Integration als Weg in die Hölle? | Muslime in Europa suchen ihr eigenes Islam-Verständnis. | Berlin. Imame aus Marokko predigen in den Niederlanden vor allem von der Hölle. Das berichtet der marokkanische Soziologe Sam Cherribi in seinem neuen Buch "Im Haus des Krieges", das sich aber primär auf die 90er Jahre bezieht. Auch den Weg in die Hölle haben die Vorbeter klar beschrieben: Er beginnt mit der Imitation von Nicht-Muslimen, führt zum Austritt aus dem Islam und endet mit der Integration. Sam Cherribi ist 2003 in die USA ausgereist und lehrt heute an der Uni in Atlanta.
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Für lange Debatten sorgt sein Werk in einem Arbeitskreis beim diesjährigen Berlin Forum für Progressive Muslime. Die teilnehmenden Muslime wollen ihre Identität, anders als die marokkanischen Imame, nicht als Abgrenzung von der hiesigen Gesellschaft verstehen. Das wollen laut Umfragen die meisten Muslime nicht, doch es ist nicht immer leicht: "Die traditionellen Islamlehren sind überholt. Sie berücksichtigen weder Erkenntnisse der Geisteswissenschaft noch den gesellschaftlichen Fortschritt", meint Abdou Filali-Ansary, Direktor des Instituts für das Studium muslimischer Kulturen an der Aga Khan Universität in London. Filali-Ansary kritisiert den "altmodischen Religionsunterricht". Er zeigt seinen Studenten stattdessen die Vielzahl islamischer Lehren.
Dass die marokkanischen Vorbeter die Lage der Muslime in Europa mit der Hidschra Mohammeds, seiner Auswanderung von Mekka nach Medina, verglichen, wurde ebenfalls thematisiert. Mohammed wurde nach erfolgloser Verkündigung des Islams aus Mekka vertrieben. In Medina wurde er zum geachteten Staatsmann, der nicht nur eine Religion, sondern auch einen Staat begründet hat, der zu einem Großreich wurde.
Status als Minderheit
Die Deutung der Immigration der Muslime als Hidschra vertreten viele islamischen Verbände, meint der Wiener Politikwissenschafter Thomas Schmidinger. Sie lasse nur zwei Möglichkeiten zu: Entweder die Muslime werden ein Instrument der Islamisierung Europas oder sie haben als Minderheit in Europa keine Zukunft.
Die Rezeption islamischer Geschichte war diesmal auch das Hauptthema der Tagung des Berliner Forums, das, wie immer, in der Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin stattfand. Gegen die europäische Leben-Mohammed-Forschung "hegt die erdrückende Mehrzahl der Muslime schwere Bedenken", erzählt der deutsche Islamwissenschafter Tilman Nagel. Er sieht in Mohammeds Verkündigung einige Brüche. Zunächst habe Mohammed den "Erwerb ritueller Reinheit" gepredigt, im Einklang mit einem Kultbund, dem er angehört habe. Erst später kam die "Wendung zum alles schaffenden Gott", um den es auch der Frömmigkeitsbewegung der Hanifen gegangen sei, der sich Mohammed angeschlossen habe. Als Prophet trete Mohammeds erst auf, nachdem einige Hanifen seinen Führungsanspruch abgelehnt haben. Für Muslime bestimme die letzte Auslegung Mohammeds ihre Sicht auf sein ganzes Leben. Nagel trennt hingegen Mohammeds Leben von seinen sich wandelnden Leitideen.
Hajar Alkuhtany vom britischen Internationalen Forum für islamischen Dialog sieht islamische Theologie und moderne Geisteswissenschaft nicht in Konfrontation. In ihrem Forum regt sie junge Muslime dazu an, sich selbständig mit den Lehren des Islam auseinanderzusetzen, und zwar auf verschiedenen wissenschaftlichen Ebenen.