recht auch als Adria-Anrainer gilt. Im Gegensatz zu Italien ist Sloweniens Fischerflotte bedeutungslos.


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Doch in Staaten mit übersteigertem Nationalbewusstsein geht es nicht um die Ratio, sondern ums Prestige; und so wird seit dem Zerfall des alten Jugoslawien um jeden Quadratmeter "heiliger Heimaterde" verbissen gekämpft. Ursache des Streits ist vor allem der Umstand, dass in Jugoslawien zwar die Landgrenzen (als Republiksgrenzen), nicht aber die Seegrenzen definiert waren.

Hinter der Irrationalität stecken tiefsitzende Ressentiments auf beiden Seiten. Slowenien mit seinen zwei Millionen Einwohnern betrachtet sich gegenüber Kroatien, das doppelt so viele Einwohner hat, als klein, aber oho. So müsse Kroatien anerkennen, dass Slowenien erfolgreicher und daher rascher auf dem Weg Richtung EU und Nato war.

Umgekehrt haben viele Kroaten das Gefühl, Slowenien sei ein Kriegsgewinnler auf ihre Kosten. Während der Krieg in Slowenien nur zehn Tage gedauert habe und kein echter Krieg gewesen sei, habe sich Kroatien gegen die gut gerüstete Jugoslawische Volksarmee behaupten müssen und nach fünf Jahren Krieg schließlich gesiegt. Der Krieg sei der Grund für den zeitlichen Rückstand bei EU- und Nato-Beitritt, während Slowenien leicht die Gunst der Stunde habe nutzen können.

Der in Wahlkampfzeiten in Slowenien oft hochgespielte und nun bei den EU-Verhandlungen erneut hochgekochte Streit wird in Laibach auch so erklärt, dass Kroatien erst jetzt bereit sei, diese Frage und damit Slowenien wirklich ernst zu nehmen. Dabei verdeckt der prestigebeladene Konflikt, dass es wirklich ernste bilaterale Probleme gibt.

Dazu zählen das Atomkraftwerk Krsko und - vor allem - die Ljubljanska Banka. Dort hatten mehr als 100.000 Kroaten Sparguthaben. Nach Jugoslawiens Zerfall behielt die Bank die Gelder ein: 150 Millionen Euro ohne Zinsen. Dieses Problem ist bis heute ungelöst.

Aber auch der Grenzstreit ist bilateral - und ohne Gesichtsverlust für eine Seite - nicht zu lösen. Slowenien müsste einem internationalen Schiedsgericht zustimmen; dafür bedarf es aber des Einsatzes der EU und politisch gewichtiger Mitgliedstaaten; denn der Fehler - Slowenien ohne Lösung dieses Streits als EU-und Nato-Mitglied akzeptiert zu haben - lässt sich nicht mehr korrigieren.

analyse@wienerzeitung.at